# taz.de -- Komiker statt SS-Männern | |
> In Ernst Lubitschs „To Be or Not to Be“ lebt die Slapstickkomödie des | |
> frühen Stummfilms fort. Am Samstag ist der Film noch einmal im Arsenal zu | |
> sehen | |
Bild: Die Theaterschauspieler müssen im Film als Schauspieler agieren und glei… | |
Von Peter Nau | |
Die großen Werke der Filmkunst sind nicht nur groß durch die hohe Qualität | |
des Geschaffenen. In ihrem geschichtlichen Heraufkommen sind sie es | |
insofern, als sie eine entscheidende Aufgabe vollbringen: einen Spielraum | |
zu schaffen, der es den Zuschauern ermöglicht, sich durch das dargestellte | |
historische Phänomen hindurch auf das Unbedingte, Absolute hin zu öffnen. | |
Man würde „To Be or Not to Be“ falsch verstehen, wenn man davon ausginge, | |
dass der Film sich auf die unmittelbare Realität des Nationalsozialismus | |
bezöge, wie sie sich im von den Deutschen besetzten Warschau darbot. | |
Vielmehr erweist er sich als eine Art Witz, den man sich damals, 1942, in | |
den USA über den Führer, die Gestapo und so weiter erzählt hat. | |
Schön ist dieser Film, indem er ein organisches, in sich gegliedertes | |
Ganzes bildet. Mit Hitlers Überfall nimmt er die Form einer Elegie an: | |
Zerstörung und Niedergeschlagenheit. Aus dieser lähmenden Schwermut heraus | |
flammt Widerstand auf bei den Schauspielern des Teatr Polski. In England | |
sind die Flieger des polnischen Geschwaders der Royal Air Force mit | |
gelassenem Optimismus bei der Sache. Jede dieser drei Sequenzen weist eine | |
ganz bestimmte Tönung auf, die sie – analog zum musikalischen Satz – zur | |
geschlossenen Einheit innerhalb einer Komposition macht. | |
Bei der Szene im Flugzeug der Royal Air Force war es die atmosphärische | |
Dichte der Situation, die mich ergriff: die Abgeschlossenheit im Inneren | |
des Flugkörpers, das dunkle Dröhnen der Motoren, daraus aufsteigend das | |
heroische Tschaikowsky-Motiv. Das Auftauchen des zwielichtigen Professors | |
Siletzsky bringt es mit sich, dass eine lange Passage des Films als | |
Agententhriller inszeniert ist. | |
Unvergesslich blieb mir bis heute die Szene in der konspirativen | |
Buchhandlung: die dämmrige Düsternis dieses Ladens; die empfindsame | |
Streichermusik; die übertriebene Höflichkeit des ergrauten Buchhändlers | |
gegenüber den beiden Wehrmachtsangehörigen, die sich Ansichtskarten | |
ausgesucht haben; die träumerisch schmachtende Art, in welcher er den | |
Buchtitel „Anna Karenina“ ausspricht, in dem sich ein Kennwort verbirgt. Da | |
die Theaterschauspieler im Film als Schauspieler agieren und gleichzeitig | |
als Widerstandskämpfer, müssen sie so gut spielen, dass die Gestapo den | |
Schauspieler in ihnen nicht bemerkt. Wir sehen deshalb nicht nur der | |
Handlung zu, sondern beobachten genau, wie die Schauspieler spielen. Sie | |
bringen den Reichtum ihrer Gebärdensprache mit ins Spiel. Zumal die | |
gewaltsamen Verzerrungen und Anspannungen der Gesichtsmuskeln zu dem | |
Eindruck beitragen, dass sich diese Mimen in gleichem Maße aus | |
moralisch-patriotischen Gründen und aus kreatürlichem Daseinsüberschwang | |
heraus in Todesgefahr begeben. | |
Was das Overacting betrifft, so schießt allerdings ein Darsteller den Vogel | |
ab, der keinen Schauspieler spielt, sondern den SS-Gruppenführer Ehrhardt. | |
Mit dem Augenrollen eines Ben Turpin und der gezierten Gestik eines Oliver | |
Hardy nimmt er allen ideologiekritischen Bedenken den Wind aus den Segeln: | |
Wir haben einen Komiker vor uns und nicht die Verkörperung eines SS-Manns | |
vom Schlage derer, die in den Konzentrationslagern mordeten. | |
In „To Be or Not to Be“ lebt die Slapstickkomödie des frühen Stummfilms | |
fort, mit ihrer Freude am Unsinn, dem Umwerfen der Erfahrung (auch der | |
historischen) ins Gegenteil, des Zweckmäßigen ins Zwecklose, des | |
Notwendigen ins Beliebige. Das Angenehme am Lubitsch-Touch ist, dass wir, | |
sobald er uns berührt, spüren: Fast überall, wo es Glück gibt, gibt es | |
Freude am Unsinn. | |
Der Text ist eine überarbeitete Fassung der Einführung, die der Autor am 4. | |
Januar im Arsenal im Rahmen der noch bis 31. Januar laufenden | |
Ernst-Lubitsch-Retrospektive gegeben hat. | |
To Be or Not to Be: 20. Januar, 19 Uhr, Kino Arsenal | |
20 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Nau | |
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