# taz.de -- Bodenlos | |
> Kobalt, Nickel, Ammonium – in Madagaskars Boden lagern gigantische | |
> Reichtümer. Internationale Unternehmen kaufen dem Staat das Land ab, das | |
> Einheimische bewirtschaften. Ein Kirchenprojekt hilft Bauern, ihre | |
> Landrechte durchzusetzen | |
Bild: Rasolofoarivola Modestine und der Anwalt Bemandranto Christian helfen ein… | |
Aus Ambatomainy und Toamasina Margarete Moulin | |
Ambatomainy im immergrünen Regenwald Madagaskars wirkt wie eine friedliche | |
Welt aus Bambushütten. Das Dorf liegt inmitten von Feldern, auf denen | |
Maracujas und Bananen unter warmer Sonne reifen. Doch für Lahardy Rafidison | |
könnte der Frieden bald ein Ende haben. Der Bauer sitzt mit seinen Nachbarn | |
im Schatten eines Maulbeerbaumes und sie sprechen über das Loch, dass | |
wenige Kilometer entfernt auf einer Bergkuppe klafft: 25 Quadratkilometer | |
Kahlschlag im Wald, auf denen Radlader und Bagger umherfahren, Erdboden | |
abtragen und in einer Pipeline abladen, die hier beginnt. Es ist der | |
Tagebau Ambatovy, die größte Kobalt- und Nickelmine im südlichen Afrika. | |
„Bald müssen wir hier weg“, sagt Lahardy Rafidison. Denn Ambatomainy liegt | |
in der Abbauzone der Mine. Vor einiger Zeit kamen Vertreter des | |
Minenbetreiber. Sie boten den 18 Bauernfamilien Geld und neue Felder. Doch | |
die stellten sich als minderwertig heraus, sagt Rafidison. Die Ernte fiel | |
deutlich schlechter aus. „Wir wissen genau, was unsere Erde wert ist,“ sagt | |
er. „Wir wollen unser Land behalten oder guten Boden gegen guten Boden.“ | |
Stattdessen sei nun ihr Trinkwasser verschmutzt, weil die | |
Bergbaugesellschaft das Abwasser der Arbeitersiedlung direkt in den nahen | |
Fluss leitet. Außerdem sei der Grundwasserspiegel deutlich gesunken, | |
seitdem so viele Bäume gefällt wurden, Für seine drei Hektar | |
Eukalyptusbäume, die für die Mine umgesägt wurden, habe Rafidison nur | |
210.000 Ariary erhalten, sagt er – umgerechnet sind das keine 60 Euro.Die | |
Mine wird seit 2012 von dem kanadischen Energiekonzern Sherritt | |
International gemeinsam mit kleineren japanischen und koreanischen Firmen | |
betrieben. Milliarden Dollar sind in das Projekt geflossen – die größte | |
ausländische Investition, die je auf Madagaskar getätigt wurde. Ein Teil | |
der Summe kam von der Europäische Investitionsbank der EU. | |
Ambatovy hat mit der madagassischen Regierung eine Langzeitpacht | |
ausgehandelt: Für 150 Millionen US-Dollar bekommt es für mindestens 29 | |
Jahre die Schürfrechte im Bergwald. Bis dahin will der Konzern 60.000 | |
Tonnen Nickel und 5.600 Tonnen Kobalt abbauen, dazu 210.000 Tonnen | |
Ammoniumsulfat, einen Stoff, der unter anderem für Dünger verwendet wird. | |
Erdreich, das die Bagger in Ambatovy abräumen, wird mit Wasser aus dem | |
Mangorofluss vermischt. Es entsteht ein zähflüssiger Schlamm, der in einer | |
220 Kilometer langen Pipeline quer durch die Wälder bis nach Toamasina | |
gepumpt wird. Hier, im wichtigsten Hafen an Madagaskars Ostküste, steht | |
Ambatovys Raffinerie. | |
Lahardy Rafidison, der alte Bauer, und die anderen Leute aus dem Dorf | |
Ambatomainy haben Angst, dass es ihnen so ergeht wie ihren Nachbarn aus dem | |
Dorf Berano. Die wurden für die Mine bereits umgesiedelt. Eine neue Straße | |
führt von Ambatomainy in steilem Auf und Ab zwei Kilometer nach Berano. Der | |
Umzug sei den Dorfbewohnern verlockend dargestellt worden, sogar eine neue | |
Krankenstation habe die Bergbaugesellschaft ihnen versprochen, berichtet | |
eine junge Mutter in Berano. „Erst hinterher stellte sich heraus, dass wir | |
selbst für das Personal zahlen sollten.“ So gibt es zwar die | |
Krankenstation, aber sie steht verriegelt und ungenutzt da. Ebenso hat | |
Ambatovy eine neue Schule errichtet. „Dann hieß es, wir Eltern müssten für | |
das Gehalt der Lehrer aufkommen.“ Die versprochene Schulkantine existiert | |
bis heute nicht. | |
Auch die neue Straße sei den Bewohnern der Region als Fortschritt verkauft | |
worden. Sie dient aber vor allem der Wartung der Pipeline und ist für | |
Geländewagen angelegt. Die besitzt hier kein Bauer. Für Ochsenkarren ist | |
sie zu steil. „Dabei hatte uns Ambatovy zugesichert, dass wir eine Straße | |
bekommen, die auch für uns nutzbar ist“, sagt der alte Rafidison. | |
Schriftlich festgehalten wurde dies indes nirgends. | |
Der Konflikt um Ambatovy ist nur einer von vielen auf der großen Insel im | |
Indischen Ozean. Als besonders unbeliebt gelten auf Madagaskar chinesische | |
Unternehmen, weil sie nur in ihr eigenes Unternehmen, nicht ins Land | |
investieren und kaum Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung bieten. | |
Ambatovy macht indes großzügige Investitionen. Die Liste der Projekte auf | |
der Homepage liest sich beeindruckend: 8.000 Arbeitsplätze, die vielen | |
Familien ein besseres Einkommen garantieren, dazu Steuerzahlungen, rund 20 | |
Millionen Dollar allein im vergangenen Jahr. „Bis jetzt haben wir 250 | |
Millionen US-Dollar in die Region investiert“, versichert die | |
Ambatovy-Sprecherin Vony Ramahaleo. Das Geld sei in den für die Mine | |
nötigen Straßenbau geflossen, in den Hafen von Toamasina – dorthin also, wo | |
die Pipeline endet, außerdem in die notwendige Stromversorgung, in Schulen, | |
Sportplätze und gemäß den Auflagen auch in Umwelt- und Artenschutz. | |
## Der gerodete Regenwald ist für immer verloren | |
Doch das Beispiel des Dorfs Berano zeigt: Ein Schulgebäude, eine | |
Krankenstation oder eine Straße zu bauen heißt noch nicht, dass dort dann | |
auch Unterricht, medizinische Versorgung oder Transport möglich sind. | |
Erodierende Hänge neben der Straße wurden nur mit Gras „aufgeforstet“. Der | |
gerodete Regenwald ist für immer verloren: „Wir werden ihn progressiv zu | |
einem multifunktionellen Wald aufforsten, der sich in den Regenwald | |
integriert“, sagt etwas umständlich die Ambatovy-Sprecherin Ramahaleo dazu. | |
Doch neuer Regenwald wird dabei nicht entstehen, sondern Nutzwald für die | |
Forstwirtschaft. | |
Auch können die gezahlten Entschädigungen nicht den Wert von Reisfeldern, | |
Eukalyptusbäumen, Orangenhainen oder Bananenfelder erfassen, die seit | |
Jahrzehnten in den Familien weitergereicht wurden. Denn ist das Land einmal | |
verkauft und das Geld dafür aufgebraucht, gehen alle nachfolgenden | |
Generationen leer aus. | |
In einem Urlaubsresort an der Ostküste, zwei Stunden südlich von Toamasina, | |
klatschen die Wellen des Indischen Ozeans an den Strand, Wind raschelt in | |
den Palmen. An einem der Tische auf der Hotelterrasse sitzt der | |
Wirtschaftsminister Herilanto Raveloharison, ein gewichtiger Mann mit einem | |
beeindruckenden Bart. Er sieht kein Problem darin, dass ausländische | |
Investoren riesige Mengen unverarbeitete Rohstoffe außer Landes schaffen | |
und so keine Wertschöpfung im Land stattfindet, sagt er. | |
Im Falle der Kobalt- und Nickelmine von Ambatovy verlassen 98 Prozent des | |
Aushubes das Land Richtung Kanada und werden dort weiter verarbeitet, nur 2 | |
Prozent bleiben im Land. Der Mehrwert wird also anderswo geschaffen. „Das | |
macht nichts, wenn dafür die Produkte in weiterverarbeiteter Form | |
zurückkommen und der Bevölkerung zugutekommen“, sagt der Minister. Die | |
Frage, wie sich die Menschen diese dann leisten sollen, beantwortet er so: | |
„Wir brauchen ein inneres Wachstum, einen Reichtum, der von allen | |
geschaffen wird und von dem alle profitieren.“ | |
Genau das geschieht aber nicht. Mirantsoa Rasolomandimby sitzt in ihrem | |
Büro im Bischofssitz von Moramanga, unweit von Ambatovy. Sie koordiniert | |
das Projekt Taratra, einen Zusammenschluss der fünf von der Mine Ambatovy | |
betroffenen Distrikte. Das Projekt will den Menschen mehr Mitspracherecht | |
verschaffen. Das Wort Taratra bedeutet Transparenz. Rasolomandimby sagt: | |
„Vom Wohlstand, den die Mine den Bewohnern angeblich bringen sollte, ist in | |
der Bevölkerung nicht viel angekommen.“ Und sie bemängelt einen weiteren | |
Punkt: „Ambatovy hat seit 2012 keine Förderabgaben gezahlt.“ Die liegen bei | |
einem Prozent, das klingt nach nicht viel. Aber orientiert man sich am | |
Weltmarkpreis von Nickel und Kobalt, wären 48 Millionen US-Dollar fällig | |
geworden. | |
Taratra sagt, das Minenministerium schickt Ambatovy einfach keine | |
Zahlungsaufforderung. Auf Nachfragen hin habe die Regierung dies damit | |
gerechtfertigt, sie traue den kleinen Kommunen nicht zu, die zugeteilten | |
Gelder richtig zu verwalten. | |
In der Bevölkerung wächst derweil der Widerstand gegen die Minenkonzerne. | |
Die Kirche stellt sich dabei auf die Seite der Bauern. Sie hat traditionell | |
auf Madagaskar ein großes Gewicht. Wichtigste Institution im Kampf für die | |
Rechte der Bauern ist das BIMTT, ein bei den Jesuiten angesiedeltes | |
ökumenisches Netzwerk, das vom katholischen Hilfswerk Misereor unterstützt | |
wird. Der Vorsitzende, Pater Noël Cyprien Razafinandraina, ist ein | |
besonnener Mann mit einem Holzkreuz auf der Brust. „Um die Bauern vor dem | |
Landraub zu schützen, nutzen wir die Gesetze. Und da gibt es eines, das | |
seit 2006 den Kommunen erlaubt, den Bauern Landzertifikate auszustellen“, | |
sagt er. | |
Zuvor durfte dies nur das staatliche Katasteramt. Und das verlangte 400 | |
Euro pro Hektar für die Vermessung – unbezahlbar für einen Kleinbauern. | |
„Jetzt können auch die Gemeinden Zertifikate ausstellen, die nur einen Euro | |
pro Hektar kosten“, sagt Noël. Das bezahlen die Bauern; Misereor trägt die | |
Kosten für die Landvermesser, Luftbilder, GPS-Geräte und Computer, die | |
Verwaltungs- und Fahrkosten. Bereits die Hälfte der madagassischen | |
Gemeinden kann heute so Zertifikate erstellen. | |
In Analakely in, der Diözese Tsiroanomandidy, rund 200 Kilometer westlich | |
der Hauptstadt, im Hochland Madagaskars, haben sich deswegen an einem | |
Septembertag auf dem staubigen Dorfplatz rund 50 Bauern und Bäuerinnen | |
versammelt, um ihren Antrag auf Landvermessung zu stellen. Pulte wurden aus | |
der Schule geholt und im Schatten der Niembäume zu einer langen Reihe | |
gestellt. Formulare, Stempel, Stifte liegen darauf. Zwischen den vielen | |
Menschen wuselt die madagassische Ordensschwester Modéstine in blauer | |
Tracht und mit weißer Haube auf dem Kopf herum. Sie beugt sich hier und da | |
über eine Schulter, hilft beim Ausfüllen, beantwortet Fragen, drückt | |
Stempel auf. | |
Die resolute Frau gehört zu einer Schwesternkongregation. Die Nonnen | |
erklären den oft wenig gebildeten Bauern ihre Rechte und ermutigen sie, | |
sich als Landbesitzer registrieren zu lassen. „In unserer Diözese haben | |
schon jetzt sehr viele Familien nicht genug zu essen. Wir helfen ihnen, | |
durch bessere Anbaumethoden ihre Erträge zu steigern“, sagt Schwester | |
Modéstine. „Aber dafür brauchen sie ihr Land. Und damit es ihnen nicht | |
weggenommen wird, brauchen sie ein Zertifikat.“ | |
Einen Antrag hat Bauer Joachin Rakotondraivo aus Bevato schon vor einiger | |
Zeit ausgefüllt. Der Vater dreier Kinder ist ein schmaler Mann, seine | |
schrundigen Füße erzählen vom vielen Barfußlaufen auf der trockenen Erde. | |
Über seine eckigen Schultern spannt sich ein abgetragenes T-Shirt. Doch in | |
seinen Augen liegt ein Ausdruck gespannter Erwartung. Heute folgt der | |
nächste Schritt. Sein Land wird vermessen. In einer Senke mitten im | |
Hochland liegen seine Reisterrassen. Knallgrün stehen die jungen Pflanzen | |
im Wasser. An diesem Vormittag läuft auf den Lehmdämmen ein junger | |
Landvermesser, Taky Rafazindrasata. In der ausgestreckten Hand hält er ein | |
GPS-Gerät. Alle paar Meter bleibt er stehen und diktiert seinem Kollegen | |
die Koordinaten in den Block. „380 … 637 … 822 … 963“, sagt er, als er | |
einen Mangobaum erreicht. Der Bauer Rakotondraivo und ein Nachbar folgen | |
den beiden. Letzterer soll an jedem Messpunkt bestätigen, wo die Grenze zu | |
seinem Grund verläuft. „Wir wollen Nachbarschaftsstreit ausschließen“, sa… | |
der Vermesser und fügt hinzu: „Wir haben bereits mehr als 700 Landflächen | |
erfasst.“ Nach vier Stunden sind alle Koordinaten gesammelt. In zwei Wochen | |
wird die Gemeindeverwaltung ihm sein Landzertifikat geben, dazu ein | |
Luftbild mit seinem rot umrandeten Areal. „Jetzt kann ich wieder ruhig | |
schlafen“, sagt Rakotondraivo. | |
Der Text entstand während einer vom kirchlichen Hilfswerk Misereor | |
finanzierten Recherchereise | |
9 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
margarete moulin | |
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