# taz.de -- Die Menschen in der Masse | |
> Fotografie Die Portrait-Reihe „Exactitudes“ der niederländischen Künstl… | |
> Ari Versluis und Ellie Uyttenbroe befragt Vertreter verschiedener | |
> sozialer Gruppen und Subkulturen nach Individualität im identischen Look | |
Bild: Vor lauter Individualität kaum noch zu unterscheiden: Exactitudes | |
von Vanessa Reiber | |
Diesen älteren Herren um die 70, nennen wir ihn mal Hans, kennen wir | |
irgendwie alle. Er trägt ein helles kurzärmeliges Hemd, am liebsten in | |
hellblau oder dezent kariert und beige Hosen. Was dazu nicht fehlen darf, | |
ist eine Weste mit vielen Taschen. Das niederländische Künstlerduo Ari | |
Versluis und Ellie Uyttenbroe nennt diesen Typ älterer Herr „Neighbour“ und | |
hat ihn gleich zwölfmal in ähnlicher Pose abgelichtet, stets mit den Armen | |
hinter dem Rücken. Gefunden haben die Künstler die Männer, die sich nahezu | |
identisch kleiden, in den Straßen von Rotterdam. | |
Das Konzept ihrer Kunst ist schematisch, aber wirkungsvoll: Seit mehr als | |
20 Jahren fotografieren Versluis und Uyttenbroe einzelne Vertreter sozialer | |
Gruppen und Subkulturen. Jedes ihrer Werke besteht aus vier mal drei dieser | |
Bilder von Menschen, die aufgrund ihres Kleidungsstils sehr ähnlich | |
aussehen. Von Kind im Flecktarnmuster über die Dame in praktischer | |
Regenjacke und mit Rucksack bis hin zum Intellektuellen mit Hut und langen | |
Mantel – die Niederländer fotografieren sich durch alle | |
Gesellschaftsschichten und verschiedene Städte. Eine Auswahl der Bilder ist | |
zurzeit in der Galerie des Vegesacker Geschichtenhauses zu sehen. | |
„Exactitudes“ heißt das Projekt: ein Neologismus, der sich aus den | |
englischen Worten „exact“ und „attitude“ zusammensetzt. Die fotografier… | |
Menschen wollen sich durch ihren Kleidungsstil von anderen abgrenzen und | |
individuell sein. Die Bilderserien aber beweisen das Gegenteil: Rein | |
äußerlich lassen sie sich problemlos einer Gruppe zuordnen und verschwinden | |
fast zwischen ihren jeweils elf Gleichgekleideten. Beim Betrachten der | |
„Carry Daddies“, müde aussehenden Männer, die ihre Babys in Tragegurten v… | |
der Brust tragen, und den „Grannies“, ältere Damen mit Dauerwellen und | |
Mänteln in Pastell- und Brauntönen, stellt sich unweigerlich eine Frage: | |
Wie individuell sind wir denn eigentlich? | |
Die meisten der rund 70 Werke der Vegesacker Ausstellung stammen aus den | |
Jahren von 1998 bis 2008. Sie wecken Erinnerungen: Jogginganzüge, Zöpfe und | |
Creolen-Ohrringe – ja, das haben einige Mädchen damals getragen. Auch die | |
sogenannten Geeks (oder frühe Hipster) mit ihren übergroßen Brillen, Hemden | |
und Strickjacken sind seltsam vertraut. Das Ansehen der Bilder ist wie eine | |
Zeitreise durch die Mode der vergangenen Jahrzehnte. | |
Und auch wenn die zwölf Menschen zunächst so gleich aussehen – durch die | |
ähnlichen Posen und Bildausschnitte wirken einige der Portraitierten fast | |
wie Zwillinge – passiert dann doch etwas Unerwartetes. Auf den zweiten | |
Blick nämlich unterscheiden sie sich dann nämlich doch: hinsichtlich ihrer | |
Körper nämlich. Mit der Zeit schärft die Zusammenstellung den Blick für den | |
Menschen hinter der subkulturellen Verkleidung. Dann wandert der Blick von | |
den fast identischen Tätowierungen zu den Augen, zu Narben vielleicht oder | |
zu den Händen. Zum Menschen also. | |
Die Fotoausstellung „Exactitudes“ ist noch bis zum 20. Dezember in der | |
Galerie des Vegesacker Geschichtenhauses zu sehen | |
23 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Vanessa Reiber | |
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