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# taz.de -- nord🐾thema: „Unsere Gesellschaft tickt nicht richtig“
> Hans-Günter Weeß beschäftigt sich mit Schlafstörungen. Schlechter Schlaf
> gehört zum Leben dazu, sagt der Psychologe und kritisiert die
> Bagatellisierung des Themas – und die zu allzu häufige Verschreibung von
> Schlafmitteln, wo „Schlafhygiene“ weiterhelfen könnte
Bild: Kann schon etwas bewirken: Eine Frau packt eine neue Matratze aus
Interview Philipp Nicolay
taz: Herr Weeß, schlafen Sie selbst immer gut?
Hans-Günter Weeß: Ich muss es ja eigentlich wissen, wie es geht und deshalb
schlafe ich die meiste Zeit gut. Schlechter Schlaf gehört aber zum Leben
dazu. Wenn wir uns in krisenhaften und belastenden Situationen befinden,
reagieren wir vorübergehend mit einem gestörten Schlaf. Das versetzt mich
aber nicht in Unruhe, weil ich weiß, wenn die Belastung vorbei ist, schlafe
ich wieder besser.
Warum ist gesunder und ausreichender Schlaf eigentlich so wichtig?
Schlaf ist eine elementare biologische Funktion. Wenn wir nicht essen,
trinken und schlafen, sterben wir. Ein Monat ohne Schlaf würde schon zum
Tod führen. Wir brauchen ihn dringend jeden Tag. Wir verschlafen
durchschnittlich ein Drittel unseres Lebens. Menschen, die nicht
ausreichend schlafen, haben ein höheres Risiko für Herz-
Kreislauferkrankungen, psychische Erkrankungen und auch die Lebenserwartung
ist verkürzt.
Wie lange sollten erwachsene Menschen mindestens schlafen?
Die Schlafdauer ist genetisch festgelegt. Bei den meisten Menschen liegt
sie zwischen sechs und acht Stunden. In Deutschland sind das etwa 85
Prozent der Bevölkerung.
Gibt es Aktivitäten, die Menschen kurz vor dem Einschlafen vermeiden
sollten?
Natürlich, wir fassen diese immer unter dem Stichwort „Schlafhygiene“
zusammen: Schwere Mahlzeiten kurz vor dem Zubettgehen sind nicht mit Schlaf
kompatibel. Sportliche Aktivitäten oder das Einschlafen vor dem Fernsehen
gehören ebenfalls in diese Kategorie. Wir sollten auch nicht bis kurz
vorher arbeiten. Ein weiterer Faktor können die Beleuchtungsverhältnisse
sein. Wenn wir uns Licht mit Blaulichtanteil aussetzen, dann kann das
unsere Melatonin-Produktion unterdrücken. Melatonin ist ein wichtiger
Schlafbotenstoff.
Woran bemerken Menschen, dass sie unter Schlafstörungen leiden?
Sie merken es daran, dass sie ein Schlafbedürfnis haben, aber das
Einschlafen nicht gelingt. Wir sprechen von einer behandlungswürdigen
Schlafstörung, wenn dies mindestens dreimal pro Woche über einen Zeitraum
von vier Wochen auftritt. Hinzu kommen Einschränkungen am Tag wie
Müdigkeit, eine hohe Fehlerrate, Stimmungsschwankungen oder psychische
Symptome.
Kommt es vor, dass Patienten sich zu spät mit dem Problem beschäftigen,
also Hilfe suchen?
Es ist ein Problem in unserem Gesundheitssystem, dass es für Schlafgestörte
oft nicht die adäquate Hilfe gibt. In unserem Gesundheitssystem gibt es
sehr wenig Kompetenz, was die Behandlung von Schlafstörungen betrifft.
Schlafmittel sorgen nicht für eine ursächliche Behandlung des Problems. In
Deutschland haben wir je nach Studie 1,1 bis 1,9 Millionen Menschen, die
von Schlafmitteln abhängig sind. Es ist also eine Abhängigkeit nach Rezept.
Um konkret zu werden, wie kann die Schlafforschung bei Schlafstörungen
helfen?
Die hauptsächliche Ursache ist, dass die Menschen nachts im Bett zwar
körperlich anwesend sind, sich emotional aber noch irgendwo anders auf der
Welt befinden. Sie können nicht abschalten und daraus entwickelt sich ein
psycho-physiologisches Anspannungsniveau. Anspannung ist der Feind des
Schlafes. Schlafgestörte Menschen gehen ins Bett und wollen unbedingt
schlafen, aber dann bleiben sie wach. Die kognitive Verhaltenstherapie
vermittelt dem Patienten Techniken, bei denen er wieder in die Entspannung
kommt.
Können Sie Faktoren nennen, die wichtig sind für einen gesunden Schlaf?
Entspannung in der Bettsituation, nicht Grübeln und sich auch nicht unter
Druck setzen, einzuschlafen, sind wichtig. Weiterhin sollten wir nachts bei
Dunkelheit schlafen und Schichtarbeit, wenn möglich, meiden. Die bereits
genannten Regeln der Schlafhygiene sollten beachtet werden. Ins Bett gehen
zu Zeiten, die unserem Schlaftyp entsprechen. Es gibt Lerchen, die eher
früher ins Bett gehen und früher aufstehen. Eulen gehen dagegen eher später
schlafen und stehen später auf.
Woran liegt es, dass heutzutage immer mehr Menschen Probleme mit dem
Schlafen haben?
Wir schätzen den Schlaf immer weniger. Wir leben in einer Gesellschaft, die
uns durch Stressbelastungen zunehmend den Schlaf raubt. Unsere Gesellschaft
tickt auch nicht richtig, was die innere Uhr des Menschen angeht. Arbeit
und Schule beginnen für zwei Drittel unserer Gesellschaft viel zu früh. Wir
leben in einer Wecker-Gesellschaft, in der wir unser Schlafprogramm jede
Nacht vorzeitig beenden. Das bedingt chronischen Schlafmangel.
Um ganz genau zu untersuchen, gibt es vielerorts inzwischen Schlaflabore.
Was passiert dort eigentlich?
Wir beobachten die Hirnströme, die Augenbewegungen, die Atmung, die
Muskelspannung und die Körpertemperatur, um so die unterschiedlichen
Schlafstörungen zu erkennen. Wir sind in der Lage zu beschreiben, ob jemand
genug Tiefschlaf- und Traumphasen oder zu viele Wachphasen hat.
Kann eine einfache Maßnahme – sagen wir: eine neue Matratze – auch schon
etwas bewirken?
Das hängt natürlich immer von der Ursache ab. Auch auf der körperlichen
Ebene müssen wir entspannt sein. Wenn ich eine Matratze habe, die zu
Schmerzen führt, dann kann der Austausch einer Matratze bereits das Problem
lösen.
18 Nov 2017
## AUTOREN
Philipp Nicolay
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