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# taz.de -- Leyla YenirceInselstatus: Wenn die Mieten steigen, entstehen auf wu…
Liebe Insel, ich erinnere mich noch ganz genau. Es war im Spätsommer
letzten Jahres. Ich wollte nachts von der Bahnstation Veddel nicht über den
Deich mit dem Fahrrad ins Reiherstiegsviertel fahren, weil es dort so
windig ist. Auf der Straße wollte ich auch nicht fahren, weil die Autos
kaum Rücksicht auf die Radfahrer*innen nehmen und mein Licht schon wieder
nicht funktionierte.
Mir bleib also nichts anderes übrig, als den holprigen Radweg an der
Harburger Chaussee zu nutzen. Das einzige Problem: Die Wurzeln der Bäume
haben den Teer soweit aufgesprengt, dass der Weg eher einer Achterbahnfahrt
als einer Fahrradroute gleicht. Ich entschied mich aber trotzdem, über jene
Buckelpiste zu brettern und fuhr mit voller Wucht gegen ein Straßenschild,
weil mein Rad es nicht schaffte, eines der Schlagöcher zu bezwingen oder
ich es nicht rechtzeitig entdeckte. Die Konsequenz: eine Schulterprellung
und einen Monat lang öffentlicher Nahverkehr.
Schon damals fragte ich mich, warum es so kompliziert ist, Pflastersteine
zu verlegen und die Straße für die vielen Radfahrer*innen, die nachts nicht
mit den Raser*innen ins Gehege kommen wollen, zu ebnen. Auf meine Frage
gibt es nun eine Antwort und die gefährliche Heimfahrt hat endlich ein
Ende, denn tatsächlich ist er jetzt da. Der neue Radweg mit roten, ebenen
Pflastersteinen. Ohne unvorhersehbaren Höhen und Tiefen, einzig und allein
eine kleine meterbreite gerade Spur, die mich sicher nach Hause führt. Das
Beste: Durch den Deich ist der Weg auch noch ultimativ windgeschützt. Ein
Traum.
Aber warum gerade jetzt und wieso nicht schon eher? Auch wenn der neue
Radweg eine großartige Idee ist, ist er auch ein Zeichen dafür, dass
Wilhelmsburg – so wie ich es einst auf einem Graffiti gelesen habe – nicht
mehr „dreckig“ bleibt. Es sind nun mal die zwei Seiten der Medaille, die
die Gentrifizierung nicht nur schlecht machen, sondern eben auch zu
besseren Radwegen führen. Dass die Stadt aber erst dann einen Radweg
ausbaut, wenn sie Interesse an einer Aufwertung hat, ist das eigentliche
Problem.
Denn warum braucht es erst wohlhabende Studierende und sogenannte Kreative,
die auf die Insel ziehen, bis sich was tut? Der Ausbau wurde in wenigen
Wochen vollzogen. Er hätte wahrscheinlich schon eher stattfinden können,
vielleicht sogar schon vor meinem Unfall. Ich wäre der Stadt dankbar
gewesen. Die Bewohner*innen, die schon länger als zehn Jahre auf er Insel
wohnen, bestimmt auch, wahrscheinlich auch schon, als ein Zimmer auf der
Veddel und in Wilhelmsburg noch unter 300 Euro gekostet hat.
Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus
Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den
urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
11 Dec 2017
## AUTOREN
Leyla Yenirce
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