# taz.de -- Leyla YenirceInselstatus: Drucken lassen und dazu Whiskey-Cola trin… | |
Liebe Insel, Vorurteile gibt es immer und überall, niemand ist vor ihnen | |
sicher. Auch ich trage sie permanent mit mir herum, zum Beispiel wenn ich | |
auf dem Schaufenster des Ladens in der Nähe meiner Wohnung in Wilhelmsburg | |
„Internet und Drucken“ lese, diesen Service aber bewusst nicht in Anspruch | |
nehme, weil mir der Laden zu suspekt ist. Dabei müsste ich eigentlich | |
dringend das Zugticket für die Fahrt am nächsten Tag ausdrucken. | |
Was mache ich stattdessen? Einen langen und umständlichen Spaziergang zu | |
Freunden, die einen Drucker besitzen, ich verliere Zeit und mache mir | |
Arbeit. Nun habe ich mich neulich das erste Mal getraut, in diesen Laden zu | |
gehen, dessen Fenster abgedunkelt sind und dessen große | |
Neon-Eingangsschilder eher an ein dubioses Etablissement erinnern als an | |
einen Copy-Shop. Und was ist passiert? Eine freundliche Mitarbeiterin hat | |
mir mein Zugticket ausgedruckt. | |
Dieser Laden ist ein für Wilhelmsburg typischer Mischmasch-Laden, er ist | |
Karaoke Bar, Shisha-Café, Tabakbörse und Internetcafé zugleich. Vor ihm | |
sitzen meistens Männer an großen Plastiktischen in Rattan-Optik und rauchen | |
fröhlich Wasserpfeife. Wahrscheinlich war das ein Grund, warum ich | |
abgeschreckt war oder anfangs nicht geglaubt habe, dass ich dort | |
tatsächlich eine Dienstleistung in Anspruch nehmen kann. | |
Und so ist es oft, liebe Insel. Viele Läden machen gerade aufgrund ihrer | |
Multifunktionalität einen schrägen Eindruck. Während im Schaufenster vieler | |
Geschäfte im Reiherstiegviertel neue Handys funkeln, sind im Hintergrund | |
die Spielautomaten erkennbar. Wenn man aber erst mal in diese Läden | |
reingeht, sind die Mitarbeitenden in den meisten Fällen sehr freundlich. | |
Letztendlich ist es ja auch egal, wer was wie in seinem Laden macht, so | |
lange die Besucher*innen ihren Geschäften nachgehen können. | |
Ich freue mich, dass ich mir doch keinen Drucker kaufen muss und bei Bedarf | |
nicht mehr weit laufen muss. Hätte ich das schon eher gemacht, hätte ich | |
viel Zeit und Arbeit sparen können. Im Gegensatz zu anderen Geschäften ist | |
dieser Laden bis in die Nacht geöffnet und hat mich auch schon nach | |
Mitternacht mit dem Druck von Zugtickets versorgt. Für mich ist der Laden | |
mittlerweile zu einer wichtigen Institution geworden, die ich regelmäßig | |
aufsuche, weil man dort nicht nur drucken, sondern auch kopieren oder | |
Bürobedarf kaufen kann, während andere Whiskey-Cola trinken. | |
Läden wie dieser machen das Leben auf der Insel einfacher, da man hier | |
alles bekommt, was man auch auf der anderen Elbseite kriegt. | |
Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus | |
Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den | |
urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie. | |
30 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Leyla Yenirce | |
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