# taz.de -- Studierenin der LuxusbudeVon Rebecca Barth (Text) und Sebastian Wel… | |
> Dass bezahlbarer Wohnraum knapp ist, spüren auch die rund 5.000 | |
> Studierenden, die zuletzt zum Wintersemester nach Berlin kamen. Stadtweit | |
> herrscht Wohnungsnot. Für Investoren die perfekte Ausgangslage: Immer | |
> mehr private Betreiber kommen auf den Markt, um voll möblierte Apartments | |
> zu Wucherpreisen anzubieten. Vermietet werden sie auch deshalb, weil die | |
> Wohnheimplätze vom Studierendenwerk längst nicht mehr ausreichen | |
Bild: So sehen sie aus – die neuen Studierendenwohnheime, wie das Youniq in d… | |
Eine Handvoll Reporter scharrt sich an diesem Septembermorgen um einen Mann | |
im Anzug, der da vor einem Neubau in der Müllerstraße in Wedding steht. | |
„Wir freuen uns, jetzt auch Berlin im Angebot zu haben“, sagt Heiko | |
Henneberg. Der 40-Jährige ist Geschäftsführer von Youniq, einem | |
Unternehmen, das möblierte Apartments als Studierendenwohnungen anbietet – | |
und sich trotz saftiger Mietpreise nicht über Leerstand beklagen kann. Der | |
Grund: Die Berliner Bevölkerung wächst, und zwar besonders in der | |
Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen. Zugleich ist bezahlbarer Wohnraum | |
knapp: Den Marktforschern vom Moses-Mendelssohn-Institut (MMI) zufolge sind | |
die durchschnittlichen Mieten für Wohnungen unter 50 Quadratmetern | |
berlinweit zwischen 2014 und 2016 um mehr als 90 Euro gestiegen. Auch | |
WG-Zimmer seien kaum billiger: Durchschnittlich koste ein Zimmer derzeit | |
400 Euro, vor vier Jahren seien es noch 335 Euro gewesen. | |
Ein angespannter Wohnungsmarkt in einer wachsenden Stadt – macht zusammen | |
eine perfekte Ausgangslage für private Investoren. In Wedding führt | |
Geschäftsmann Henneberg die Reporter durch grellrote Treppenhäuser und | |
lange Gänge, die noch nach Farbe riechen, zu einem Apartment mit Terrasse: | |
ein helles Zimmer, der Fußboden ausgelegt mit dunklem Holzlaminat. Durch | |
eine Schiebetür gelangt man in das beige geflieste Bad. An der Wand hängen | |
Pinnwände aus Filz, an denen die Bewohner Bilder aufhängen können. „Unser | |
günstigstes Zimmer gibt es ab 520 Euro, die mit Terrasse liegen zwischen | |
600 und 620 Euro“, erklärt Henneberg. Zwischen 18 und 45 Quadratmeter groß | |
sind die Apartments. | |
Die Marke Youniq gehört zu Upartments Real Estate, einem international | |
agierenden Unternehmen mit Sitz in Leipzig. Seit 2008 spezialisiert es sich | |
auch auf Studierende als Zielgruppe. Das siebenstöckige Gebäude in der | |
Müllerstraße ist bundesweit das 14. Wohnheim der Marke und mit 163 | |
Apartments eher klein, sagt Henneberg. „Normalerweise haben wir 200 bis 300 | |
Einheiten.“ | |
Der Markt für private Betreiber von Studierendenwohnungen erlebt gerade | |
bundesweit einen Boom, doch fokussierten sich private Investoren besonders | |
auf Berlin, sagt Matti Schenk aus der Marktforschungsabteilung des | |
Immobiliendienstleisters Savills. Auch weil die Versorgungsquote durch | |
öffentlich geförderte Anbieter wie das Studierendenwerk eher niedrig sei. | |
Tatsächlich gab es zum Start des letzten Wintersemesters vor einem Jahr | |
lediglich für rund 5 Prozent der 180.235 Studierenden einen Platz im | |
Wohnheim. Allein zum Semesterstart in diesem Jahr kamen wieder rund 5.000 | |
neue Erstsemester nach Berlin. | |
Neben Youniq werben auch andere Anbieter wie das Neon Wood am Frankfurter | |
Tor, in dem man ein 18 Quadratmeter großes Zimmer ab 635 Euro bekommt, oder | |
das The Fizz mit einer „zentralen Lage im hippen Kreuzberg“ ab 628 Euro, um | |
die jungen Mieter. Das Konzept ist überall ähnlich: voll möblierte | |
Apartments, meist zwischen 18 und 22 Quadratmeter groß, mit Bad und kleiner | |
Küche zu einer festen All-in-Miete, in der alle Nebenkosten enthalten sind. | |
„Indirekt“, sagt Jürgen Morgenstern, Sprecher des Berliner | |
Studierendenwerks, könne man sagen: „Studierende mit mehr Geld entlasten | |
den angespannten studentischen Wohnungsmarkt.“ | |
Dass die Versorgungsquote in den Wohnheimen des Studierendenwerks so | |
niedrig ist, liegt auch daran, dass zwischen 2006 und 2016 acht Wohnheime | |
wegen Leerstands geschlossen wurden, aktuell unterhält das Studierendenwerk | |
noch 33 Unterkünfte über die ganze Stadt verteilt. Das letzte Wohnheim des | |
Studierendenwerks eröffnete 1998 am Augustenburger Platz nahe dem Weddinger | |
Virchow-Klinikum. Doch der Leerstand sank über die Jahre kontinuierlich: | |
Betrug er laut dem Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen | |
2005 noch 12 Prozent, waren es 2011 nur noch 2,3 Prozent. Inzwischen gibt | |
es Wartelisten auf einen Wohnheimplatz statt leerer Zimmer. | |
Tatsächlich schlug das Studierendenwerk kurz vor Semesterstart im Oktober | |
Alarm: Die Warteliste für einen Wohnheimplatz sei dieses Jahr doppelt so | |
lang wie letztes Jahr. 5.430 Studierende warteten auf ein Zimmer, hieß es. | |
„Bis 2011 war es für Studierende noch leicht möglich eine Unterkunft auf | |
dem freien Wohnungsmarkt zu bekommen. Seitdem hat sich die Situation völlig | |
verändert“, sagt Sprecher Morgenstern. Auch die Wartezeiten für diejenigen | |
auf der Liste seien lang geworden: Je nach Lage des Wohnheims müsse man mit | |
ein bis drei Semestern planen. Neu bauen kann das Studierendenwerk nicht, | |
da es als Anstalt des öffentlichen Rechts den Sparmaßnahmen des | |
EU-Stabilitätspakts unterliegt, die Berlin erfüllen muss, und also keine | |
Kredite aufnehmen darf. Immerhin: Im Rahmen einer sogenannten | |
Nachverdichtung gibt es Haushaltsmittel für zusätzliche 132 Wohnheimplätze | |
an zwei Standorten in Charlottenburg. Bis zum Sommersemester 2019 soll | |
alles bezugsfertig sein. | |
Wer allerdings neu bauen darf, sind die sechs städtischen | |
Wohnungsbaugesellschaften – und da gab es tatsächlich schon im April 2013 | |
eine Ankündigung des damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, | |
der 5.000 neue Studierendenwohnungen versprach. Doch erst zwei Jahre später | |
fasste der Senat einen entsprechenden Beschluss: Bis 2020 sollten die | |
versprochenen Wohnungen fertiggestellt sein, Bauherren sollten die | |
städtischen Wohnungsbaugesellschaften sowie die landeseigene | |
Immobiliengesellschaft Berlinovo sein. | |
Letztere eröffnete tatsächlich im Juni dieses Jahres an der Storkower | |
Straße in Lichtenberg das erste Wohnheim mit 141 Plätzen. Die voll | |
möblierten 16 Quadratmeter großen Apartments kosten 340 Euro und verfügen | |
über eine kleine Küchenzeile und ein kleines Bad. Bereits Mitte September | |
war das Wohnheim komplett belegt. | |
Vier Jahre nach Wowereits Versprechen stehen also die ersten 141 Plätze zur | |
Verfügung– von 5.000 geplanten. Und es geht weiterhin nur schleppend voran: | |
Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften planten die ersten Spatenstiche | |
erst ab Ende dieses Jahres, wie aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage | |
des CDU-Abgeordneten Adrian Grasse hervorgeht. Tatsächlich hat lediglich | |
die Gewobag an der Amrumer Straße in Wedding Ende September den ersten | |
Grundstein für zwei Wohnheime gelegt, in denen ab 2019 bis zu 200 | |
Studierende unterkommen sollen. | |
Warum der Bau der versprochenen Wohnungen nicht schneller vorangeht, | |
erklärt Stefan Siebner, Pressesprecher der Berlinovo, unter anderem mit | |
einer langen Planungsphase – die sich in Zukunft aber auszahlen soll: Ein | |
Jahr hat die Entwicklung der Prototypen für die einzelnen Module des | |
Gebäudes gedauert. Bei dem verwendeten modularen Bauverfahren werden Teile | |
des Gebäudes vorgefertigt und anschließend zusammengesteckt. Der | |
entwickelte Prototyp soll nun bei weiteren Bauvorhaben eingesetzt werden. | |
Ein weiteres Problem sei das Bauland. Um günstige Wohnungen generieren zu | |
können, so Siebner, müsse man vom Land Berlin kaufen. Dort gebe es eine | |
„natürliche Konkurrenz“. „Dass Baugrundstücke in Berlin mittlerweile ha… | |
umkämpft sind, ist ein Fakt, mit dem nicht nur die Berlinovo zu kämpfen | |
hat“, sagt Katrin Dietl, Sprecherin der Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung, die für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften | |
zuständig ist. Grund dafür seien auch die gestiegenen Bodenpreise. „Die | |
Berlinovo konkurriert bei Grundstücken mit allen Neubauakteuren“, so Dietl. | |
Private Investoren wie Youniq oder The Fizz profitieren von der Notlage der | |
Studierenden. Und sie fokussieren sich bewusst auf Städte wie Berlin, die | |
einen angespannten Wohnungsmarkt haben: Eine Studie der Marktforscher von | |
Savills zeigt, dass private Anbieter ihren Marktanteil kontinuierlich | |
ausbauen können. In den 30 größten Universitätsstädten bieten private | |
Anbieter derzeit knapp 38.500 Plätze an. Damit liegen sie noch weit hinter | |
den Studierendenwerken mit 114.000 Betten bundesweit. Allerdings bauen und | |
planen private Anbieter weitere 24.500 Plätze, die Studierendenwerke sowie | |
kirchliche Träger und Stiftungen zusammen hingegen nur 4.850. | |
„Bemerkenswert ist, dass die in Berlin aufgerufenen All-in-Mieten mit | |
durchschnittlich 552 Euro fast an das Münchner Niveau heranreichen“, heißt | |
es in der Studie. Marktforscher Schenk sagt, derzeit gebe es 3.000 | |
Wohnheimplätze privater Investoren in Berlin, 5.700 befänden sich in Bau | |
oder Planung. Bald schon werden also die privaten Investoren mehr | |
Wohnheimplätze stellen als die Berliner Studierendenwerke, die insgesamt | |
rund 9.000 Plätze anbieten können. | |
Dabei fokussieren sich private Anbieter nach wie vor auf teure Apartments. | |
Statistisch gesehen werden bundesweit nahezu die Hälfte aller privaten | |
Angebote zu All-in-Mieten ab 450 Euro angeboten. Die Macher der Studie von | |
Savills gehen sogar davon aus, dass die sich im Bau befindenden Plätze zu | |
zwei Dritteln in diesem Bereich liegen werden. Das Studierendenwerk Berlin | |
orientiert sich hingegen am Mietzuschlag des Bafög-Höchstsatzes: 250 Euro. | |
Für Katalin Gennburg, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Städtebau- und | |
Wohnungspolitik der Berliner Linken, ist die angespannte Lage für | |
Studierende Teil eines größeren Problems. „Das Problem der Studierenden, | |
eine Wohnung zu finden, ist Teil einer gesamten Unterversorgung. Klar ist, | |
es muss viel mehr getan werden“, sagt Gennburg der taz. Daher stehe derzeit | |
auch, wie vom Regierenden Michael Müller (SPD) bereits im Sommer | |
angekündigt, die Kreditfähigkeit des Studierendenwerks auf dem Prüfstand. | |
Ohnehin muss Berlin nur noch bis 2020 die EU-“Schuldenbremse“ erfüllen. | |
In der Müllerstraße sind im Youniq-Wohnheim zu Semesterstart im Oktober | |
alle Apartments belegt. Im vorderen Teil des Gebäudes soll noch ein | |
Geschäft entstehen, sagt Geschäftsführer Henneberg. „Ein Teehaus, Café od… | |
Biomarkt – etwas, das ins Konzept passt“, hatte er bei der Eröffnung im | |
September gesagt. „Jedenfalls kein Döner.“ Vormittags wirkt das Wohnheim | |
jetzt, da die Vorlesungszeit begonnen hat, nahezu ausgestorben. Eine junge | |
Frau verlässt das Gebäude, steckt sich hastig Kopfhörer in die Ohren und | |
läuft, den Blick aufs Smartphone gerichtet, Richtung U-Bahn. Das erste | |
Semester ist bekanntlich das aufregendste. | |
Von Rebecca Barth (Text) und Sebastian Wells (Fotos) | |
21 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Rebecca Barth | |
Sebastian Wells | |
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