# taz.de -- Früher war alles besser | |
> Schweden war ein große Nummer im Tennis. Doch dann kam der Einbruch. Nun | |
> sollen junge Talente wie Elias Ymer und Leo Borg, Sohn der schwedischen | |
> Tennisikone Björn, wieder für ein wenig Glanz sorgen | |
Bild: „Ihr tut ja so, als könnte ich gar kein Tennis spielen“: Elias Ymer … | |
Von John Hennig | |
Auf die Frage, ob es der größte Sieg seiner noch jungen Karriere gewesen | |
sei, antwortet Elias Ymer: „Ihr tut ja so, als könnte ich gar kein Tennis | |
spielen.“ Er habe schon größere Matches gewonnen, sagt die aktuelle | |
schwedische Nummer eins im Herrentennis. | |
Elias Ymer, 21 Jahre jung, hat gerade die erste Runde der Stockholm Open | |
überstanden und dabei den Argentinier Leonardo Mayer, Nummer 53 der Welt, | |
in drei Sätzen bezwungen. An sich nicht weiter erwähnenswert, „aber es ist | |
schon wichtig“, schiebt Ymer hinterher, „weil hier meine gesamte Familie | |
auf der Tribüne sitzt. Und weil das erste Mal immer etwas Besonderes ist.“ | |
Für das schwedische Tennis ist dieser Sieg tatsächlich einer mit Bedeutung: | |
Zum einen erreichte Ymer, Sohn einer äthiopischen Einwanderfamilie, in | |
seiner Heimatstadt erstmals die zweite Runde. Zum anderen war es überhaupt | |
der erste Sieg eines Schweden auf der erstklassigen ATP World Tour im Jahr | |
2017. Und das kurz vor Saisonende. | |
Seit einigen Wochen gibt es eine Wiederauflage des Duells „Borg/McEnroe“, | |
eines der faszinierendsten Duelle der Sportgeschichte, das seinen Reiz vor | |
allem durch die Gegensätzlichkeit der beiden Charaktere entwickelte. Hier | |
der schüchtern zurückhaltende Schwede, der beinahe ungerührt seinem Sport | |
nachging. Dort der noch jugendlich unreife Amerikaner, der in guten | |
Momenten nur rebellisch, in schlechten hitzköpfig war. | |
Ausgerechnet in diesen Zeiten, in denen sogar Hollywood den größten | |
schwedischen Sportler des 20. Jahrhunderts würdigt, ist die einstige | |
Großmacht im Tennis tief gefallen. Ausgehend von Borgs Triumphen bei den | |
French Open und vor allem in Wimbledon hat Schweden den weißen Sport drei | |
Jahrzehnte lang dominiert und zwischen 1974 und 1992 bis auf zwei Ausnahmen | |
in jedem Jahr einen Grand-Slam-Sieger gefeiert. | |
Nun steht der arme Elias Ymer in der altehrwürdigen Kungliga-Tennishalle, | |
wo beinahe alle großen Schweden triumphiert haben und sich auch die | |
Königsfamilie gern blicken ließ. Auf den großflächigen Plakaten überall in | |
der Stadt prangt sein Bild neben den Turnierfavoriten Juan Martín del | |
Potro, Grigor Dimitrow und Kevin Anderson. Dabei spielt Ymer den Großteil | |
des Jahres auf der zweitklassigen Challenger-Tour. Nach seinem | |
Erstrundensieg in Stockholm wird er zum ersten Mal seit längerer Zeit | |
wieder unter den ersten 200 in der Weltrangliste stehen. | |
Am Start ist er, genauso wie sein jüngerer Bruder Mikael, 19, nur dank | |
einer vom Veranstalter vergebenen Wild Card. Turnierdirektor Simon Aspelin, | |
früher ein Weltklasse-Doppelspieler, gibt zu: „Es ist natürlich wichtig für | |
uns, dass schwedische Spieler hier erfolgreich sind.“ Ob Elias oder sein | |
Bruder Mikael jemals um einen Turniersieg in Stockholm mitspielen werden, | |
steht in den Sternen. „Wenn du mich vor ein paar Wochen gefragt hättest, | |
hätte ich Nein gesagt. Doch hier hat er mich beeindruckt, er spielt jetzt | |
aggressiver und besser. Man sieht deutliche Fortschritte“, sagt Jonas | |
Arnesen, der das schwedische Tennis seit 40 Jahren verfolgt und jeden Abend | |
als Experte im schwedischen Fernsehen zu sehen ist. Arnesen hat selber als | |
Junior gespielt und sie dann alle gesehen: Björn Borg, Mats Wilander, | |
Stefan Edberg, Anders Järryd, Joakim Nyström, Thomas Enqvist, Thomas | |
Johansson, Magnus Norman und am Ende Robin Söderling, den letzten | |
Weltklassespieler. | |
Söderling, der zweimal das Finale der French Open erreichte, erkrankte im | |
Jahr 2011, auf Platz fünf der Weltrangliste liegend, am Pfeifferschen | |
Drüsenfieber und musste mit gerade einmal 27 Jahren seine Karriere beenden. | |
„Als er aufhörte, haben wir erst gemerkt, dass plötzlich niemand mehr da | |
war“, sagt Nils Palmgren, Autor der größten schwedischen Tageszeitung | |
Dagens Nyheter. Seitdem hat Schweden nicht einmal mehr einen Spieler in den | |
Top 100 gehabt. Wie konnte das passieren? | |
Palmgren sieht das größte Problem darin, dass einige Zeit nichts passiert | |
ist: „Man hat zu lange nur gewartet und gedacht, dass immer wieder neue | |
Talente nachkommen.“ Der Wendepunkt lag angeblich schon im Jahr 1988: Mats | |
Wilander hatte drei der vier Grand-Slam-Turniere gewonnen, Stefan Edberg | |
den vierten. Als haushoher Favorit ging die Übermannschaft ins sechste | |
Davis-Cup-Finale hintereinander. Doch nach einem 0:3-Rückstand gegen das | |
von Boris Becker angeführte Team aus Deutschland wollte kein schwedischer | |
Spieler zum bedeutungslosen letzten Einzel antreten. „Da haben 12.000 | |
Zuschauer in Göteborg die eigene Mannschaft ausgebuht“, erinnert sich | |
Arnesen. Seiner Meinung nach hat Schwedens Tennis an diesem Abend seinen | |
Status und seine Aura verloren. Und einen Schaden genommen, den man erst | |
heute richtig spürt. | |
Während die damals jugendliche Generation um Enqvist, Norman oder Söderling | |
noch beim Tennis blieb, entschied sich die nächste dann eher für Fußball, | |
Bandy oder Eishockey. „Wenn du wirklich talentiert bist, kannst du mit | |
Eishockey als Schwede ziemlich gutes Geld verdienen, im Tennis ist das | |
deutlich unberechenbarer“, erklärt Arnesen und verweist auf die | |
Ymer-Brüder. Elias hat in diesem Sommer Unterstützung aus einem Topf der | |
Internationalen Tennis-Föderation bekommen, der eigentlich für | |
Entwicklungsländer gedacht ist. „Das war peinlich“, sagt Arnesen. | |
Doch so konnte sich Ymer wenigstens Söderling als Trainer leisten, mit dem | |
es nun wieder etwas vorangeht. Denn in der Tat ist Ymer nicht völlig | |
talentfrei. Mit 19 Jahren schaffte er es erst als zweiter Spieler | |
überhaupt, sich in einem Jahr bei allen vier Grand-Slam-Turnieren durch die | |
Qualifikation zu spielen. Damals war er auf dem Sprung in die Top 100, doch | |
nach einem Jahr voller falscher Entscheidungen rutschte er dramatisch ab. | |
„Tennis ist so ausgeglichen, die ersten 250 in der Weltrangliste liegen eng | |
beieinander“, sagt Ymer. | |
In einer Nebenhalle der Kungliga-Tennishalle sitzen derweil rund 200 | |
Geschäftsleute und lauschen einem Seminar mit dem Titel: „Was macht einen | |
Gewinner aus?“ Magnus Norman, der ebenso wie Söderling zu früh seine | |
Karriere beenden musste, hat 2011 mit zwei anderen ehemaligen Profispielern | |
die Tennisakademie Good to Great gegründet. Hier sollen endlich wieder | |
schwedische Topspieler heranreifen. In Danderyd im Norden Stockholms wird | |
in diesem Jahr die Catella-Arena fertig, das dann modernste Tenniszentrum | |
Schwedens. Umgerechnet rund 15 Millionen Euro kostet das Projekt. In dem | |
Seminar erzählt Norman viel darüber, wie er als Trainer aus Söderling und | |
dem Schweizer Stan Wawrinka Weltklassespieler geformt hat. Zahlreiche | |
ehemalige schwedische Topspieler geben ihr Wissen erfolgreich an die | |
aktuelle Generation weiter. Norman wurde 2016 sogar zum Trainer des Jahres | |
gekürt. | |
Auch die Ymer-Brüder waren in seiner Akademie, hatten die aber verlassen, | |
als sie sich ein wenig vernachlässigt fühlten. „Natürlich könnten die | |
schwedischen Trainer auch schwedische Talente betreuen, aber wenn dich ein | |
Topspieler anfragt, ist es auch immer eine Frage des Geldes“, sagt Arnesen. | |
Umgerechnet mehr als 30.000 Euro im Jahr kostet es, an der | |
Good-to-Great-Akademie zu trainieren. Den vollen Preis müssen allerdings | |
nur ausländische Spieler zahlen. Die schwedischen Talente werden fast | |
durchweg mit Stipendien unterstützt. Eines vergibt zum Beispiel Stefan | |
Edberg an vier Junioren jährlich. | |
Es tut sich also was. „Alle engagieren sich“, meint auch Arnesen. Mats | |
Wilander, der als Experte für den Fernsehsender Eurosport der Tennistour | |
folgt, meint: „Tennis wird mittlerweile überall gespielt.“ Zu seiner Zeit | |
seien die besten Spieler nur aus wenigen Ländern gekommen, den USA, | |
Australien und Mitteleuropa. Und eben aus Schweden. Heute sei der Sport | |
dagegen derart global, dass man als kleines Land wie Schweden nicht mehr | |
den Anspruch haben dürfe, immer wieder Spitzenspieler zu haben. „Wir müssen | |
auch zufrieden sein, wenn wir nur zwei, drei Spieler bei | |
Grand-Slam-Turnieren haben“, so Wilander. | |
Nun sei es an den Ymer-Brüdern, den nächsten Schritt zu tun. In Stockholm | |
kommt kein weiterer Sieg hinzu. Beide scheitern denkbar unglücklich nach | |
großem Kampf in drei Sätzen, an dem Italiener Fabio Fognini und dem | |
Deutschen Mischa Zverev, beides arrivierte Top-30-Spieler. Die Ymers werden | |
trotzdem auf dem bereits zu Turnierbeginn gut gefüllten Center-Court | |
gefeiert. Die Schweden müssen sich noch mehr als sonst in Bescheidenheit | |
und Geduld üben. Denn bis auf den 18-jährigen Karl Friberg wird auch in den | |
nächsten Jahren niemand nachkommen. | |
Alle schauen deshalb schon jetzt auf die Altersklasse der 14-Jährigen. Dort | |
gibt es, da sind sich alle einig, zwei Riesentalente. Beide zählen zu den | |
zehn besten Spielern ihrer Altersklasse in ganz Europa. Das eine heißt Isac | |
Strömberg und spielt allerdings auch fünf Tage die Woche Eishockey. Das | |
andere heißt Leo Borg und ist der Sohn von Björn Borg. In dem Kinofilm | |
„Borg/McEnroe“ spielt er schon mal seinen Vater als Jugendlichen. | |
21 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
John Hennig | |
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