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# taz.de -- nordđŸŸthema: Selektion auf dem Campus
> Neu an der Uni: Um an UnterstĂŒtzung zu gelangen, mĂŒssen StudienanfĂ€nger
> sich auskennen – nicht nur, was das Geld angeht: Arbeiterkinder haben
> noch mehr Nachteile
Von Daniel Trommer
„In einer Metropole wie Hamburg zu studieren, ist im Regelfall mit höheren
Lebenshaltungskosten verbunden als in anderen Regionen.“ Das sagt JĂŒrgen
Allemeyer, GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Studierendenwerks Hamburg, er kennt die Lage
also. Vier von fĂŒnf der Studierenden verdienten neben dem Studium Geld.
„DafĂŒr bietet Hamburg gute Möglichkeiten“, so Allemeyer mit Blick auf die
21. „Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von Studierenden
in Deutschland“. Und tatsĂ€chlich: Klassische Studi-Jobs wie Kellnern oder
Nachhilfe gibt es in Hamburg beinahe ohne Ende.
Wer es gern ausgefallener hat, kann da etwa auf dem Weihnachtsmarkt
Geschichten ĂŒber Millionen Jahre alte Steine erzĂ€hlen – fĂŒr „Steinfrieda…
und zehn Euro die Stunde. Oder dem Winterdienst Borchers als Fahrer
bereitstehen – fĂŒr 20 Euro die Stunde.
Ein zweiter Blick auf die erwÀhnte Sozialerhebung zeigt aber, dass mehr als
ein Viertel, 28 Prozent der Hamburger Studierenden, im Monat weniger als
700 Euro zur VerfĂŒgung hat; der aktuelle Bafög-Höchstsatz liegt bei 735
Euro. Aus Sicht von Boris Gayer, Leiter des Beratungszentrums Soziales und
Internationales des Studierendenwerks Hamburg, sind Studienbeginner aus
wirtschaftlich und sozial schlecht gestellten Familien, die dazu noch vom
Land in die Stadt kommen, besonders abbruchgefÀhrdet.
Das glaubt auch Julia Kreutziger vom bundesweit aktiven Verein
„Arbeiterkind“. Er bietet Jugendlichen, die als erste aus ihren Familien
studieren wollen, spezifische UnterstĂŒtzung. „Zuerst mal haben sie keine
Rollenvorbilder“, sagt sie. In Akademikerfamilien gebe es mehr Wissen, auch
ĂŒber Möglichkeiten der Finanzierung wie Stipendien. Auch dort herrsche auch
eine ganz andere SelbstverstĂ€ndlichkeit dem Studieren gegenĂŒber. „Viele
Arbeiterkinder haben am Anfang das GefĂŒhl, nichts zu verstehen“, sagt Julia
Kreutziger. „Soziale Selektion endet an der Hochschule nicht“, resĂŒmiert
sie.
Mit einem ganzen Paket an Startnachteilen kÀmen solche jungen Menschen dann
an die Uni. „Jetzt stellen wir uns vor: Sie haben keine finanziellen
RĂŒcklagen“, ergĂ€nzt Gayer. „Da kommt der Semesterbeitrag von ĂŒber 300 Eu…
Dann finden sie vielleicht kein gĂŒnstiges Zimmer in einer Wohnanlage fĂŒr
Studierende und mĂŒssen sich auf dem freien Wohnungsmarkt bewerben.“ Dann
geben sie vielleicht noch den Bafög-Antrag zu spÀt ab, weil sie nicht alle
Dokumente zusammenhaben – da komme dann in den ersten Monaten erst mal kein
Geld rein. „Dann kommt die Angst“, erzĂ€hlt Gayer. „Manche sitzen dann hi…
bei uns und sagen: ‚Ich hab das Geld nicht! Wie soll ich das bezahlen?‘ Das
ist schon sehr hart. Es interessiert sich erst mal niemand dafĂŒr, wie sie
ĂŒberleben.“
Besonders schlimm findet er, wenn Studierende dann verzweifelt quasi jeden
Job annehmen – und Arbeitgeber das ausnutzen. Die hĂ€ufigste abhĂ€ngige
BeschĂ€ftigungsform fĂŒr Studierende seien heute 450-Euro-Jobs. Dabei haben
Arbeitgeber zwar weniger Pflichten als bei einer NormalbeschÀftigung,
mĂŒssen aber einige Pauschalabgaben entrichten; auch erwirbt sich der Jobber
einen Urlaubsanspruch.
Gayer beobachtet, dass Studierende mittlerweile zunehmend in die
SelbststĂ€ndigkeit gedrĂ€ngt werden. Das ist attraktiv – fĂŒr den Arbeitgeber:
Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine RentenbeitrÀge, kein
Urlaubsanspruch. Auch die Jugendabteilung des deutschen Gewerkschaftsbundes
(DGB )warnt vor „ScheinselbststĂ€ndigkeit“: Wer etwa in einem zeitlich
vorgegebenen Rahmen Zeitungen an einen bestimmten Personenkreis austrage,
sei nicht selbststÀndig, sondern abhÀngig beschÀftigt.
Eine Stellschraube fĂŒr eine leichter zugĂ€ngliche und umfassendere
finanzielle Förderung bleibt das staatliche Bafög. Es sei die „wichtigste
Grundlage“ fĂŒr „Chancengleichheit beim Hochschulzugang“, schreibt die
DGB-Jugend in ihrem „Alternativen BAföG-Bericht“. Jedoch sei – „trotz
BAföG-Reform zum Wintersemester 2016/2017“ – die Fallzahl gesunken, also
weniger BAföG bewilligt worden.
„Hier muss dringend politisch reagiert werden“, sagt JĂŒrgen Allemeyer vom
Studierendenwerk. Und die DGB-Jugend fordert unter anderem eine schnellere
Anpassung der BAföG-SÀtze an die steigenden Lebenshaltungskosten, eine
Förderung ohne Bindung an die Regelstudienzeit und den Abbau des
Darlehensanteils – hin zu einem Ausbildungsvollzuschuss.
2 Dec 2017
## AUTOREN
Daniel Trommer
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