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# taz.de -- taz. thema : Nichts als Hindernisse
> Studium Wer als behinderter Mensch studieren will, muss sich gut
> informieren und sollte sich beraten lassen. Es gibt bürokratische Hürden,
> aber auch viele Hilfsmöglichkeiten, nicht zuletzt auf
> Hochschulinformationstagen und bei Campusführungen
Bild: Während des Studiums können Nachteile ausgeglichen werden
von Nadja Mitzkat
„Manchmal komme ich mir regelrecht außerirdisch vor. Einige Kommilitonen
wissen nicht, wie sie mit mir umgehen sollen“, erzählt Sebastian Schulze.
Der 40-Jährige studiert Kommunikations- und Medienwissenschaft an der
Universität Leipzig. Als einer von drei blinden Studierenden ist er oft
Vorreiter. Er muss nicht nur sein Studium so organisieren, dass er es gut
bewältigen kann, sondern immer wieder auch Aufklärungsarbeit leisten –
gegenüber Kommilitonen, Lehrenden und Prüfungsämtern.
Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks sind 11 Prozent der
eingeschriebenen Studierenden körperlich oder gesundheitlich
beeinträchtigt. Dazu zählen neben Mobilitäts- und Sinneseinschränkungen
auch chronische oder psychische Erkrankungen und Teilleistungsstörungen wie
Legasthenie und Dyskalkulie.
Die Studie zeigt auch: Studierende mit Behinderung brauchen länger bis zum
Studienabschluss, unterbrechen ihr Studium öfter und wechseln das Fach bzw.
die Hochschule häufiger als die nicht beeinträchtigten Kommilitonen.
Vielfach werden sie durch bauliche, kommunikative, strukturelle oder
didaktische Barrieren behindert. Um diese Barrieren abzubauen, arbeiten
mittlerweile an fast allen Hochschulen und in den meisten
Studierendenwerken Beauftragte für Menschen mit Behinderung. Daneben gibt
es studentische Behindertenreferate.
Für behinderte Menschen sind neben Neigungen und Fähigkeiten auch die
Bedingungen vor Ort entscheidend: Sind die Lehr- und Lernräume barrierefrei
zugänglich? Gibt es die benötigten Fachärzte? Hat die Hochschule spezielle
Angebote für Studierende mit Behinderung? Hochschulinformationstage und
Campusführungen bieten eine gute Gelegenheit, den künftigen Studienort
kennenzulernen. „In Leipzig liegt die Uni mitten im Zentrum. Der
Innenstadtcampus hat ein Blindenleitsystem und die Räume sind mit
Braille-Schrift gekennzeichnet“, antwortet Sebastian auf die Frage, warum
er sich für Leipzig entschieden hat.
Der Student, der erst mit Ende zwanzig erblindet ist, wollte so
selbstständig wie möglich bleiben. Zurück zu seinen Eltern nach Dresden zu
ziehen, kam für ihn nicht infrage.
Um den Studienplatz in Leipzig zu bekommen, hat Sebastian zusätzlich zu
seiner Bewerbung einen Härtefallantrag gestellt. Der Antrag wurde
bewilligt, Sebastian sofort und vor allen anderen Bewerbern zugelassen.
Doch nur zwischen zwei und fünf Prozent der Studienplätze sind für Bewerber
reserviert, für die die sofortige Aufnahme des Studiums zwingend
erforderlich ist. Manchmal führt der Ausbruch einer Krankheit, ein
Krankheitsschub oder Unfall in den letzten Jahren vor dem Abitur dazu, dass
sich Noten verschlechtern oder die Schulzeit verlängert. Ist der
Zusammenhang offensichtlich, können Anträge auf Nachteilsausgleich gestellt
werden. Werden diese bewilligt, nehmen die Studierenden je nach Antragsart
mit besserer Durchschnittsnote oder längerer Wartezeit am regulären
Vergabeverfahren teil.
Auch während des Studiums und bei Prüfungen haben Studierende mit
Behinderung einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Nachteilsausgleich.
Diese werden nicht pauschal vergeben, sondern stets individuell und
situationsbezogen gestaltet. Die Leistungsziele der Studien- und
Prüfungsordnungen bleiben erhalten.
Sebastian beantragt regelmäßig mündliche Kontrollen und im Fall von
Multiple-Choice-Tests mehr Zeit. „Die Konzentration lässt nach, wenn man
alles über die Ohren macht“, erklärt er. Bevor er erblindete, studierte er
in Dresden und Padua Kunstgeschichte und Romanistik.
Der Bachelor in Kommunikationswissenschaften an der Uni Leipzig zählt als
Zweitstudium. Anspruch auf BAföG hat er deshalb nicht mehr. Für die meisten
anderen Studierenden mit Behinderung steht BAföG hingegen an erster Stelle,
wenn es um die Finanzierung ihres Lebensunterhalts geht.
Für einige Vorgaben des BAföGs können Sie einen Nachteilsausgleich
beantragen. Möglich ist das hinsichtlich der Altersgrenze, der Freibeträge
bei Einkommen und Vermögen oder der Förderungshöchstdauer. Auch bei einem
Studiengangwechsel und bei der Rückzahlung kann ein Nachteilsausgleich
beantragt werden.
Viele haben höhere Ausgaben, die durch das BAföG nicht abgedeckt werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen Jobcenter oder das Sozialamt
die Kosten. Sie gewähren teilweise auch dann Leistungen, wenn Menschen mit
Beeinträchtigungen ihr Studium wegen Krankheit länger als drei Monate
unterbrechen müssen und so ihren BAföG-Anspruch verlieren.
Medizinische Hilfsmittel finanzieren die Krankenkassen. So fällt etwa
Schulzes Blindenhund Sunny als „Hilfsmittel mit Seele“ in deren
Leistungspflicht. Studierende, die auf Pflege und Assistenz angewiesen
sind, erhalten Leistungen der Pflegeversicherung.
Insgesamt gilt: Fragen zur Finanzierung werden schnell sehr komplex.
Studierende mit Behinderungen sollten die Sozialberatung ihres
Studentenwerks aufsuchen.
Für Sebastian spielt das bald keine Rolle mehr. Die Studienfinanzierung ist
längst geklärt, an der Uni kennt man ihn mittlerweile. Am Ende dieses
Wintersemesters möchte er sein Studium abschließen. Er hofft auf einen Job
beim Fernsehen. „Audiodeskription – das wäre toll.“
30 Sep 2017
## AUTOREN
Nadja Mitzkat
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