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# taz.de -- Sie nennen ihn Weißarsch
> Mit seinem Debütroman „Kleines Land“ über eine Kindheit in Burundi hat
> der Rapper Gaël Faye Frankreich erobert
Bild: Tutsi, Ruander, Franzose, schwarz und weiß. In seinem Debüt geht es um …
Von Morgane Llanque
Chili auf einem Buttercroissant“, singt er in einem seiner Lieder über sich
selbst. Gael Faye ist halb Ruander, halb Franzose, aufgewachsen im Burundi
des Bürgerkrieges. Mitte der 90er Jahre kommt er als Kriegsflüchtling nach
Frankreich. Er studiert, bringt es zum Investmentbanker, nur um kurz darauf
die Börse gegen eine Hiphop-Karriere einzutauschen: In seinen Liedern
beschreibt der Rapper, 35 Jahre alt, den Alltag eines melancholischen
„Métis“ in Paris. Ein junger Mann, der sich mal nachdenklich, mal wütend
gibt, der zwischen den Welten von Bujumbura und Paris festklemmt und sich
aus verschiedenen Identitätssplittern etwas Ganzes zu puzzeln versucht.
Als der erfolgreiche Rapper im vergangenen Jahr sein erstes Buch
veröffentlicht, überschlägt sich Frankreich. Er bekommt für „Kleines Land…
den renommierten Prix Goncourt des lycéens verliehen. Der Band wird bald
mehr besprochen als sein aktuelles Album.
In seinem stark autobiografisch gefärbten Roman, der auf Deutsch nun bei
Piper erschienen ist, begibt sich Faye auf die Suche nach seiner
ostafrikanischen Vergangenheit. „Ich wollte mich befreien von der Erfahrung
eines Krieges“, erzählte er vor Kurzem auf dem Blauen Sofa der Bertelsmann
Stiftung in Berlin. „Ich war klein. Ich konnte nicht verstehen, was damals
geschah, ich konnte es nur fühlen.“ Er erzählt von Erfahrungen von
Rassismus und Flucht. Doch geht es in seiner Geschichte weniger um den
Verlust der Heimat, sondern vor allem um den Verlust der Kindheit.
Die ist kompliziert. Und anstrengend. Fayes Held und Alter Ego Gabriel baut
mit elf lieber Baumhäuser und stiehlt Mangos, als die politischen Wirren in
seiner Heimat Burundi zu verfolgen. Er genießt die weiße Welt, der sein
französischer Vater angehört: Seine Spiegeleier bekommt er von Dienern
serviert, und er fährt ein rotes BMX-Rad. Die Jungs am anderen Ende der
Reichensiedlung nennen seinesgleichen Weißarsch.
Seine Mutter, eine Überlebende der ersten Pogrome in Ruanda, lässt Gabriels
Umfeld jedoch nie vergessen, dass er auch ein halber Tutsi ist. Ihr Sohn
kann mit dem Poker um seine Zugehörigkeit jedoch nichts anfangen. Aus
Verlegenheit versichert er seinen wesentlich patriotischeren Freunden,
dass er sich als Ruander sehe. In Wirklichkeit interessiert ihn das
Nachbarland genauso wenig wie die anstehende, erste demokratische Wahl in
Burundi im Jahr 1993. Die rassistischen Tendenzen seines Vaters nimmt
Gabriel aufmerksam, aber ohne Kritik zur Kenntnis. Er ist ein Kind. Und das
Kind ist eigentlich recht glücklich.
## Das Salz der Besessenheit
Vom Fischen im Fluss mit seiner Bande über Familienausflüge zur
Besichtigung der Pygmäen spielt sich sein Alltag in einer kuscheligen Blase
im noch sehr kolonialen Burundi ab. Er verliebt sich in seine französische
Brieffreundin. (Die Briefe, die er ihr schreibt, klingen wie etwas zu
erwachsene Songtexte.) Und er staunt darüber, dass die Nachbarjungs ohne
Wissen der westlichen Verwandtschaft von ihren Tutsi-Verwandten beschnitten
wurden.
Faye schreibt angenehm ungeschliffen über diese Kindheit. Wie in seinen
HipHop-Texten mischt er poetische Sprache mit derbem Straßenjargon. Das
Kind „Gaby“ beschreibt die Kakihemden der aufgeblasenen Lokal-Oligarchen
als „gänsekackfarben“, der erwachsene Gabriel fühlt sich in Paris nicht
mehr lebendig, weil ihm das „Salz der Besessenheit“ fehlt.
Die Erinnerungen eines sehnsüchtigen Exilanten fasst der Autor in viele
kurze Anekdoten. Es fesselt und verstört zugleich, wie die ohnehin schon
schwierige Pubertät eines Jungen in einem Land zwischen aufkeimender
Demokratie, Kolonie und Diktatur gegen seinen Willen politisiert wird. Man
ist absolut nicht darauf vorbereitet, dass nach mehr als der Hälfte des
Buches auf einmal der Krieg einbricht und in Ruanda der Genozid an den
Tutsi beginnt. Der kleine Junge versteht die Welt nicht mehr, als seine
Freunde sich mit 13 Kalaschnikows kaufen und seine Mutter, vom
Kriegsgeschehen traumatisiert, spurlos verschwindet.
Stilistisch brillant, aber brutal lässt Faye Gabriels Kindheit in sich
zusammenfallen. „Ich wollte die Geschichte eines verlorenen Paradieses
schreiben“, sagt der Autor. „Bevor wir uns als ein Haufen Versprengter in
allen Teilen der Welt wiederfanden.“ Mittlerweile hat Faye Paris den Rücken
gekehrt. Er lebt nun in Kigali, Ruanda.
10 Oct 2017
## AUTOREN
Morgane Llanque
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