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# taz.de -- Lauschen auf eine andere Musik
> Filme von Huillet/Straub am Samstag im fsk: „Un conte de Michel de
> Montaigne“ und „Dialogue d’ombres“
Von Peter Nau
## Montaigne (1533–1592)
Mit seinem Film nach Montaigne – im Buch II, Kapitel 6 der „Essais“
schildert dieser eine Kollision zu Pferde – knüpft Jean-Marie Straub an
seine Hölderlinfilme an. Wir spüren eine Witterung von kommenden Dingen,
die mit großer Hoffnung verbunden ist. Der mit dem Sterben einhergehende
Verlust des Bewusstseins, der uns so schmerzlich dünkt, erscheint hier als
Wohltat und als Billett für die große Passage, auf der wir mit dem Körper
vielleicht nicht die Wahrnehmung, wohl aber den Schmerz zurücklassen. Indem
Montaigne darlegt, dass die Schrecken des Todes und der letzten Stunden
lediglich in der Einbildung der Lebenden bestehen, spendet er Trost.
Das Auge des Filmbetrachters ruht auf einer Insel im Pariser Verkehrsstrom,
mit blauem Himmel und hochgewachsenem Buschwerk, dessen Laubdach das
Sonnenlicht filtert. Lichter und Schatten tanzen auf dem metallisch
glänzenden Denkmal Montaignes, der in ebenso entspannter wie gravitätischer
Haltung dasitzt. Diese Einstellung ist vollkommen in ihrer Ruhe, wie eine
Darbietung für die reine Meditation. Dazu hört man die Stimme Barbara
Ulrichs, die Montaignes Erzählung aus einer französischen Ausgabe vorliest,
wobei mir Kafkas Tagebuchnotiz in den Sinn kam: „Ich lese Sätze Goethes,
als liefe ich mit ganzem Körper die Betonungen ab.“
„Mir schien“, berichtet Montaigne, „dass mein Leben mir nur noch am Rand
der Lippen hing: Ich schloss die Augen, um zu helfen, so schien es mir, es
auszutreiben, / und nahm Lust, zu erschlaffen und mich gehen zu lassen. /
Es war eine Einbildung, die nur oberflächlich schwamm in meiner Seele, / so
zart und so schwach wie alles übrige, aber in Wahrheit nicht nur frei von
Missfallen, / sondern auch vermischt mit jener Sanftheit, die die fühlen,
die sich in den Schlaf gleiten lassen.“ (Übersetzung: Jean-Marie Straub,
Peter Kammerer)
## Georges Bernanos (1888–1948)
Bernanos’ Novelle „Dialogue d’ombres“ (1928) wurde von Hans Urs von
Balthasar unter dem Titel „Schattenzwiesprache“ ins Deutsche übertragen.
Sie spielt in einem regnerischen Land des französischen Nordens, „das
selbst im April nach der Fäulnis des Herbstes riecht“. Heimlich treffen
sich – während der Regen um sie her rieselt und die Luft angefüllt ist „v…
modulierten Pfeifen der Böe und vom ernsten Zuruf der Raben“ – eine jünge…
Frau (Franziska, aus altem italienischen Adelsgeschlecht) und ihr Liebhaber
(Jacques, ein Schriftsteller in reiferen Jahren). In ihrer Zwiesprache
klingen die Bühnenstücke Claudels an, den Bernanos damals verehrte.
Bei Straub/Huillet ist die schwermütige Flusslandschaft, in der Franziska
und Jacques ihren Dialog aufsagen, vom Tirilieren unzähliger Singvögel
erfüllt. Während wir also der Sprachmelodie des Dialogs der beiden
Liebenden folgen, lauschen wir gleichzeitig auf eine andere, vielfältige
Musik, die die Natur uns überreich anbietet. Ein Konzert ohne
Kapellmeister.
Jacques sitzt unter dem dichten Laubdach eines schlanken Aprilgebüschs,
Franziska – scheinbar weitab von ihm – nahe beim Flussufer. Sie lesen ihren
Text vom Blatt ab, das man später auf ihren Knien liegen sieht. Dabei
erinnern sie an zwei Schachspieler, die sich mit Zug und Gegenzug messen.
Daraus kann sich außer Sieg und Niederlage oder dem Patt noch ein Drittes
ergeben, nämlich, wie hier, die gelungene Partie. – „Im Westen erschien in
einem breiten Riss der Himmel“: Bernanos’ „Dialogue d’ombres“, der um…
menschliche Schuldgefühl kreist, führt vom Dunkel ins Licht. – Der Prolog
des Films – eine hinreißende Sequenz aus Jean-Marie Straubs „Chronik der
Anna Magdalena Bach“ (1968) – gibt ihm die sakrale Tiefenperspektive und
trägt eine Aura von Lebensgefühl, eine Lufthülle biografischer Stimmung in
ihn hinein.
Un conte de Michel de Montaigne(2012) von Jean-Marie Straub und Dialogue
d’ombres(1954–013) von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub sind am
Samstag um 20 Uhr im fsk-Kino am Oranienplatz zu sehen, im Rahmen der am
Sonntag endenden Retrospektive mit den Filmen von Danièle Huillet und
Jean-Marie Straub; www.huilletstraub-berlin.net/de/programm/retrospektive/
4 Nov 2017
## AUTOREN
Peter Nau
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