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# taz.de -- Alek Zivanovic Ausgehen & Rumstehen: Ein Hochhaus aus Baumwolle und…
Freitagnacht in der Köpenicker Straße. Ein großer Mann posiert vor dem
Schaufenster des Vattenfall-Kundenzentrums. Er zuppelt an seinem schwarzen
Mantel herum, Kragen hoch, nein, Kragen runter. Dann geht er, offenbar mit
sich zufrieden, weiter und stellt sich in die Schlange vor dem Tresor. Vor
dem Ohm, direkt nebenan, muss man zum Glück nicht warten. Das Ohm ist ein
gekachelter Club, in dem elektronische Musik läuft. Die Partyreihe heißt
Kookoo und steht unter dem Motto „when i see the towers fall …“.
„Musik und Installationen“, hatte U. versprochen, der jetzt aber selbst
doch nicht mitgekommen ist. Also verpasst er die Skulptur, die sie dort
mitten auf der Tanzfläche errichtet haben: einen sich nach oben hin
verjüngenden und beleuchteten Turm aus penibel zusammengefalteten T-Shirts
und Hemden, karierten, gestreiften, gepunkteten, ungefähr zwei Meter hoch.
Die Musik (sehr gut aufgelegt von Mieko Suzuki und Ara) bildet einen
elektronisch kühlen Kontrast zu diesem Hochhaus aus Baumwolle. Abstrakt
brummende Bässe und flirrende Beats. Die Leute begutachten das Objekt und
stellen sich dann lieber wieder an den Tresen. Sicherheitsabstand. Niemand
will den T-Shirt-Tower umwerfen. Irgendwann entschließt sich eine Frau, um
den Turm herumzutanzen. Zwei andere gesellen sich dazu. Sie umtanzen jetzt
die Skulptur und haben großen Spaß daran. Es macht auch Spaß, ihnen dabei
zuzusehen. Die Tanzfläche füllt sich. Die Musik wird tanzbarer. Der fragile
Turm aber bleibt stehen, zumindest für eine Stunde. Ich verpasse das
Restprogramm.
Dann treffe ich noch H. Wir schlendern den Kottbusser Damm hinunter und
zwängen uns in die David-Lynch-Motto-Bar Black Lodge, wo es donnerstags
immer gut ist, wenn Eric D. Clark auflegt. Aber heute ist Freitag. Da ist
es einfach nur sehr, sehr voll. Und Erik D. Clark legt auch nicht auf. Zu
viele Menschen: Die Twin-Peaks-Kulisse wirkt nicht, weil der Boden mit dem
schwarz-weißen Zickzackverlauf genauso untergeht wie die roten
Samtvorhänge.
Also gehen wir weiter ins Schlawinchen, das auch ziemlich voll ist.
Vereinzelt lungern in dieser Kneipe immer noch Halloweengestalten rum, zum
Beispiel ein eng umschlungenes Vampirpärchen. Neben uns sitzt einer, der
keinen Sinn mehr hat für Platz und Abstand. Er breitet sich auf der
Sitzbank aus, wie es ihm gefällt. Irgendwann dreht er sich zu uns herüber,
und fragt mich: „Was hast du da für Judenzähne?“. Ich stehe auf. „Was h…
du gegen meine Judenzähne?“
Der Sitznachbar schaltet sich ein. Er will schlichten. „Kein Stress, mein
Kumpel hier ist betrunken.“ „Hab ich dir doch gesagt, dass der da
Judenzähne hat“, sagt der andere wieder. Als hätte er gerade eine Wette
gewonnen, bei der es darum ging, die Herkunft meiner schiefen Zähne
festzustellen. Er hat aber keine Wette gewonnen. Trotzdem bleibt er, 30
Jahre, Schiebermütze, weiter da sitzen. „Sei ruhig jetzt!“, ermahnt ihn der
Schlichter und: „Entschuldige, der hat sich nicht unter Kontrolle, wie du
siehst.“ „Und halt jetzt endlich die Fresse“, sagt er noch einmal in
Richtung Schiebermütze. H. zieht an meiner Jacke, sie will jetzt endlich
hier raus. Wir gehen. Draußen scheint der Vollmond.
7 Nov 2017
## AUTOREN
Aleksandar Zivanovic
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