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# taz.de -- Das Seehofer-Paradox
> Umweltpolitik Warum die Dieselfreunde und Gegner eines Zulassungsendes
> für Verbrennungsmotoren gerade Fahrverbote wahrscheinlicher machen
von Martin Unfried
Es kam, wie im Worst-Case-Szenario vorgesehen. Die komplexe und für den
Klimaschutz entscheidende Frage eines längerfristigen Zulassungsendes von
Verbrennungsmotoren ist im Wahlkampf und im Dieselstreit explodiert. Horst
Seehofer spielt sich zum Retter des Diesels und Verbrenners auf, mit ihm
wird es keine Verbote geben, und koppelt daran Koalitionsmöglichkeiten.
Auch Christian Lindner hat die Parole ausgegeben, dass es keine
Dieselverbote geben werde und ein „schneller Umstieg auf reine
Elektromobilität der Umwelt zum jetzigen Zeitpunkt mehr Schaden als Nutzen
bringe“.
Cem Özdemir reagiert auf Seehofer reflexartig, macht den Abschied vom
Verbrenner zur Koalitionsbedingung. Und die Grünen sind genau da
angekommen, wo sie sicher nicht hin wollten: in der Ecke der
Autoverbotspartei. Dieses Mal eben nicht Fleisch, sondern Auto. Das kann
die Partei ein paar Prozente kosten, noch problematischer ist es wohl
mittelfristig für den Klimaschutz jeder neuen Bundesregierung. Die
unüberlegte Zuspitzung bedeutet nämlich, dass wir es erst mal mit einem
weiteren politischen Tabu zu tun haben, neben Kohle und Massentierhaltung.
## Mit der Materie nicht vertraut
Ein Zulassungsende oder Quoten für elektrische Modelle sind tatsächlich
nicht einfach zu kommunizieren. Doch jetzt wird leider in der öffentlichen
Wahrnehmung ein zeitlich und räumlich sehr begrenztes Fahrverbot für
bestimmte Dieselautos in problematischen Innenstadtbereichen (wegen
Stickoxiden) verknüpft mit der ganz anderen Frage der längerfristigen
Zulassung von Verbrennungsmotoren wegen CO2 (2030 oder später).
Schon das Wort Verbrennerverbot ist falsch. Mit dem Zulassungsende werden
Diesel und Benziner auf der Straße eben nicht verboten. Schlechter hätte es
in Sachen Kommunikation nicht laufen können. Warum aber war das beinahe
unvermeidlich? Die gesellschaftliche Diskussion zum Zulassungsende in
Deutschland war relativ neu. Man könnte sagen, selbst Politikerinnen wie
Wirtschaftsministerin Zypris sind noch nicht ganz mit der Materie vertraut
(„der Diesel ist eigentlich ein guter Motor“).
Das ist überraschend, wo doch aktuell die britische und französische
Regierung zumindest das weit entfernte Jahr 2040 als Zulassungsende
beschlossen haben. In Norwegen, den Niederlanden und Österreich wurde das
Thema schon vor ein, zwei Jahren diskutiert mit Blick auf 2025 oder 2030.
In Deutschland blieb dagegen der erste Beschluss der Grünen im Herbst 2016
relativ unter dem Radar. Und die Unstimmigkeit 2017 zwischen Kretschmann
und der Bundespartei hatte gezeigt, wie lausig die Grünen die Kommunikation
vorbereitet und innerparteilich abgestimmt hatten. Selbst ein Beschluss des
Bundesrats, der es lediglich als wünschenswert beschrieb, wenn 2030 kein
Verbrenner mehr verkauft werden würde, führte nicht zu einer echten Debatte
über die verschiedenen Wege zum erneuerbaren Autoverkehr.
Das ist überraschend, wo doch die Bundesregierung mit Blick auf das Pariser
Abkommen in ihrem Klimaplan sehr wohl sportliche Ansagen macht: 2030 soll
im Verkehr 42 bis 40 Prozent weniger CO2im Vergleich zum Jahr 1990
ausgestoßen werden. Bisher konnten im Verkehrsbereich die Emissionen nicht
relevant gesenkt werden, und niemand weiß so richtig, wie das angesichts
der heutigen politischen Debatte (keine Dieselfahrverbote!) überhaupt gehen
soll. Nicht überraschend, dass der heutige Verkehrsminister diese Debatte
nicht geführt hat.
Der Thinktank Agora Verkehrswende hat beispielsweise darauf hingewiesen,
dass die erneuerbare Elektrifizierung des Autoverkehrs eine so wichtige
Rolle spielt, weil für andere Bereiche – wie Lastwagen-, Flug- oder
Schiffsverkehr – noch kaum vorstellbar ist, dass diese selbst mittelfristig
erneuerbar elektrisch unterwegs sind. Eben für diese werden auch mittel-
und langfristig die viel beschworenen sauberen, synthetischen Kraftstoffe
gebraucht, die der Autolobby zufolge den Diesel und Benziner retten sollen.
Der Ausstieg von Volvo aus der Dieseltechnik hat bereits gezeigt, dass der
Glaube an den Diesel als Brückentechnologie nicht von allen in der
Industrie geteilt wird.
## Klimaziele abgeblasen?
Zum eingetretenen Worst-Case zählt nun, dass im Wahlkampf durch die Freunde
des Verbrenners Versprechungen gemacht werden, die mit Blick auf deren
eigene Klimaziele einfach nicht zu halten sind. Keine Elektroquoten, kein
deutliches Zulassungsende, wie dann? Was ist denn, wenn im Jahre 2030 noch
massiv Diesel und Benziner verkauft werden, weil Konzerne und Käufer den
Wandel eben nicht aus freien Stücken vollziehen? Werden dann die Klimaziele
im Verkehr aufgegeben und die gesamte Dekarboniserung, also Paris,
abgeblasen? Welche anderen politischen Instrumente sollen denn den
Autokonzernen die Investitionssicherheit für ihre Milliardeninvestitionen
bieten, wenn die Gefahr besteht dass Mitbewerber noch lange am
Verbrennergeschäft verdienen?
Horst Seehofer wird leider von Journalisten nicht gefragt, mit welcher
Wunderwaffe er den Wandel einleiten möchte. Er setzt auf Laisser-faire:
lass die Konzerne machen! Nun hat das Dieseldesaster gezeigt, dass genau
das nicht funktioniert. Auch die deutschen Autokonzerne haben die Politik
in eine Situation gebracht, in der sie von Gerichten zu Fahrverboten
gezwungen wird. Genau das könnte mit Blick auf Klimaschutzziele, die ja in
der EU auch verbindlich gemacht werden, ebenso passieren. Wenn eben
Laisser-faire wieder nicht klappt, könnte das bedeuten, dass es irgendwann
in den 30er oder 40er Jahren aus Klimaschutzgründen zu allgemeinen
Verbrenner-Fahrverboten kommen müsste.
Das ist nämlich das echte Seehofer-Paradox. Gerade die Dieselfreunde haben
heute durch ihr Wegschauen Fahrverbote und Wertverluste zu verantworten.
Das könnte sich in der Zukunft wiederholen, wenn Seehofer sich durchsetzt.
Wogegen eine schnelle, gestaffelte Elektrifizierung sowohl mittelfristig
Fahrverbote in den Innenstädten vermeiden helfen als auch Fahrverbote für
Verbrenner nach 2030. Ohne Ordnungspolitik wird es nicht gehen, das werden
die Gewinner der Bundestagswahl in jedem Fall merken.
22 Sep 2017
## AUTOREN
Martin Unfried
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