# taz.de -- Das koloniale Grauen | |
> Eine neue Sprache finden: In der Reihe „Das Milieu der Toten“ hat das | |
> Humboldt Forum das Nachleben der Sklaverei und die Lücken der Archive in | |
> den Blick genommen | |
Bild: Impression eines Skandals: In seinem Gemälde „Das Sklavenschiff“ aus… | |
Von Daphne Weber | |
Ein Vorhang schwappt vor und zurück. Er verändert die Sichtbarkeit in der | |
schneckenförmigen Arena, die das Humboldt Forum zusammen mit der Mobilen | |
Akademie Berlin in der Kulturkirche St. Elisabeth aufgebaut hat. Durch den | |
Vorhang lassen sich Zuschauer*innenhälften abtrennen, verdecken und | |
sichtbar machen. Einschließen. Ausschließen. In der Mitte befindet sich ein | |
Podium, auf dem an diesem Dienstag im Rahmen der Reihe „Das Milieu der | |
Toten“ die US-amerikanische Professorin mit Schwerpunkt Colonial Studies, | |
Christina Sharpe, sitzt. | |
Sie beginnt aus ihrem Buch „In the Wake. On Blackness and Being“ zu lesen. | |
Ihre Ausführungen gruppieren sich um den Begriff „wake“, der Fahrwasser, | |
Kielwasser, aber auch Wachheit und Bewusstsein bedeuten kann. Sie erzählt | |
die Geschichte des Sklavenschiffs „Zong“, dessen Crew Afrikaner*innen über | |
Bord warf. In einer Videoinstallation ist das Bild von William Turner zu | |
diesem Ereignis zu sehen: Die „Zong“ kam 1781 nach drei Monaten in der | |
Karibik an. Von 442 gefangenen Afrikaner*innen wurden 142 ins Meer | |
geworfen. Man hat eine Wasserknappheit auf dem Schiff befürchtet. | |
In seinem Bild „Das Sklavenschiff“ hat Turner diesen Massenmord | |
verarbeitet. Es ist das einzige visuelle Element, das in der Veranstaltung | |
Verwendung findet. Ansonsten ist es vielmehr eine sprachliche Suche nach | |
einer neuen, anderen Sprache, in der schwarze Menschen heute über Sklaverei | |
und ihr Nachleben sprechen können. Eine Sprache, die nicht die der | |
Kolonialisatoren ist. Welche Worte können die Toten zurückbringen? Wie | |
können Schwarze endlich handelnde Subjekte werden und sich aus dem | |
Imperialismus und dem Kolonialismus heraus emanzipieren? | |
„Living in the wake of slavery“, im Kielwasser der Sklaverei zu leben oder | |
ein Bewusstsein für deren Geschichte zu haben, heißt für Sharpe | |
festzustellen, dass sie noch präsent ist. Sharpe verknüpft assoziative | |
Gedankenstränge miteinander, es gelingt ihr so, die Geschichte der | |
damaligen Sklavenschiffe mit den heutigen Schlepperbooten zu verbinden, die | |
in untauglichem Zustand flüchtende Menschen über das Meer transportieren. | |
Oder untergehen. Sharpe schildert eine Katastrophe aus dem Jahr 2013, in | |
dem ein Boot kenterte, die toten Menschen aus dem Wasser geborgen wurden | |
und eine Mutter noch über die Nabelschnur mit ihrem Neugeborenen verbunden | |
war. | |
Sharpe setzt die Brille ab, ihre Stimme bricht. Doch ihr Vortrag will keine | |
Betroffenheit erzeugen. Er will aussprechen und offenlegen, was verborgen | |
war, Namen nennen, Vergessene zurückholen. Er möchte deutlich machen, dass | |
die Geschichte der Sklaverei im Alltag schwarzer Menschen fortlebt und in | |
den Objekten, die sich die Kolonialherren angeeignet haben. | |
„Das Nachleben der Sklaverei und die Lücken der Archive“, so lautet der | |
Titel dieses Abends in der Reihe „Das Milieu der Toten“, mit der das | |
Humbold Forum auch auf die Kritik an seinen Plänen, was ab 2019 in dem | |
wiederaufgebauten Stadtschloss passieren soll, reagiert: Koloniale Objekte | |
würden als Weltkunst präsentiert, lautete der Vorwurf, und damit werde die | |
Welt aus einem europäischen Blickwinkel betrachtet und alles am Maßstab | |
Europas gemessen. Zuletzt war auch die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy | |
aus dem Expertenbeirat mit der Begründung ausgetreten, dass beim Humboldt | |
Forum die Provenienzforschung nicht genug ernst genommen würde. | |
Jene Lücken in den Archiven aufzuarbeiten und Kolonialgeschichte sichtbar | |
zu machen, kündigt das Humboldt Forum nun an. Nach Christina Sharpe spricht | |
an dem Abend der Kulturanthropologe Friedrich von Bose, der in seiner | |
Doktorarbeit die Konflikte um das Humboldt-Forum begleitet und dokumentiert | |
hat. Er erläutert, wie schwierig es sei, ein umfassendes Projekt anzugehen, | |
das alle miteinbeziehe und kritisch wie auch verantwortungsvoll mit | |
Raubkunst und Kolonialismus umgehe, ohne eurozentristisch zu sein. | |
Das Bewusstsein der Verantwortlichen scheint sich in Reaktion auf die | |
Kritik geändert zu haben. Mit „Das Milieu der Toten“ hatten nun die | |
Nachfahren der von Sklaverei Betroffenen, schwarze Frauen und Männer, die | |
das Nachleben des Kolonialismus immer noch und aufs Neue beeinträchtigt, | |
das Wort, anstatt dass nur über sie geredet wird. Oder wie es Christina | |
Sharpe sagt: Es gehe nicht darum, wie François Hollande ein Denkmal zur | |
Abschaffung der Sklaverei in Guadeloupe einzuweihen und so die Geschichte | |
wegzuschließen. Es gehe darum, die Namen der Vergessenen zu nennen und | |
festzuhalten, was heute ist: „Diese EU-Einwanderungspolitik tötet“, sagt | |
Sharpe, „wir leben immer noch ‚in the wake of slavery‘.“ | |
9 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Daphne Weber | |
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