# taz.de -- Ganz so simpelist dasmit der Hoffnung nicht | |
> Bei Daniel Kahn entkommt Klezmer dem harmlosen Klischeegedudel. Auf dem | |
> neuen Album klingt die Musik aggressiv, politisch, ungeduldig und auch | |
> mal dunkel | |
Bild: Daniel Kahn und seine Band The Painted Bird. Kahn ist der Mann mit Hundel… | |
Von Kevin Zdiara | |
Seit einigen Jahren feiert Klezmermusik ein Revival, mit jungen, | |
innovativen Combos und Künstlern wie der Amsterdam Klezmer Band und den | |
Jewish Monkeys. Die Beteiligten frischen die Musik dabei so sehr auf, dass | |
sich das Genre zunehmend aus der monothematischen Vereinnahmung als | |
Soundtrack für Gedenkfeierlichkeiten lösen und zu seinen vielfältigen | |
kulturellen Traditionen zurückkehren kann. | |
Bevor die Nationalsozialisten das osteuropäische Judentum samt seiner | |
Kultur ermordeten, war Klezmer Folkmusik im engsten Sinne des Wortes. Neben | |
Stücken für allerlei Feierlichkeiten nutzten jüdische Ganoven aus der | |
Halbwelt der Hafenstadt Odessa Klezmer genauso wie jüdische Kommunisten, | |
Zionisten und während des Zweiten Weltkriegs auch die jüdischen Partisanen. | |
Genau an jene vielfältige, kreative und diasporische Tradition knüpft der | |
in Berlin ansässige US-Künstler Daniel Kahn mit seiner Band The Painted | |
Bird wieder an. Kahn, der 2005 aus Detroit kommend nach Berlin | |
übersiedelte, ist ein künstlerischer Tausendsassa. Neben seinem Engagement | |
in insgesamt vier Musikformationen arbeitet er auch am Maxim Gorki Theater | |
in Berlin als Regisseur und Komponist. | |
Dieses Multitasking kostet natürlich Zeit und Energie und war mit ein | |
Grund, warum das letzte (übrigens preisgekrönte) Album seiner Band „Bad Old | |
Songs“ bereits fünf Jahre zurückliegt, wie Kahn im Gespräch erläutert. Vor | |
Kurzem veröffentlichte der 39-Jährige mit „The Butcher’s Share“ nun end… | |
das fünfte Werk. Mit diesen 13 neuen Songs zeigt Daniel Kahn eindrucksvoll, | |
dass Klezmer keineswegs nostalgisch klingen muss. Insgesamt wirkt der Sound | |
des Albums politischer, ungeduldiger und auch dunkler als auf allen | |
Vorgängerwerken. Die Musik spannt einen Bogen vom traditionellen Klezmer | |
über Folk, Jazz, Blues bis zu Rock. | |
Oftmals wird Kahns Version auch als Klezmer-Punk bezeichnet. Das stimmt | |
insofern, da punkige Aggression zwischen den Zeilen spürbar wird, und | |
greift musikalisch dennoch zu kurz, weil es der Komplexität von Kahns | |
Schaffen nicht ganz gerecht wird. Er verlässt zwar traditionelle Pfade, | |
sucht seine Inspiration abseits der üblichen Genres und setzt auf | |
politische Inhalte. Dabei landet er aber näher bei einem Tom Waits als bei | |
einem Johnny Rotten. | |
„Oft werde ich mit oberflächlichen Stereotypen konfrontiert, und klar, es | |
gibt viele Klischees“, beschreibt Kahn die Erwartungshaltung deutscher | |
Hörer-Innen und stellt dem seinen eigenen, unkitschigen Ansatz entgegen: | |
„Ich tauche noch tiefer in die Klezmerkultur ein. Grenzen, ob zwischen | |
Sprachen, Kulturen oder Ländern, interessieren mich grundsätzlich nicht.“ | |
Kahn ist jedoch kein Ikonoklast, ihm geht es vor allem darum, die | |
vielfältigen Traditionsstränge des Klezmers in Erinnerung zu rufen und sie | |
gleichzeitig auf ihre Anschlussfähigkeit an aktuelle Diskurse und | |
Musikstile abzuklopfen. | |
Der Bandname ist eine Reverenz an den 1965 erstmals erschienen Roman „Der | |
bemalte Vogel“ von Jerzy Kosiński, in dem ein kleiner Junge während des | |
Zweiten Weltkriegs von Ort zu Ort irrt und Zeuge von großen Grausamkeiten | |
wird. Auch Kahn sieht sich als Beobachter: „Die Welt ist brutaler geworden, | |
und das zeigt sich auch in unseren neuen Liedern. Die Themen sind | |
politischer, es geht um gesellschaftliche Fragen, um Wir-Lieder statt | |
Ich-Lieder“, umreißt er das Konzept des Albums. Da überrascht es nicht, | |
wenn der Musiker Bertolt Brecht als Referenz heranzieht. Auch die Grafiken | |
des US-Illustrators und Comiczeichners Eric Drooker im Booklet | |
orchestrieren eine Agitprop-Ästhetik. | |
Stücke wie „Butcher’s Sher“ oder „Nayn-un-Nayntsik“ geben dabei die | |
inhaltliche Richtung vor: Kapitalismus und Egoismus sind für Kahn die | |
Wurzeln sozialer Ungleichheit und globaler Ungerechtigkeit. Texte und | |
Bildsprache des Albums stehen eindeutig links. „Wir haben gegenwärtig die | |
Wahl zwischen dem hoffnungslosen Status quo und einer grausamen | |
Alternative. Das ist ein Dilemma. Wir müssen durch eine Auseinandersetzung | |
mit der Verzweiflung Hoffnung finden“, so sein Rezept für eine bessere | |
Zukunft. | |
Aber ganz so simpel ist das mit der Hoffnung nicht. Insbesondere nicht für | |
einen jüdischen Klezmermusiker. In vielen Stücken schwingt auch die | |
Ohnmacht der Verfolgten und der Davongekommenen durch. Ein Stück wie „No | |
one survives“, das die Unmöglichkeit des Weiterlebens vieler | |
Holocaustüberlebender thematisiert, bietet wenig Anlass für Optimismus. | |
Immer wieder macht The Painted Bird Anleihen bei klassischen | |
Klezmer-Stoffen. Ob in Form der Ganovenballade „Shimke Khazer“, dem | |
feministischen Stück „Arbeiter Froyen“ aus dem Jahr 1891 oder „Shtil di | |
nakht iz oysgeshternt“ vom großen Partisanen-Dichter Hirsch Glick von 1942. | |
Es sind wunderbare Adaptionen und insbesondere auf den beiden | |
letztgenannten zeigt Kahn, dass man harmlosen Klezmergedudel mit etwas | |
stärkerer Folkerdung hervorragend entkommen kann. Das verdanken die Stücke | |
nicht zuletzt auch exzellenten Gastmusikern und -sängern. | |
Während das Vorgängeralbum noch in kleiner Quartett-Besetzung eingespielt | |
wurde, holte Kahn für das aktuelle Album renommierte Künstler wie Sarah | |
Gordon, Lorin Sklamberg und Michael Alpert dazu. | |
Ein Lied, das aus dem neuen Album heraussticht, ist „Freedom is a verb“. Es | |
kommt wankend, besoffen und krachend daher, als stamme es aus der Feder | |
eines jiddischen Tom Waits. Mit seinem Plädoyer für einen aktiven, | |
dynamischen Begriff von Freiheit, die für ihn niemals abgeschlossen ist und | |
an dem stets gearbeitet werden muss, setzt er sich ausdrücklich von | |
teleologischen Heilsversprechen ab. | |
Überhaupt sind Kahn Dynamik und Überwindung von Grenzen wichtig. Genau das | |
begeistert ihn auch an der jiddischen Kultur. „Jiddisch war Teil | |
verschiedener jüdischer und verschiedener europäischer Kulturen. Damit hat | |
es immer schon Definitionen von Volk und Land untergraben und ist ein | |
Modell für eine internationale Kultur. Es kann uns da noch viel sagen. | |
Jiddisch braucht aber mehr Ohren und Zungen“, formuliert er seine Hoffnung | |
zum Ende des Gesprächs. | |
Daniel Kahn & The Painted Bird: „The Butcher’s Share“ (Oriente Musik/Fenn | |
Music Service) | |
Live: 21. 1., Staatsschauspiel, Dresden, 22. 1., NaTo, Leipzig, 24. 1., | |
Milla Club, München, 25. 1., Franz.K, Reutlingen, 26. 1., Zehntscheuer, | |
Ravensburg | |
13 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Kevin Zdiara | |
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