# taz.de -- bedingungsloses grundeinkommen: Wenn, dann radikal | |
> Geld vom Staat für alle? Das funktioniert nur mit dem richtigen Modell | |
Von Kilian Jörg und Jorinde Schulz | |
Über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird in vielen westlichen | |
Staaten diskutiert. Das Zerfallen des Sozialstaats, die Prekarisierung und | |
Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen und eine hochtechnologisierte | |
Produktion geben dazu reichlich Anlass. Zur letzten Bundestagswahl konnte | |
man das BGE mit der Ein-Thema-Partei „Bündnis Grundeinkommen“ sogar wähle… | |
Den Wahlkampf prägte diese Vorschlag für eine radikale Sozialreform | |
trotzdem nicht. Noch hat sich keine der etablierten Parteien durchgerungen, | |
das BGE in ihr Programm aufzunehmen. | |
Bei den Grünen sind viele der Idee gegenüber offen – auch wenn die | |
bisherigen Konzepte laut Renate Künast „noch nicht ausgereift“ sind. Bei | |
der Linkspartei hat das Grundeinkommen mit Katja Kipping sogar in der | |
Parteispitze eine mächtige Fürsprecherin. Selbst innerhalb der FDP und SPD | |
gibt es Stimmen, die es in Erwägung ziehen. Die Jamaika-Koalition in | |
Schleswig-Holstein hat sich mit ihrem „Zukunftslabor“ ein | |
Grundeinkommens-Experiment vorgenommen. Auch innerhalb der traditionell | |
zurückhaltenden Gewerkschaften gibt es Bewegung, sicherlich nicht zuletzt | |
unter dem Eindruck eines andauernden Systems von Hartz-IV-Demütigungen. | |
Bisher ging der Impuls für das BGE von unternehmerischen Kleinprojekten wie | |
der Crowdfunding-Mission „Mein Grundeinkommen“ oder der anthroposophisch | |
geprägten „Grundeinkommensinitiative“ aus. Diese Initiativen halten das | |
BGE für ein notwendiges Update für den Sozialstaat, das auf Veränderungen | |
der Arbeitswelt reagiert und durch eine Linderung des Existenzdrucks | |
individuelle Freiheit befördert. Durch Digitalisierung und | |
Technologisierung, so die Annahme, fallen zukünftig immer mehr | |
Arbeitsplätze weg. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei dazu geeignet, | |
die sozialen Folgen dieser als unvermeidbar dargestellten ökonomischen | |
Entwicklung abzufedern. Aus diesem Grund wird das BGE seit einigen Jahren | |
sogar von Wirtschaftsbossen wie Telekom-Chef Timotheus Höttges und | |
Tesla-Vorstand Elon Musk befürwortet und erlebt einen Sympathieaufschwung | |
im Silicon Valley. | |
Diese neuen Befürworter schüren wiederum im linken Lager Bedenken, dass das | |
BGE als eine Art Beruhigungspille für von Digitalisierung und Outsourcing | |
überflüssig gemachte Arbeitskräfte dienen soll, damit diese die Ordnung des | |
Kapitalismus nicht bedrohen. Die gewonnene Freizeit würden sie dann in die | |
kostenlose Optimierung sozialer Plattformen und das erhaltene Sümmchen in | |
den Konsum billig produzierter Güter stecken. Gegenwärtige | |
Ausbeutungsstrukturen würden also weiter am Laufen gehalten, existierende | |
Sozialsysteme noch weiter ausgehöhlt. | |
Das Grundeinkommen birgt die Chance, Arbeitsverhältnisse und Lebensformen | |
radikal zu verbessern – gerade weil es das überholte, inhärent sexistische | |
(weil zum Beispiel die Kindererziehung vernachlässigende) Modell der | |
Lohnarbeit unterwandert. Und doch: In dem viele Modelle die Annahme einer | |
quasi natürlich fortschreitenden Technologisierung und einer damit | |
einhergehenden Arbeitsreduktion unhinterfragt hinnehmen, verschleiern sie | |
zweierlei. Erstens, dass beides auf globalen Ungleichheiten beruht. Und | |
zweitens, dass man das Grundeinkommen auch anders gestalten kann. | |
Es kommt also auf das richtige Modell an, damit sich das BGE nicht als | |
Bewahrer oder gar Beschleuniger bisheriger ökonomischer Kreisläufe erweist. | |
Vielversprechend ist der Entwurf des schwedischen Ökologen Alf Hornborg. | |
Dieser ist sowohl sozial-solidarisch als auch ökologisch-nachhaltig | |
gedacht. Seine Grundlage ist die Schaffung eines lokalen | |
Wirtschaftskreislaufes durch die Einführung einer alternativen Währung. In | |
dieser „Komplementärwährung“ (CC), die nur für Produkte verwendet werden | |
darf, die innerhalb eines begrenzten Radius produziert worden sind, soll | |
das Grundeinkommen ausgezahlt werden. | |
Hierbei geht es um viel mehr, als den Status quo erträglicher zu machen. | |
Hornborgs Modell will die Probleme wirtschaftlicher Asymmetrien nicht nur | |
durch nachträgliche Umverteilung lindern, sondern sie an ihrer Wurzel | |
packen. Die Ungerechtigkeiten des heutigen Wirtschaftssystems haben nämlich | |
vor allen Dingen etwas mit dem Design ihres allgemeinen | |
Kommunikationsmediums (Niklas Luhmann) zu tun: Geld. | |
Euro, Dollar und Co sind auf globaler Ebene universell eintauschbar. Das | |
ermutigt und verstärkt das Ausnutzen globaler Ungleichheiten. 500 Euro, der | |
Preis eines Smartphones, lassen sich in reichen Ländern wie Deutschland in | |
zwei durchschnittlichen Arbeitswochen erwirtschaften. Ein*e Arbeiter*in in | |
China würde dafür Monate brauchen. Die durch solche universalen Währungen | |
bedingten Unterschiede führen zu einer massiven Konzentration von | |
Ressourcen und technologisch komplexen Produkten in reichen Ländern. | |
Solange also global prinzipiell alles beliebig umtauschbar ist, wird bei | |
den herrschenden Ungleichheiten ein bedingungsloses Grundeinkommen – | |
welches übrigens nur innerhalb der reichen Länder diskutiert wird – die auf | |
denselben Ungleichheiten basierende wirtschaftliche Ordnung zementieren. | |
Die Skepsis gegenüber dem BGE ist also verständlich. | |
Sie sollte aber als Anstoß zum Weiterdenken gesehen werden. Denn führte man | |
das BGE in einer von Hornborg vorgeschlagenen Komplementärwährung ein, die | |
lokal begrenzt wäre, böte man eine tatsächliche Alternative. Das in dieser | |
Währung ausgezahlte Grundeinkommen ginge einher mit der Förderung lokaler | |
Wirtschaftskreisläufe und würde das Paradox bisheriger BGE-Vorschläge, | |
solidarisch sein zu wollen und ökonomische Privilegien auf globaler Ebene | |
eigentlich noch zu verstärken, zumindest abschwächen. | |
Ein bedingungsloses Grundeinkommen nach diesem Prinzip vereint ur-grüne und | |
ur-linke Anliegen – und könnte den Anstoß für einen im Wortsinne radikalen | |
sozialökologischen Umbau geben. | |
30 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Kilian Jörg | |
Jorinde Schulz | |
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