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# taz.de -- Inklusion beginnt hinter den Kulissen
> In Berlin fand am Wochenende eine internationale Tagung statt, die den
> Zugang zu Kultur verbessern will. Menschen mit und ohne Behinderung
> tauschten sich dort aus
Bild: Im Anschluss an die Tagung spielte die Indierockband Rudely Interrupted
Von Lisa Ecke
Ein Mann steht an der Kasse eines Museums. Er fragt nach einem Ticket und
will wissen, wo der Eingang ist. Um sein Anliegen zu erklären, gestikuliert
er mit Händen und Armen, nutzt seine ausdrucksstarke Mimik. Doch er wird
nicht verstanden. Stattdessen erntet er Blicke, die darauf schließen
lassen, dass man ihn für einen Verrückten hält. Dann geht er dazu über,
sein Anliegen aufzuschreiben.
Patrick Marx ist taub. Er spielt diese Szene pantomimisch auf der Bühne des
Podewils in Berlin vor. Etwa 120 an dem mehrtägigen Festival „Australia &
Berlin Arts Exchange“ Teilnehmende gucken ihm dabei zu. KünstlerInnen und
MitarbeiterInnen von Kultureinrichtungen haben sich zu dieser Konferenz
zusammengefunden, um sich über Teilhabe von Menschen mit Behinderung in
Kunst und Kultur auszutauschen.
Zahlreiche Workshops und Performances sollen einen Austausch zwischen
australischen und Berliner KünstlerInnen mit und ohne Behinderung
ermöglichen. Die Tagung ist fünfsprachig: Englisch und Deutsch, britische
sowie deutsche Gebärdensprache und teilweise auch Leichte Sprache. „Es ist
das erste Mal, dass in Berlin eine so komplexe Veranstaltung mit all diesen
Spracharten stattfindet“, sagt eine Moderatorin der Tagung.
Für Patrick Marx endet während seiner pantomimischen Performance das
Ausgegrenzt-werden nicht an der Museumskasse. In den meisten Museen in
Deutschland haben Videos keine Untertitel, wird Marx übersetzt. Außerdem
seien die Beschreibungen neben den Exponaten häufig in sehr kleiner Schrift
und kompliziert geschrieben. Um das zu ändern, engagiert sich Marx bei
nuevaBerlin. Die Organisation befragt Menschen mit Behinderung zum Stand
der Barrierefreiheit in Kultureinrichtungen.
„Man kann von Menschen mit Behinderung viel lernen, wenn man sie nach
Feedback zur Zugänglichkeit von Veranstaltungen fragt“, sagt Sarah Houbolt.
Sie ist Zirkusartistin aus Australien und engagiert sich schon lange für
inklusive Kultur.
In Australien sei es für staatliche Kultureinrichtungen Pflicht, einen
Inklusionsplan zu haben. „Wer diverse Besucher bei Kulturveranstaltungen
will, muss hinter den Kulissen anfangen. Warum sollte ich zu einer
Veranstaltung gehen, bei der ich mich nicht repräsentiert fühle?“
In Australien funktioniere das schon recht gut, OrganisatorInnen von
Kulturveranstaltungen seien immer öfter selbst behindert.
In Berlin hingegen klappt das mit der Barrierefreiheit noch nicht so gut.
Stefanie Wiens versucht das mit dem Projekt „Platz da“ zu ändern. Sie
organisiert zum Beispiel Workshops, in denen BesucherInnen blinden Menschen
Kunstwerke beschreiben. „In den letzten drei Jahren hat sich wirklich viel
zum Positiven geändert. Aber alles ganz langsam, Schritt für Schritt“, sagt
Wiens. Berührungsängste und Vorurteile bauen sich nur langsam ab.
Zurzeit arbeitet sie mit daran, das Deutsche Technik Museum in Berlin
inklusiv zu gestalten. Es gebe aber auch negative Rückmeldungen zu den
Projekten. „Manche DirektorInnen stehen nicht dahinter. Die Ansicht, Kunst
und Kultur solle Dinge bewahren und höchst exklusiv sein, ist schon noch
vorhanden“, berichtet Wiens.
Zu dem Fazit kommen auch am Workshop „Wir sind nur behindert“ Teilnehmende.
Es ist ein Ort, wie es ihn nur selten gibt. Ausschließlich Menschen, die
behindert werden, tauschen sich aus. Danach berichtet der Kunstpädagoge
Dirk Sorge den anderen Tagungsteilnehmerinnen von den Ergebnissen: Die
Teilnehmenden, die oft selbst Ausgrenzung erfahren, reflektierten ihre
eigenen Privilegien. Bei dem Workshop seien fast nur AkademikerInnen und
Weiße. Für vielfältige Kulturveranstaltung braucht es Diversität auf vielen
Ebenen.
Ein weiterer Tenor sei, dass es endlich mit der Rolle der Bittsteller
vorbei sein müsse. Es müsse normal werden, dass Menschen mit Behinderung
dabei sind. Viele berichteten auch über negative Reaktionen auf sie. Nicht
nur bei Kulturveranstaltungen würden ihnen grimmige Blicke von anderen
BesucherInnen zugeworfen.
In Australien wird die Idee der Inklusion bereits auf Kunstwerke selbst
angewandt. Oft dürfen Kunstobjekte wie Skulpturen nicht angefasst werden.
Deshalb gibt es Projekte, bei denen KünstlerInnen diese zusätzlich im
Miniaturformat anfertigen. Kunst wird so auch für Nichtblinde besser
erfahrbar gemacht. Auch mit 3-D-Druckern wurde schon experimentiert, um
Fotos zum Anfassen zu erstellen. Es gibt viel Potenzial, das noch zu
entdecken ist.
Die Stimmung ist am Ende des Tages ausgelassen. Die Anspannung fällt von
den Vortragenden ab. Patrick Marx etwa atmet nach seinem Bühnenauftritt
hörbar aus. „Die Veranstaltung ist sehr ermutigend und inspirierend“, sagt
eine Teilnehmerin. Vorbei ist die Tagung noch nicht: Die Rockband Rudely
Interrupted aus Australien gibt ein Konzert. Manche tanzen, auch Anna
Seymour, eine taube Tänzerin, die vorher in einem Vortrag sagte: „Man
braucht keine Musik zu hören, um zu tanzen.“
19 Oct 2017
## AUTOREN
Lisa Ecke
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