# taz.de -- Elise Graton Globetrotter: Ansteckendes Lachen und begründete Skep… | |
Biologie war das Fach, das ich zu Schulzeiten am wenigsten mochte. Natur | |
war mir oft suspekt, und Familienspaziergänge im Wald waren ebenso | |
unheimlich wie die Untiefen des Meeres. Als ich kürzlich zu Hause vor dem | |
Radio verbrachte, waren in einer Sendung im Programm von France | |
CultureNaturwissenschaftlerInnen zu Gast. Ihnen bei der Schilderung ihrer | |
Forschungsvorhaben zuzuhören, bereitete mir ungemein Vergnügen. | |
Dank der etwas schnoddrigen Moderation konnte ich selbst Neues in Erfahrung | |
bringen – mich störte auch nicht, wenn ich etwas nicht verstand. Mein | |
aktueller Lieblingssatz im Buch „Die Schönheit der Tiere“ der Biologin | |
Christiane Nüsslein-Volhard lautet: „Es ist interessant, dass zur | |
Bildung von Gradienten im Fliegenei weder Autokatalyse noch laterale | |
Inhibition beitragen.“ Trotz der für mich unverständlichen Aussage drückt | |
ihr Satz geradezu ansteckende Begeisterung aus. Wissenschaftliche Euphorie | |
mancher ForscherInnen für ihr Thema kommt man bei Radiointerviews nah, auch | |
wenn sie manchmal aufgrund der aktuellen ökologischen und politischen | |
Weltlage von Pessimismus gefärbt sind. Jedenfalls beeindruckte mich die | |
Offenheit gegenüber dem jeweiligen Subjekt – egal ob Tier, Pflanze oder | |
einzelliger Blob –, jene Bereitschaft, durch Ergebnisse von Experimenten | |
überrascht zu werden, allem eine je eigene Intelligenz zuzuerkennen und für | |
eine Beziehung zwischen Mensch und Natur auf Augenhöhe zu werben. Letztens | |
führte mich mein naturwissenschaftliches Faible ins „Spektrum“, einem | |
Berliner Projektraum für interdisziplinäre Kollektive an der Schwelle von | |
Technologie, Wissenschaft und Kunst. Es lief die Doku „Donna Haraway: Story | |
Telling for Earthly Survival“ von Fabrizio Terranova. Die US-Biologin und | |
feministische Wissenschaftstheoretikerin wurde in den Neunzigern damit | |
bekannt, dass sie die Unterscheidung zwischen Mensch, Tier und Maschine | |
ablehnt und neue Wege jenseits normativer Strukturen zum Verständnis der | |
Welt initiiert. | |
Als ich im Kino eintraf, war ich umzingelt von Fachleuten und | |
NaturfreundInnen. Ein erkälteter Besucher meinte etwa zu seiner Begleitung: | |
„Ich klinge wie der gemeine Häher.“ Drei Frauen skandierten hinter mir: | |
„Donna! Donna! Donna!“, um sich als Haraway-Fans zu verstehen zu geben. Für | |
mich ist derlei naturwissenschaftlicher Personenkult neu. Auch habe ich die | |
zentrale Geschichte des Films über die innige Beziehung zwischen dem Kind | |
Camille und einem Schmetterling nicht ganz verstanden, weil mich das | |
ständige Schaukeln einer Frau – so, als hielte sie ein Baby in ihren Armen, | |
was aber nicht der Fall war – in der Reihe vor mir ablenkte. Bisweilen | |
fokussierte mein Blick Haraways Hände, die auf der Leinwand nicht zur Ruhe | |
kamen: Mal tippte sie auf dem Tisch vor sich wie auf einem Miniaturklavier, | |
mal fitzelte sie an den Tentakeln eines Plüsch-Kraken, der ihr zur | |
Erläuterung einer ihrer Theorien dienen sollte. Die Theorie habe ich | |
vergessen. Woran ich mich gut erinnere, ist, wie Haraway auch | |
nebensächlichen Beobachtungen mit wissenschaftlichem Eifer nachgeht. | |
StudentInnen an Elite-Universitäten haben alle das gleiche perfekte | |
Lächeln, stellte sie etwa fest; was sie zur Recherche veranlasste, nach | |
welchem Vorbild die KieferorthopädInnen jener sozialen Schicht arbeiten; | |
was wiederum zur Frage führte, inwieweit wir wie antike Göttinnen-Statuen | |
aussehen wollen. Schritt für Schritt offenbart Haraways Bohren die | |
menschliche Neigung, sich stets über andere Wesen zu stellen und dabei | |
nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen ästhetische und | |
ideologische Halseisen anzulegen. „Wir brauchen neue Erzählungen“, las sie | |
auf Französisch vor, davon begeistert, dass ihre Texte auch in anderen | |
Sprachen vorliegen. Sie musste laut lachen, obwohl das gar nicht lustig | |
ist. Alle stimmten in ihr Lachen mit ein, infiziert von ihrem Enthusiasmus, | |
der als Einladung wirkt, gesunde wissenschaftliche Skepsis zu entwickeln, | |
den alten Märchen zu misstrauen, das Gewohnte stets zu hinterfragen, in | |
sich hineinzuhorchen, wer man wirklich ist, und die Angst vor den | |
unbekannten Geräuschen im Wald zu überwinden. | |
Elise Graton arbeitet als Übersetzerin und Autorin in Berlin | |
16 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
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