# taz.de -- debatte politische kunst: Bedrängte Kultur | |
> Die Malerin Käthe Kollwitz steht für die lange Geschichte linker Kunst in | |
> Berlin. Doch nun droht die Szene der Hauptstadt dem Mainstream | |
> anheimzufallen | |
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Kollwitzplatz im Prenzlauer | |
Berg den Ruf als biederer Sammelplatz von Mittelschichtsmüttern genießt, | |
obwohl die Namensgeberin des Platzes eigentlich für Rebellion steht. Die | |
bronzene Statue der Käthe Kollwitz sitzt jedenfalls noch immer fest auf | |
ihrem Quader. Ironisch ist das, weil sich die angepassten Eltern im | |
Prenzlauer Berg allerhöchstens noch bessere Chancen für ihren Nachwuchs im | |
darwinistischen Kampf um die besten Zukunftschancen erhoffen. Die | |
Künstlerin Kollwitz, die vor hundert Jahren dort wohnte, hat ihre Arbeit | |
hingegen in den Dienst der Emanzipation für alle gestellt. Nach dem Ersten | |
Weltkrieg saß sie auf dem Platz und skizzierte die von Krieg gezeichneten | |
Kindergesichter um sie herum. Und sie rief nach Revolution. Sie schrieb: | |
„Die Städte gehören aufgehoben!“ 1945 wurde der Platz nach ihr und ihrem | |
Mann Karl Kollwitz benannt. | |
Doch ausgerechnet zu ihrem 150. Geburtstag wurde dem Kollwitz-Museum in der | |
Fasanenstraße der Mietvertrag gekündigt. Nun müssen alle Exponate bald in | |
Koffern eingemottet werden. Der Umgang mit dem Erbe der Künstlerin wirft | |
die Frage auf: Wird es künftig noch einen festen Platz für die linke Kultur | |
in Berlin geben? Noch ist die Hauptstadt eine linke Stadt. Aber was ist, | |
muss nicht so bleiben. Die linkeste Stadt Deutschlands könnte ins | |
Neoliberale kippen. Das zeichnet sich am Kollwitzplatz bereits ab. | |
Käthe Kollwitz war keine Kommunistin, aber sie träumte schon als Kind von | |
den Barrikaden der Märzrevolution von 1848. Im Kriegsjahr 1917 schaute sie | |
von ihrem Atelier aus amüsiert auf einen Demonstrationszug der | |
kommunistischen Jugend, als diese für „Freiheit auf allen Spielplätzen“ | |
demonstrierte. 1919 wurde sie von den Kommunisten in die städtische | |
Leichenhalle gebeten, um die Totenbilder des zuvor ermordeten Karl | |
Liebknecht zu zeichnen. Nach ihrem Tod wurde Kollwitz in der DDR zur | |
Staatskünstlerin stilisiert (die sie nicht war). Auch deshalb lehnte der | |
Westberliner Senat im Jahr 1971 den ihm angebotenen Nachlass der Familie | |
Kollwitz borniert ab. Das Museum wird deshalb seit 30 Jahren privat | |
geführt. Das heutige Berlin erinnert an das Jahr 1932, als Siegfried | |
Kracauer den Kurfürstendamm als „eine Straße ohne Erinnerung“ beschrieb, | |
„als Verkörperung der leer hinfließenden Zeit, in der nichts zu dauern | |
vermag“. Als Kracauer am Ku’damm flanierte, fand er einst beliebte Cafés | |
sowie Teestuben geschlossen vor und konnte sich nur noch schwer an das alte | |
Erscheinungsbild seiner Prachtstraße erinnern. | |
Das Schlüsselereignis für den Ausverkauf linker Kultur in Berlin in diesem | |
Jahr war die Aufgabe des Ensembletheaters in der Volksbühne. Diese wurde | |
vom SPD-Kultursenator Tim Renner vollzogen, als dieser den Museumsmanager | |
Chris Dercon als Nachfolger für den scheidenden Intendanten Frank Castorf | |
nach Berlin holte. 40.000 Protestunterschriften gegen Dercon und eine | |
Hausbesetzung später hat sich nichts geändert. Der nunmehr linke | |
Kultursenator Klaus Lederer hat im Fall Volksbühne und auch in Sachen | |
Kollwitz-Museum bis jetzt nur mit warmen Worten geglänzt. Dabei war die | |
Volksbühne einst eine linke Bewegung, von den Mitgliedsbeiträgen des Volks | |
getragen. | |
Heute verselbständigt sich die Kunst kaum mehr – dafür verselbstständigt | |
sich immer mehr der Diskurs. Man streitet sich darüber, was Kunst überhaupt | |
ist und was nicht. So auch im Fall Chris Dercon, der seit mehr als einem | |
Jahr üppig besoldet wird, obwohl er noch nichts auf die Hauptbühne am | |
Rosa-Luxemburg-Platz gebracht hat. Stattdessen wich er mit einer | |
Tanzperformance auf das Tempelhofer Feld aus. | |
Es lohnt sich, einmal genauer die Art zu vergleichen, wie Käthe Kollwitz | |
junge Berliner beschreibt – und wie Chris Dercon dies tut. Sie beobachtete | |
die Menschen auf den Plätzen wie auf kleinen Bühnen, wo nicht Schauspieler, | |
sondern Eltern und junge Rebellen ihre Rechte auf Brot und Freiheit | |
symbolisch einklagten. Zum Vergleich dazu die Worte Dercons in einem | |
Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2010. Auf die Frage, was die | |
Stadt Berlin überhaupt zu bieten habe, antwortete Dercon: „Berlin? | |
Zigtausende junge Kreative ohne Geld, die ständig Bewerbungsmappen und | |
E-Mails nach München schicken! (…) Es wird bald eine große Massenflucht | |
dieser jungen Menschen raus aus Berlin einsetzen – ein Kinderkreuzzug! Zu | |
Fuß, in zerrissenen Adidas-Anzügen, kaputte I-Books unterm Arm, kaputte | |
Sonnenbrillen auf der Nase, so werden sie in andere Städte flüchten. Sie | |
werden sich (in München) auf dem Marienplatz versammeln und für ein | |
Minimaleinkommen demonstrieren!“ | |
Die Ironie des Schicksals ist, dass es dann ausgerechnet Dercon war, des | |
sich auf Arbeitssuche nach Berlin begeben hat – und jetzt dort von | |
Steuergeldern bezahlt wird. Käthe Kollwitz hätte nie nach der Polizei rufen | |
müssen, um ihr Hausrecht durchzusetzen, so wie Dercon es bei der | |
Volksbühnenbesetzung im September tat. Vielmehr hat sie auch in schwierigen | |
Zeiten Militär und Polizei scharf kritisiert. Zum Beispiel, als diese 1919 | |
den Trauerzug von Karl Liebknecht einkesselten, sodass die trauernden | |
Anhänger sich nicht frei durch die Stadt bewegen konnten. Damals ging es um | |
Barrikaden, um die Bewegungsfreiheit der Menschen. Heute hätte Kollwitz für | |
andere Themen Bilder gefunden. Für die subtile Drangsalierung der Menschen | |
durch die digitale Überwachung etwa. Auch die Vertreibung armer Menschen | |
aus bezahlbarem Wohnraum wäre sicher ein Thema für sie gewesen. | |
Die Berlinerin Kollwitz hätte dagegen gekämpft, dass Dercon das | |
Ensembletheater der Volksbühne einmottet. Was ihre Kunst betraf, war sie | |
bescheiden und nüchtern. „Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst | |
Zweck hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos | |
und hilfsbedürftig sind.“ Aber Kollwitz war auch eine entschlossene | |
Kritikerin. Sie hätte Chris Dercon wohl gesagt, dass er seine kaputten | |
Sonnenbrillen besser wieder einpackt und woanders seinen Platz an der Sonne | |
sucht – und die Berliner Jugendlichen einfach in Ruhe lässt. | |
24 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Anjana Shrivastava | |
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