# taz.de -- Kehraus in Dahlem? | |
> Vor einem Jahr haben das Ethnologische Museum und das Museum für | |
> Asiatische Kunst in Dahlem geschlossen – die Sammlungen sollen im | |
> Humboldt Forum Platz finden. Die Kultur im Bezirk Steglitz-Zehlendorf | |
> steht damit aber nicht vor dem Aus. Zwischen Schloßstraße und Wannsee | |
> findet sich eine kleinteilige und internationale Museums- und | |
> Ausstellungslandschaft, die sich nun neu justiert | |
Bild: Alles muss raus, mit dem Humboldt Forum als neuem Hafen: Abbau der Südse… | |
Von Rolf Lautenschläger | |
Dahlem muss bleiben!“, hat jemand an die Rostlaube, den Gebäudekomplex der | |
Freien Universität (FU) an der Habelschwerdter Allee, gesprüht. Eine | |
Parole. Ja, eine Klage. Sie bedeutet, dass mit der Schließung der | |
benachbarten Museen Dahlem dem Ort ein Fundament weggebrochen ist, das den | |
gesamten Bezirk in Gefahr bringt, quasi zu kollabieren. Im schicken Dahlem | |
wähnt man sich auf verlorenem Posten. | |
Dieser bedauernswerte Reflex ist seit genau einem Jahr im Südwesten der | |
Stadt zu spüren. Seit am 8. Januar 2017 die Staatlichen Museen in Dahlem | |
das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst schlossen. | |
Obwohl bereits seit 2009 klar ist, dass die berühmten Südseeboote und | |
Riesenstelen der Cozumalhuapa-Kultur, die chinesischen Wandmalereien und | |
afrikanischen Masken für ihren Umzug 2019 ins Humboldt Forum ab 2017 | |
verpackt werden mussten, verschreckte das noch einmal so richtig. | |
Cerstin Richter-Kotowski, lange Zeit CDU-Kulturstadträtin und heute | |
Bürgermeisterin in Steglitz-Zehlendorf, Sabine Bangert, kulturpolitische | |
Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, oder ihre SPD-Kollegin Ina | |
Czyborra forderten unisono, dass der über 100 Jahre alte Kulturstandort | |
„nicht aufgegeben werden darf“. | |
Für den leeren Gebäudekomplex an der Lansstraße müsse schnellstens ein | |
Ersatz her, meint auch CDU-Mann Adrian Grasse: „Dahlem muss als Ort der | |
Kultur und Wissenschaft bestehen bleiben.“ Die „Konzentration des | |
Kulturangebots auf die Mitte“ sei schädlich und könne „nicht im Interesse | |
einer wachsenden Metropole liegen“. | |
In der Tat ist es vorbei mit den großen Weltkulturen im Südwesten. Doch | |
bedeutet das Ende der ethnologischen Sammlungen dort, dem der für 2019 | |
geplante Umzug des Alliierten Museums nach Tempelhof folgen wird, wirklich | |
den „Untergang Dahlems“? | |
Wohl kaum. Freilich ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) | |
mitschuldig an dem Ärger. Mit einem klaren Nachnutzungskonzept hätte man | |
die Degradierung des Standorts ausbalancieren können. „Einen abgestimmten | |
Plan, wie es langfristig mit den Flächen weitergeht, haben wir noch nicht“, | |
muss SPK-Präsident Hermann Parzinger zugeben. Vorläufig sollen die | |
geräumten Säle zu Depots umfunktioniert werden. Parzinger schätzt, dass die | |
Dahlemer Räumlichkeiten aus den 1970er Jahren für rund 20 Millionen Euro | |
saniert werden müssen. Gewissheit hierzu sollte die eigentlich für Ende | |
2017 angekündigte Machbarkeitsstudie der Stiftung bringen. Aber die Studie | |
lässt weiter auf sich warten. Hinzu kommt, dass mit dem am Ort verbliebenen | |
Museum für europäische Kulturen (MEK) sich der Eindruck des | |
„Abgehängtseins“ eher verstärkt als vermindert hat. | |
Tatsächlich ist in dem hysterischen Aus-für-die-Museen-Dahlem-Diskurs aber | |
außen vor geblieben, dass der Kulturstandort Dahlem samt | |
Steglitz-Zehlendorf unter keinem echten Legitimationsdruck steht. Er hat | |
seine Zukunft selbst in der Hand. Die Impulse und Perspektiven sind gar | |
nicht schlecht. | |
Katja Blomberg leitet seit zwölf Jahren das Haus am Waldsee – ein Ort, „der | |
sich zum Neuen und Innovativen in Berlin bekennt“, wie sie sagt. 30.000 | |
Besucher kommen jährlich zu den Ausstellungen und Veranstaltungen. | |
Man gibt sich selbstbewusst im Haus am Waldsee, was die Zukunft des Ortes | |
und seine Rolle im Bezirk Steglitz-Zehlendorf angeht. Idylle war gestern. | |
Die Fehlstelle Museen Dahlem? So what. Wir machen was anderes, lautet das | |
Motto. Das Konzept des Hauses, „das seit 1946 zu den ersten | |
Ausstellungsorten in Deutschland für zeitgenössische und internationale | |
Kunst gehört“, so Blomberg, werde „auf hohem Niveau“ weiterentwickelt. | |
Derzeit logiert Blomberg mit „Schaufensterausstellungen“ – die aktuelle m… | |
Arbeiten von Olav Christopher Jenssen ist heute am Samstag letztmals zu | |
sehen – auf kleiner Fläche im Bikini Berlin gegenüber der Gedächtniskirche. | |
Weil nämlich das Stammhaus in der Argentinischen Allee bis Mitte 2018 | |
gerade renoviert und erweitert wird. „Wir rekonstruieren den im Zweiten | |
Weltkrieg verloren gegangenen Gebäudeflügel“, sagt Blomberg, „und erhalten | |
rund 300 Quadratmeter mehr für einen Veranstaltungsraum, eine Bibliothek | |
und für neue Büroflächen.“ Zudem werde unter dem Dach ein Atelierraum für | |
Workshops entstehen. Projekte mit Künstlern „an der Schnittstelle zwischen | |
Wissenschaft und Kunst“ sollen ausgebaut werden, ebenso die mit weiteren | |
Kulturinstitutionen. | |
Die gibt es: Parallel zum „weltkulturellen Zugpferd“, wie | |
Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski die nun eben ins Humboldt Forum | |
ziehenden Dahlemer Sammlungen bezeichnet, hat sich zwischen der | |
Schloßstraße und Wannsee eine Museums- und Ausstellungslandschaft | |
ausgebreitet, die vielfältig und international ist und mit den Qualitäten | |
des grünen Vororts und seiner Geschichte spielt. | |
Mit dem Kulturtag „Jenseits von Mitte“ vor vier Jahren, an dem 15 | |
Einrichtungen aus dem Bezirk teilnahmen, begann man auch mit einem | |
Austausch. Initiatorin war die damalige (heute im Ruhestand befindliche) | |
Leiterin des Kulturamts Steglitz, Doris Fürstenberg. Es habe sie | |
„geärgert“, dass hier so viele Museen von „überregionaler Bedeutung“ | |
existierten, denen aber die entsprechende Aufmerksamkeit fehlte. | |
Um mehr in den Fokus des Interesses zu gelangen, treten die Institutionen | |
und Galerien seit Sommer 2017 im Verbund auf. Mit der kleinen, etwas | |
biederen Publikation „natürlich Kultur. Berlins Grüner Museumsbezirk“ wird | |
die spezifische Kombination aus Kunst und Kultur, Internationalität und | |
Natur herausgestellt. Dass im Südwesten der Stadt der Bär nicht wie in den | |
Szenebezirken steppt, sei die eine Seite, so Fürstenberg. Die andere ist, | |
dass es hier „so viele Einrichtungen und die unterschiedlichsten | |
Institutionen gibt, die von alter bis moderner Kunst, von Natur- bis | |
Kulturgeschichte alles zeigen“. | |
Im Netzwerk „Kultur im Grünen“ haben sich das Haus am Waldsee, das | |
Kunsthaus Dahlem im einstigen Atelier des NS-Bildhauers Arno Breker und die | |
Liebermann-Villa, das MEK, Schloss Glienicke, das Kulturhaus Schwartzsche | |
Villa und das Alliierten-Museum, der Botanische Garten mit dem Botanischen | |
Museum, das Museum Domäne Dahlem und das Museumsdorf Düppel | |
zusammengeschlossen. Highlights von großer alter, moderner und | |
zeitgenössischer Kunst über die Gartenkunst Lennés bis hin zum | |
Rosinenbomber im Allierten-Museum. | |
Kurz vor Weihnachten lag die kleine Publikation auch auf dem Schreibtisch | |
von Lisa Marei Schmidt. Sie hatte gerade ihren Job als neue Direktorin des | |
Brücke-Museums am Dahlemer Bussardsteig mit seinen 5.000 Werken und | |
Archivalien von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmitt-Rottluff, Max | |
Pechstein, Otto Mueller und Emil Nolde angetreten. Katja Blomberg vom Haus | |
am Waldsee hatte das „Brücke“ und die neue Chefin besucht und ihr von dem | |
Netzwerk erzählt. Es sei keine Frage, dass das Museum an Kooperationen mit | |
anderen Häusern und an Synergien mit der Nachbarschaft interessiert sei. | |
„Nur gemeinsam sind wir stark“, sagt Schmidt teamgeistmäßig. | |
Das war hier nicht immer die Richtung. Der Blick geht vom schicken, | |
schlichten Direktorenzimmer direkt hinaus in den Grunewald. Die Architektur | |
setzt sich fort in der Natur. Der Standort, der moderne Museumsbau von | |
Werner Düttmann aus den 1960er Jahren, und die Sammlung des Expressionismus | |
– „dieser einzigartige Schatz“, wie Schmidt sagt – sind Kult in der | |
Berliner Museumslandschaft. Aber auch Last seit dem NS-Raubkunst-Skandal | |
aus dem Jahr 2006: Damals wollte das Museum Kirchners weltberühmte | |
„Berliner Straßenszene“ (1913) partout nicht an die Kirchner-Erben | |
restituieren und musste vom Senat dazu gedrängt werden. | |
Über 50.000 Besucher kommen jährlich ins Brücke-Museum. Aktuell sind in | |
einer „Jubiläumsausstellung“ Bilder und Zeichnungen der Brücke-Gruppe von | |
1905 bis 1913 zu sehen: wunderbare Werke aus den wilden Jahren der | |
Künstler, die noch vom Impressionismus, Fauvismus und van Gogh inspiriert | |
waren. | |
Mit der Schau wird einmal mehr deutlich, dass das Brücke-Museum ein | |
kultureller Magnet im Südwesten ist. Und das soll so bleiben. Die | |
Direktorin erhofft sich zudem, dass sich das Haus zum „Bildungs- und | |
Forschungsort“ des Expressionismus sowie als „Künstlermuseum“, derzeit e… | |
Trend in der Kuratorenwelt, der Brücke-Maler noch stärker entwickelt. Zudem | |
könnten Fäden zur Freien Universität geknüpft werden. | |
Womit wir wieder an den Ausgang zurückgelangt sind. Es gibt nicht wenige | |
Wissenschaftler und Kulturpolitiker, die den Neubeginn der Dahlemer | |
Museumsbauten mit der FU als Nutzer in Verbindung bringen. Es existiert | |
zudem ein – noch unveröffentlichtes – Papier der FU, in dem angeregt wird, | |
dass die Abguss-Sammlung antiker Plastiken der FU von Charlottenburg nach | |
Dahlem umzieht. Große Teile der insgesamt 45.000 Quadratmeter Fläche | |
eigneten sich nach Ansicht von FU-Präsident Peter-André Alt ideal, um die | |
mehr als 2.100 Abgüsse zu präsentieren und mit ihnen zu forschen. | |
Es ist eine Idee, die den Vorstellungen von SPK-Chef Parzinger am nächsten | |
kommt. Noch ohne konkretes Konzept favorisiert die Stiftung das Modell des | |
„Forschungscampus Dahlem“. Ein Verbund aus Kultureinrichtungen und | |
Instituten, so Parzinger, böte die besten Voraussetzungen für einen | |
„lebendigen Ort der Forschung und des Erkenntnistransfers“. | |
Hinter dem „Schaufenster der Wissenschaft“, so die Parzinger-Losung, steckt | |
natürlich wieder die Sehnsucht, am großen Rad drehen zu können. Das | |
beinhaltet sicher Chancen für Dahlem. Aber auch Risiken. Denn ob ein solch | |
tradiertes Leuchtturm-Denken der kleinteiligen Museumslandschaft, die dabei | |
ist, sich mit ihren Qualitäten zu emanzipieren, gut tut, ist offen. „Wir | |
wollen hier keine museale Resterampe, aber auch ein alleiniger | |
Forschungsstandort ist uns zu wenig“, hat Berlins Kultursenator Klaus | |
Lederer (Linke) zur Lage im Südwesten gesagt. Was also? Sicher ist: Dahlem | |
bleibt. | |
6 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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