# taz.de -- „Kommt her, hier könnt ihr wohnen“ | |
> Städtebau Der Architekt Eberhard Kulenkampff war Stadtplaner in Hannover, | |
> Kiel und Bremen. Er war an der Errichtung von Großsiedlungen beteiligt | |
> und später daran, den Hochhausbau zu stoppen. Bei der heutigen | |
> Stadtentwicklung vermisst er den Mut | |
Bild: Hat einige Jahrzehnte Städtebau miterlebt : der Architekt und Stadtplane… | |
Interview Philipp Nicolay | |
taz: Herr Kulenkampff, wo fühlen Sie sich zu Hause? | |
Eberhard Kuhlenkampff: Zu Hause kann ich eigentlich nur mit der Farm in | |
Namibia verbinden, wo ich meine ersten 16 Jahre verbracht habe. In Hannover | |
habe ich am liebsten gelebt. Hannover ist für mich die schönste Stadt | |
Deutschlands. In Bremen hatte ich das Glück, dieses Haus im Schnoor kaufen | |
zu können und jetzt wohne ich mittendrin, wenn ich aus Italien für ein paar | |
Wochen im Jahr nach Deutschland komme. | |
Wie haben Sie in Namibia Ihre Kindheit und Jugend erlebt? | |
Die zentrale Qualität in Namibia war für mich die Menschenleere und die | |
ungeheure Weite der Landschaft. Die Farm, auf der ich mit meinen Eltern, | |
meinen neun Geschwistern und etwa 20 Herero-Familien und Ovambo-Hirten | |
aufgewachsen bin, ist fast so groß wie das Stadtgebiet von Bremen. Die | |
nächsten Nachbarn waren zehn bis 20 Kilometer entfernt. | |
1944 wurden Sie zur Wehrmacht eingezogen. Wie kam es dazu? | |
Es hieß damals Repatriierung, eine Rückführung ins Vaterland. Ich bin mit | |
vier Geschwistern und meinem Vater im Sommer 1944 nach Deutschland | |
gekommen. Obwohl ich erst sechzehn Jahre alt war, bin ich Soldat geworden | |
und wurde schwer verwundet. Erst Ostern 1946 konnte ich das Lazarett | |
verlassen. Allerdings mit einem Bein weniger, aber seitdem komme ich auch | |
so ganz gut zurecht. | |
War die Architektur immer eine Leidenschaft von Ihnen? | |
Nein, eigentlich nicht. Als Kind habe ich sehr viel gelesen. Ich habe mir | |
alle Bücher auf der Farm gegriffen, die mir in die Hände kamen. Ich wollte | |
einen Beruf ergreifen, der mit Büchern zu tun hat. Ich bekam jedoch keine | |
Lehrstelle in einer Buchhandlung, sondern landete in einer Tischlerei. Erst | |
dann dachte ich, dass ein Architektur-Studium nach der praktischen | |
Ausbildung sinnvoll wäre. | |
Sie wurden später federführend in der städtebaulichen Planung im Großraum | |
Hannover. Wie war es, als Städteplaner im Nachkriegsdeutschland zu | |
arbeiten? | |
Die große Frage war immer, zu welchem Ziel sollen die Planungen führen. Es | |
gab intern eine sehr heftige Diskussion darüber, in welcher Form aufgebaut | |
werden soll. Es gab ein Dokument „die Charta von Athen“, die die baulichen | |
Fehler der Gründerzeit verurteilte. Es sollte eine Alternative zu der | |
damaligen Vermischung von Arbeiten und Wohnen geschaffen werden. Die Blocks | |
der Gründerzeit waren schlecht belüftet und drinnen sehr dunkel. Das Ziel | |
war, viel Luft und Sonne in die neuen Wohngebiete zu bringen. Die Wege | |
wollten wir breit und mit viel Grün anlegen. | |
War eine der größten Herausforderungen in möglichst kurzer Zeit, viel neuen | |
Wohnraum bereitzustellen? | |
Im Neubaugebiet „Auf der Horst“ in Garbsen wurden für 10.000 Menschen die | |
einzelnen Wohnblocks in fünf Monaten hochgezogen. Ich habe mich für eine | |
Fertigbauweise entschieden, weil um 1960 noch rund 40.000 Menschen in | |
Hannover in Baracken, Notunterkünften und Kleingärten leben mussten. Das | |
war unvorstellbar. Ich wollte mit Projekten wie „Auf der Horst“ den | |
Menschen sofort helfen. | |
In Hannover waren Sie in den Sechziger Jahren. Wie ging es danach weiter? | |
Im Jahr 1969 wechselte ich nach Kiel und arbeitete dort fünf Jahre als | |
Stadtbaurat. Es begann jetzt langsam eine Phase, in der auch die | |
Umgestaltung öffentlicher Räume eine wichtigere Rolle einnahm. Mein | |
Vorgänger war sehr zukunftsorientiert. Unter meinen Mitarbeitern erkannte | |
ich schnell eine neue und moderne Moral der Stadtentwicklung. | |
Was meinen Sie mit modern? | |
In der Großsiedlung Mettenhof habe ich die Gestaltung der zweiten Hälfte | |
der Baufläche Gartenplanern überlassen. Hinterher hatten wir ein Gebiet, in | |
dem wir Gärten hatten und gleichzeitig Platz für Gebäude war. Wir | |
konzipierten erst die Grünflächen und bauten danach erst die Häuser. Dies | |
hinterließ einen völlig anderen Eindruck. Für solche Experimente hatte ich | |
dort Raum. Das zentrale Ereignis für die Stadt waren aber die Olympischen | |
Spiele 1972. | |
Inwiefern waren Sie darin involviert? | |
Kiel trug die Segelwettbewerbe aus. Meine Aufgabe war es, das Segelzentrum | |
vorzubereiten. Als ich nach Kiel kam, waren die Pläne zwar da, aber es war | |
noch nichts realisiert. Alle meine Mitarbeiter waren hochmotiviert. Wir | |
wollten unbedingt ein guter Gastgeber für Olympioniken und Besucher sein. | |
Die ganze Stadt war sich einig: mitmachen und schön machen. Das war eine | |
großartige Aufgabe. | |
Wie war die Lage in Bremen, als Sie 1974 als Senatsdirektor anfingen? | |
In der ersten Phase bis Mitte der sechziger Jahre stand auch hier der | |
Wiederaufbau im Fokus. Unser ganzes Ansinnen anschließend war Wachstum. Als | |
ich 1974 nach Bremen kam, gab es detaillierte Pläne, die Einwohnerzahl auf | |
800.000 zu steigern. Das ganze Hollerland sollte bebaut werden. Auch für | |
Osterholz-Tenever lagen Pläne vor, es drastisch zu vergrößern. Als wir die | |
Entwicklungszahlen überprüften, haben wir schnell gemerkt, dass solche | |
Zahlen illusorisch sind. Wir haben wieder zurückgesteuert. Auch in der | |
Bremer Innenstadt waren noch acht weitere Hochhäuser geplant, die ich | |
allesamt nicht bauen ließ. Sie passten nicht mehr in den städtebaulichen | |
Kontext. | |
Was haben Sie stattdessen gemacht? | |
Wir hatten schnell erkannt, dass die Dezentralisierung im Mittelpunkt | |
stehen sollte. Wir haben Mittel in die einzelnen Stadtteile gesteckt, um | |
dort Zentren und Einkaufsstraßen zu schaffen. Erst als wir die einzelnen | |
Quartiere verbessert hatten, haben wir uns der Innenstadt gewidmet. | |
Wie veränderte sich Ihre Arbeit im Laufe der Jahrzehnte? | |
Ein entscheidender Unterschied war die steigende Beteiligung der | |
Bevölkerung. Während des Wiederaufbaus waren nur Bauherren und | |
Grundstückseigentümer involviert. Als große Siedlungen wie die Neue Vahr in | |
Bremen gebaut wurden, gab es kein Raum für Mitbestimmung. Es wurde geplant, | |
gebaut und danach hieß es: Kommt her, hier könnt ihr wohnen. In den | |
Siebzigern änderte sich die Lage. Wenn etwas Neues geplant wurde, lebten in | |
den Stadtteilen schon viele Bewohner. Diese wollten beteiligt und | |
informiert werden. Gerade in Bremen war es gut gelungen, durch die Beiräte | |
eine quartiersbezogene Mitbestimmung zu organisieren. Jetzt musste ich mich | |
als Stadtplaner in öffentlichen Sitzungen rechtfertigen und meine Ideen | |
verteidigen. | |
Und jetzt? Sind Sie zufrieden mit der städtebaulichen Entwicklung Bremens? | |
Es entwickelt sich ein bisschen zu wenig. In den Siebziger Jahren hat es | |
überall in der Stadt gewaltige Veränderungen gegeben. Dies ist inzwischen | |
erlahmt. Ich wünsche mir, dass Bremen wieder mutiger wird. Unendlich viele | |
Leute würden gerne wieder ein Reihenhaus bauen, aber derzeit ist das in | |
Bremen fast unmöglich. Das Argument, es sei zu wertvolle Landschaft, ist zu | |
engstirnig. Wenn die Häuser im Umland gebaut werden, ist doch genauso viel | |
Landschaft betroffen. | |
Ist die innerstädtische Verdichtung der richtige Weg für deutsche | |
Großstädte? | |
Ja, auf jeden Fall. Viele städtische Gebiete bieten noch sehr viele | |
Freiräume, die bebaut werden können. Es gibt fast überall verschiedene | |
Möglichkeiten, zu verdichten und zu ergänzen. | |
Was können zukünftige Planer aus dem Städtebau der Sechziger und Siebziger | |
Jahre lernen? | |
Aus den Fehlern können sie lernen. Sie bestanden im zu einseitigen Denken. | |
Die Belichtung aus der richtigen Himmelsrichtung spielte etwa bei vielen | |
Siedlungen eine zentrale Rolle. Dies ist ein Beispiel dafür, dass ein gutes | |
Ziel übertrieben angewandt, zu falschen Ergebnissen führen kann: Zum | |
Zeilenbau und zu einem Städtebau ohne Raumqualität. | |
23 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Nicolay | |
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