# taz.de -- Jenseits der Schönheit | |
> DIY Amy Sillman kommt aus der New Yorker East-Village-Subkultur mit | |
> seinen Punk-Konzerten und Fanzines. Heute hat sie Erfolg auf dem globalen | |
> Kunstmarkt. Wie vereinbar das ist, kann man in ihrer Ausstellung prüfen | |
Bild: Eine sich in Scham und Verachtung zornig von der Welt abwendende Figur: A… | |
von Gunnar Luetzow | |
Kapitalismus geht eigentlich anders: Die Produktion der digitalen | |
Monotypien, so ist auf der Rückseite der in der Galerie Capitain Petzel | |
erhältlichen Werke zu lesen, habe 42 Dollar gekostet – weswegen sie die | |
Künstlerin für 42 Dollar verkaufe. Und: „Bitte nicht für mehr als 42 Dollar | |
weiterverkaufen. Ich hoffe, dass es dir Freude bereitet, und wenn du dich | |
davon trennst, wirst du es einfach jemand anderem geben. Danke. Amy | |
Sillman.“ | |
Solche Gesten sind im Kunstbetrieb nicht unbekannt. Doch der Verzicht auf | |
Profitmaximierung oder gar kalkulierte Verluste, wie sie durch das | |
Verschenken von Werken oder die Abgabe unter dem Herstellungspreis | |
entstehen, dienen oft schlicht der Kundenakquise oder der Steigerung des | |
eigenen Bekanntheitsgrades und werden daher meist von weitgehend | |
unbekannten Künstlerinnen und Künstlern gewählt. Die 1956 in Detroit | |
geborene amerikanische Malerin Amy Sillman ist jedoch in Fachkreisen schon | |
lange eine feste Größe und kann über ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg | |
nicht klagen: Ihre Arbeit ist derart nachgefragt, dass ein Werk wie das | |
2009 entstandene „Platypus“ in einer Auktion bei Christie’s eine | |
sechsstellige Summe erzielte. | |
Stattdessen klagt sie auf Nachfrage beim Gespräch im Hinterzimmer in ihrer | |
Berliner Galerie über die persönlichen Folgen ihres wirtschaftlichen | |
Erfolgs, die sie subjektiv als „schrecklich – und verwirrend“ beschreibt. | |
Denn: „Ich habe die Malerei nicht als eine verkäufliche Kunstform gewählt. | |
Tatsächlich war das zu der Zeit, als ich anfing, der Weg zum Scheitern und | |
nicht der Weg zum Erfolg.“ Die Rede ist von der New Yorker Szene der | |
siebziger Jahre, in der damals andere Themen angesagt waren: | |
Post-Minimalismus, Fotografie, Klang, Tanz und Performance. | |
Außerhalb dieser Kreise war die wichtige Inspiration für die mit einem | |
großen Interesse an der Zeichnung arbeitenden Malerin damals der bis heute | |
als „artists artist“ geltende Philip Guston, der sich nach anfänglich | |
großen Erfolgen als abstrakter Maler seine Ideen aus der trivialen Welt der | |
Comics holte: „Als ich Kunststudentin war, war Philip Guston der Grund, | |
Malerin zu sein.“ | |
## Lacan, Cixous, Kristeva | |
Eine weitere Quelle stellt für sie die Auseinandersetzung mit Poesie, | |
Philosophie und psychoanalytischer Theorie dar. Neben Sigmund Freud, | |
Jacques Lacan, Helene Cixous hat sie insbesondere Julia Kristeva gründlich | |
durchgearbeitet, deren Begriff des „Abjekten“ sie beschäftigt: „Ich suche | |
Arbeiten, die andere ästhetische Qualitäten jenseits der Schönheit | |
besitzen. In der Malerei ist das Vokabular ziemlich beschränkt, wenn es um | |
Dinge geht, für die man sich interessieren soll. Manchmal fragen mich | |
Leute, was ich von Schönheit halte. Was ich von visuellen Freuden halte. | |
Welchen Nutzen solches Vergnügen heute haben könnte. Das ist so gar nicht | |
mein Ding. Ich habe kein Interesse daran, Dinge schöner zu machen, | |
stattdessen will ich sie überraschender machen – oder seltsamer.“ | |
Eines der zentralen Konzepte in Sillmans Werk ist daher das der | |
„awkwardness“, was sich als „Peinlichkeit“ übersetzen lässt. Oder als: | |
Unbequemlichkeit, Unannehmlichkeit, Unbehaglichkeit, Hilflosigkeit oder | |
Unbeholfenheit. Etwas von all dem findet sich in ihrer aktuellen | |
Ausstellung „Ein Paar“, die keine leichte Kost ist und auf interesseloses | |
Wohlgefallen gerne verzichtet. Eher stellt sie eine mit kryptischer Hand | |
verfasste Einladung dar, sich im Kaninchenbau von Sillmans Werk zu | |
verlieren und auf verschlungenen Um- und Abwegen die Ortskenntnis zu | |
erhöhen. | |
So scheinen einerseits die ungerahmt und unspektakulär mit Stahlnägeln in | |
einer um eine Ecke laufenden Reihe gehängten Arbeiten auf Papier als | |
formale Experimente ihr Recht auf Aussageverweigerung wahrzunehmen, während | |
andererseits ein großformatiges Acrylgemälde wie „Song Cave“, das in | |
grellen Farben und groben Linien eine sich in Scham und Verachtung zornig | |
von der Welt abwendende Figur zeigt, anklagenden Charakter hat. Es gibt | |
Werke wie die großformatige „Rapunzel“ oder das kleinformatige „Mit 2“… | |
dazu anregen, genauer hinzusehen und am Bildrand oder in tiefer gelegenen | |
Schichten Entdeckungen zu machen. | |
Andere Werke wie die übermalten Siebdrucke „SK2“ und „Sk3“ sind nah am | |
Thema „Paar“ und werden als solches gehängt. Der die Ausstellung | |
dominierende Leinwand-Solitär „The Innie“ verbleibt stumm im Modus einer | |
gekonnten postheroischen Abstraktion, während das hochformatige Diptychon | |
„Pat“ in einer eigenwilligen Mischung von Grün, Schwarz und Violett von dem | |
Elend berichtet, ein Körper in dieser Welt zu sein. | |
Wie viel Freude allerdings die künstlerische Bearbeitung auch schwerer | |
Themen dann doch bringen kann, zeigt das im Keller der Galerie laufende | |
Video „After Metamorphoses“ (Musik: Wiebke Tiarks), die Ovid als | |
psychedelische Animation in fünf Minuten durchlaufen lässt. Ähnlich wie in | |
ihrem komplexen Werk, in dem Widersprüchliches nebeneinander bestehen kann | |
und sich langsam zu einem Gesamtbild fügt, das von undogmatischer | |
Subversion aller Gewissheiten erzählt, wirken auch die konträren | |
Koordinaten ihrer Existenz zwischen dem subkulturellen Milieu des East | |
Village mit seinen Punk-Konzerten und Fanzines und ihrem heutigen Erfolg | |
auf dem globalen Kunstmarkt erst einmal unvereinbar. Die Widersprüche lösen | |
sich jedoch prozesshaft an einem dritten Ort, wie sich zeigt, wenn Sillman | |
mit Emphase von ihrem Dialog mit der Jugend erzählt, den sie als | |
Professorin an der Frankfurter Städelschule betreibt. | |
## Keine Optimierung | |
Einmal, berichtet sie, habe ein Student sie für das intensive Sprechen über | |
die Kunstproduktion als typisch amerikanisch-kapitalistisch kritisiert. | |
Glücklicherweise sei es ihr gelungen zu vermitteln, dass es ihr um das | |
Gegenteil der Optimierung von Verkaufsgesprächen gehe – die intellektuelle | |
Befähigung zur Dekonstruktion und die damit verbundene Thematisierung der | |
Produktionsbedingungen. | |
Ihrem rebellischen Do-it-Yourself-Geist bleibt sie selbst übrigens bis auf | |
Weiteres treu: So sind auch in der aktuellen Ausstellung drei verschiedene | |
von der Künstlerin gestaltete Kleinpublikationen für jeweils einen Euro | |
Spende zu erwerben – die in eine Kasse des Vertrauens zu entrichten sind. | |
Und selbst in diesem Tiefstpreissegment ist anscheinend noch Raum nach | |
unten, wenn man den Titel einer dem unteren Ende der Konsumkultur | |
gewidmeten Ausstellung im MOCA Detroit bedenkt, an der die Künstlerin | |
unlängst teilgenommen hat: „99 cents or less.“ | |
Amy Sillman: „Ein Paar“. Bis 15. November. Galerie Capitain Petzel. | |
Karl-Marx-Allee 45, Berlin-Mitte. Geöffnet Di.–Sa. 11–18 Uhr | |
27 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Luetzow | |
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