# taz.de -- nord.thema: Auf dem Weg zurück in die Gesellschaft | |
> RESOZIALISIERUNG Schulden erschweren Strafgefangenen den Weg zurück in | |
> ein normales Leben. Kosten, die durch die Straftaten entstanden sind, | |
> müssen auch nach einer Privatinsolvenz abgezahlt werden | |
Bild: Viele Strafgefangene sind nach ihrer Entlassung hoch verschuldet | |
von Jördis Früchtenicht | |
Schulden sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Laut dem | |
„Schuldneratlas 2016“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform sind 6,8 | |
Millionen Deutsche über 18 Jahren überschuldet oder weisen nachhaltige | |
Zahlungsstörungen auf. Überschuldung ist also ein Massenphänomen. Wie | |
andere soziale Probleme auch ist Verschuldung in konzentrierter Form in | |
Gefängnissen anzutreffen. Nur ist es für Straffällige wesentlich | |
schwieriger, einen Ausweg aus der Überschuldung zu finden als für Menschen, | |
die in Freiheit leben. | |
Viele Strafgefangene sind nach ihrer Entlassung hoch verschuldet. Zum | |
einen, da sie aus dem Leben vor ihrer Haft Verpflichtungen hatten, denen | |
sie im Gefängnis nicht nachkommen konnten. „Das sind Verpflichtungen, wie | |
sie andere auch haben: Handyverträge zum Beispiel. Wer in Untersuchungshaft | |
kommt, hat meist andere Dinge im Kopf, als den Strom abzustellen“, sagt | |
Björn Süß, Geschäftsführer der Stiftung Straffälligenhilfe | |
Schleswig-Holstein. „Die Inhaftierung bedeutet automatisch einen weiteren | |
sozialen Abstieg.“ | |
Hinzu kommen zudem die Verfahrenskosten, die bei einer rechtskräftigen | |
Verurteilung an den Staat zurückgezahlt werden müssen. Neben Anwalts- und | |
Gerichtskosten können dies etwa auch Kosten für Gutachten oder Ähnliches | |
sein. „Die Schulden können zu Antriebs- und Perspektivlosigkeit führen“, | |
berichtet Süß. „Dadurch werden Wege verbaut, nach der Haft ein normales | |
Leben zu führen.“ | |
Bundesweit wird fast jeder zweite ehemalige Häftling wieder straffällig, | |
wie eine Studie des Bundesjustizministeriums zeigt. Dabei soll der | |
Strafvollzug die Häftlinge befähigen, in Zukunft in sozialer Verantwortung | |
ein Leben ohne Straftaten zu führen. Für eine erfolgreiche Resozialisierung | |
ist neben Unterkunft, Arbeit und dem sozialen Umfeld auch Hilfe bei Sucht- | |
und Schuldenbewältigung wichtig. „Der Resozialisierungsaspekt der Haft wird | |
häufig vergessen. In der Gesellschaft herrscht meist Schubladendenken. | |
Schuldnerberatung für Inhaftierte wird schnell als unnötige Geldausgabe | |
angesehen, erzählt Sabine Reimer. Die Schuldnerberaterin des Vereins | |
Bremische Straffälligenbetreuung berät Strafgefangene regelmäßig in der | |
Justizvollzugsanstalt (JVA). | |
## Den Überblick verloren | |
Ihr Kollege Stefan Bruns ergänzt: „Unsere KlientInnen haben oft aus | |
verschiedenen Gründen keinen Überblick mehr über ihre Schulden, etwa wegen | |
Drogenmissbrauchs oder auch chaotischen Familienverhältnissen.“ In der | |
Beratung werde häufig zunächst Aufklärungsarbeit geleistet. „Viele haben | |
ein falsches Bild davon, wie die Schuldentilgung abläuft. Diese Gedanken | |
entsprechen meist nicht der Realität“, so Bruns. Einige KlientInnen kämen | |
am ganzen Körper zitternd in die Beratung und wüssten nicht, was passieren | |
wird. Über Pfändungsfreigrenzen etwa, durch die das Existenzminimum | |
gesichert werden soll, sind sie nicht informiert. „In Extremfällen kommt es | |
auch vor, dass neue Straftaten zur Schuldentilgung begangen werden.“ | |
## Existenzminimum gesichert | |
Zum Nettoeinkommen im Sinne der Pfändungstabelle zählen neben Gehalt und | |
Rente auch das Arbeitslosengeld I und II. Die Höhe des pfändbaren | |
Einkommens richtet sich nach der Anzahl der unterhaltspflichtigen Personen. | |
Wer beispielsweise 1.140 Euro im Monat hat und weder für Kinder noch für | |
Ex-PartnerInnen zahlen muss, dem können laut der aktuellen Pfändungstabelle | |
nur 4,34 Euro im Monat gepfändet werden. Danach steigt der Betrag | |
schrittweise an. Bei einem Nettoeinkommen von 1.280 Euro sind es 102 Euro, | |
wer 1.660 Euro hat, muss 326 Euro abgeben, dazu gegebenenfalls knapp 20 | |
Euro für eine unterhaltspflichtige Personen. Die Tabelle endet übrigens bei | |
einem Nettoeinkommen von 3.476 Euro: Dann sind alle Beträge voll pfändbar! | |
Wie für andere Menschen auch gibt es für StraftäterInnen zudem die | |
Möglichkeit eines Verbraucherinsolvenzverfahrens, häufig auch als | |
Privatinsolvenz bezeichnet. Allerdings bleiben nach der dazugehörigen | |
Restschuldbefreiung am Ende des sechsjährigen Insolvenzverfahrens trotzdem | |
noch jene Verbindlichkeiten übrig, die aus vorsätzlich begangenen, | |
unerlaubten Handlungen entstanden sind. Diese nämlich werden von der | |
Befreiung nicht erfasst. | |
Das Insolvenzverfahren kann bereits während der Haft eingeleitet werden. | |
Allerdings ist dies nur möglich, wenn die Strafgefangenen Zugang zu | |
Schuldnerberaterumg haben. Dies ist nicht überall der Fall. Justizvollzug | |
ist Sache der Bundesländer. „Eine Verbraucherinsolvenz ist auch in der | |
Justizvollzugsanstalt nicht leicht. Die Haft bedeutet nicht freie Kost und | |
Logis. Beispielsweise müssen für einen Fernseher Leihgebühren und Strom | |
gezahlt werden“, so Reimer. | |
Zudem könne das sogenannte Eigengeld der Inhaftierten, unter anderem ein | |
Teil ihres ohnedies kärglichen Arbeitsentgelts, gepfändet werden, wenn das | |
Überbrückungsgeld angespart wurde. Dieses dient der Begleichung von Kosten | |
in der ersten Zeit nach einer Haftentlassung, also etwa Mietzahlungen. „In | |
der Bevölkerung wird oft gedacht, die Insolvenz in Haft ist einfach, weil | |
es kein pfändbares Einkommen gibt, aber das ist nicht richtig“, sagt | |
Reimer. | |
## Alternative: Schuldenfonds | |
Als Entschuldungshilfe haben sich Schuldenregulierungsfonds, auch | |
Resozialisierungsfonds, bewährt. Allerdings gibt es diese Fonds nicht in | |
allen Bundesländern. Doch sowohl beim Bremer Verein als auch der | |
schleswig-holsteinischen Stiftung gibt es sie. Dadurch können Straffälligen | |
Darlehen zur Schuldentilgung gewährt werden, die sie so nicht bei einer | |
Bank bekommen würden. „Unsere Stiftung hat seit 1995 über 870.000 Euro an | |
Darlehenssummen gewährt, damit konnten 3,7 Millionen Euro an Forderungen | |
abgegolten werden“, berichtet Süß. „Die Stiftung kann dabei keine riesigen | |
Darlehen gewähren – im Schnitt sind es 2.500 bis 3.000 Euro.“ | |
Die Darlehen können auch den Opfern der Straftaten helfen. „Ein Klient | |
hatte eine Vergewaltigung begangen, dem Opfer war ein Schmerzensgeld von | |
10.000 Euro zugesprochen worden. Diese Summe konnte der Täter nicht zahlen, | |
er lebte von unpfändbarem Einkommen. Dank des Fonds konnte sich der Verein | |
für ein Darlehen verbürgen“, erzählt Bruns. Nach Verhandlungen mit der | |
Anwältin des Opfers habe dieses ein Drittel der eigentlichen Forderung | |
erhalten. Ohne das Darlehen wäre bei dem Täter, der nichts hatte, auch | |
nichts zu vollstrecken gewesen. „So konnte auch das Opfer mit der Thematik | |
abschließen.“ | |
Schuldner- und Insolvenzberatung Bremen, Faulenstraße 48–52. Termine gibt | |
es nach telefonischer Vereinbarung unter 0421/79 29 3-0. Mittwochs gibt es | |
zwischen 9 bis 12 Uhr zudem eine freie Beratung. Website: | |
[1][www.straffaelligenhilfe-bremen.de] | |
Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg: | |
[2][www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de] | |
Stiftung Straffälligenhilfe Schleswig-Holstein, Ringstraße 76, Kiel. | |
Telefon: 0431/200 56 68, Website: [3][www.straffaelligenhilfe-sh.de] | |
23 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.straffaelligenhilfe-bremen.de/ | |
[2] http://www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de/ | |
[3] http://www.straffaelligenhilfe-sh.de | |
## AUTOREN | |
Jördis Früchtenicht | |
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