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# taz.de -- heute in hamburg: „In jedem Moment habe ich Angst“
Interview Adèle Cailleteau
taz: Frau Tardieu, hat der Anschlag gegen die Redaktion der
Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ Ihr Leben geändert?
Laurence Tardieu: Ja, natürlich. Er hat mir bewusst gemacht, dass die Welt
aufbricht. Die Welt, in der ich seit meiner Kindheit lebte, schien mir ein
beschützter Ort und weit weg von den Kriegen zu sein. Diese Welt wurde
erschüttert. Dieser Eindruck dauert seit 2015 fort und hat sich durch die
weiteren Anschläge verstärkt.
Hat es Einfluss auf Ihren Alltag gehabt?
Ich habe zum Beispiel meinen Töchtern verboten, samstags in die großen
Kaufhäuser von Paris oder in die Nähe des Eiffelturms zu gehen. Es ist ganz
blöd, weil es irgendwo und irgendwann stattfinden kann. Aber ich hatte
Angst. Und das ist, was die Terroristen wollen. Sie wollen, dass der Terror
herrscht, noch lange nach dem Anschlag. In jedem Moment habe ich Angst,
auch wenn ich weiß, dass man sich von dieser Angst nicht überwuchern lassen
sollte.
Sie sind aber kein Opfer gewesen.
Das ist, was ich im Buch versuche auszudrücken. Ich war so vom Geschehen
besessen, dass ich den Eindruck hatte, dass auch ein Teil meines Körpers
mit den Anschlägen weggenommen wurde. Es fühlte sich an, als wäre mein
Körper zersplittert, als wäre er gleichzeitig zu Hause in Sicherheit und
dort bei den Anschlägen gewesen. Auch wenn ich kein Opfer gewesen bin, habe
ich den Eindruck, dass ein Teil meines Körpers getroffen wurde. Darüber
musste ich schreiben und Texte von Menschen lesen, die alltäglich und seit
Jahren mit dieser Gewalt konfrontiert werden, wie in Israel.
Ist „So laut die Stille“ das Buch geworden, das Sie ursprünglich geplant
haben?
Nein, ich wollte über das Haus meiner Kindheit schreiben – meine
Schutzhütte, einen Teil meines Gedächtnisses, das wir verkaufen mussten.
Mein Leid war so groß, dass ich gegen dieses Verschwinden schreiben wollte.
Aber nach den Anschlägen konnte ich mein Leben nicht einfach so
weiterführen. Nach ein paar Wochen spürte ich den Nachklang zwischen dem
Verlust meines Hauses und dem, was ich in der Not nach den Anschlägen
geschrieben hatte. In beiden Fällen ging es um den Verlust einer Welt: die
Welt meiner Kindheit und die Welt, in welcher ich seither immer zu leben
dachte.
Und Sie waren damals schwanger.
Es war paradoxerweise sehr gewalttätig: Ich trug das Leben, als ich das
Gefühl hatte, das alles in mir und um mich herum zusammenbrach.
Buchvorstellung „So laut die Stille“ mit der Autorin: 20 Uhr, Buchladen in
der Osterstraße 171
12 Jan 2018
## AUTOREN
Adèle Cailleteau
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