# taz.de -- Christiane Müller-Lobeck Leuchten der Menschheit: Im Zuschauerraum… | |
In ihrem Essay zur Ethik der politischen Gegnerschaft erhebt die | |
Philosophin Marie-Luisa Frick den Streit zum Wesenskern demokratischer | |
Gesellschaften. „Zivilisiert streiten“ (Reclam 2017) – kein Titel für ein | |
Buch der Stunde. Denn nicht selten wird dieser Tage angesichts der | |
Verlautbarungen der Jamaika-Verhandler gemahnt, dass „der Kompromiss der | |
Kern der Demokratie“ (SZ) sei. | |
Die Marschrichtung gab Wolfgang Schäuble in seiner Antrittsrede zum Amt des | |
Bundestagspräsidenten vor, der Versöhnung und Konsens beschwor: „In einem | |
demokratischen Gemeinwesen ist kein Thema es wert, über den Streit das | |
Gemeinsame in Vergessenheit geraten zu lassen.“ Momentchen, denkt da | |
vermutlich nicht nur manch AfD-WählerIn. | |
Genau, würde Frick sagen. Denn das Prinzip Konsens, wie es etwa den | |
Demokratietheoretikern John Rawls oder Jürgen Habermas vorschwebt, setzt | |
mehr voraus als nur die Einigkeit aller, die Demokratie zu befürworten. | |
Stellt man den Konsens ins Zentrum, gehe das nur, wenn man zugleich die | |
Vernunft als rote Linie einziehe. Ein guter Kompromiss ist dann nicht, | |
worauf sich operativ geeinigt wird. Sondern umgekehrt: Nur das Vernünftige | |
gilt als guter Kompromiss (Alexander Dobrindt, CSU: „Wenn man | |
Schwachsinnstermine abräumt, dann ist das ja noch kein Kompromiss.“) | |
Frick sieht darin eine „Doppelblindheit“: Zum einen entwerte die | |
Konzeption, die „Natur des Politischen, die immer schon ein Kampfplatz von | |
Ideen und Interessen ist, „zum anderen sei sie blind gegenüber der | |
(möglicherweise) ausschließenden Wirkungsweise der Kategorien ‚Vernunft‘ | |
oder ‚Vernünftigkeit‘“. Die Versuche, unliebsame Positionen zur Unvernun… | |
zu erklären und damit in ein Außerhalb der legitimen politischen | |
Auseinandersetzung zu setzen, sind Legion. Allzu leichtfertig würde dabei, | |
was eigentlich politische Gegnerschaft sei, als Feindschaft interpretiert. | |
Frick hält es mit der Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe. Die stört | |
sich daran, wie das Moralisieren ins politische Feld geholt wird. Mouffe | |
stellt die Unauflösbarkeit vieler politischer Konflikte ins Zentrum ihrer | |
Überlegungen, die sie mit „politischer Gegnerschaft“ überschreibt. Im | |
Rahmen geteilter demokratischer Prinzipien können sich die Akteure als | |
„Kontrahenten mit grundsätzlich legitimen Auffassungsunterschieden“ | |
begreifen. So gesehen lässt sich dann trefflich streiten. Aber auch | |
Einigungen seien, so Mouffe, in diesem „agonistischen“ statt | |
„antagonistischen“ Streit möglich, solange sich alle durch ein | |
demokratisches Band verbunden wissen. Frick überlegt dann auch, wie man mit | |
erklärten Demokratiefeinden umgehen kann. Wir aber nehmen vorerst wieder | |
Platz im Zuschauerraum der Jamaika-Bühne – auf der aller Voraussicht nach | |
kein Einheitsbrei gerührt wird. | |
Die Autorin ist freie Journalistin in Hamburg | |
18 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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