# taz.de -- Zu Unrecht am Pranger | |
> Birma Menschenrechtler machen es sich mit den Vorwürfen gegen Aung San | |
> Suu Kyi zu bequem. Viel kann sie derzeit für die Rohingyas nicht tun | |
von Andreas Lorenz | |
Der Mann hat Blut an den Händen: Min Aung Hlaing, Oberbefehlshaber der | |
Armee Birmas. Seine Leute ermorden Zivilisten, vergewaltigen und | |
brandschatzen – nicht nur an der Westgrenze des Landes, wo in den letzten | |
Tagen wohl über 400.000 Menschen der muslimischen Minderheit, der | |
Rohingyas, über die Grenze nach Bangladesch flohen. Auch bei Kämpfen gegen | |
andere Minderheiten sind seine Soldaten für ihre Brutalität gefürchtet. | |
Gleichwohl hat die deutsche Regierung dem General im April dieses Jahres | |
den roten Teppich ausgerollt. Eine Ehrengarde der Bundeswehr präsentierte | |
das Gewehr, der Generalinspekteur empfing ihn zum freundlichen Gespräch. | |
Auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Markus Ederer, traf den | |
mächtigen General zum munteren Gedankenaustausch. Dann ging es zu einer | |
Rüstungsfirma in Süddeutschland – Geschäfte mit einer Armee, sei sie noch | |
so verrufen, sind doch immer etwas Schönes. In der Öffentlichkeit blieb es | |
damals ruhig. | |
## Die Lady steckt in der Klemme | |
Heute hingegen ist allenthalben heftige Kritik zu hören – die sich aber | |
nicht vorrangig gegen die Militärs, sondern gegen die | |
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, 72, richtet. Der Vorwurf: Die | |
Staatsrätin und Außenministerin ignoriere das grausame Geschehen im | |
Rakhine–Bundesstaat oder spiele es herunter. Sie, die ihr Leben einst | |
Freiheit und Demokratie gewidmet habe, die selbst 15 Jahre von den | |
Generälen gefangen gehalten wurde, sei nun eine zynische Machtpolitikerin | |
geworden – eine gefallene Heldin, der man schleunigst den Nobelpreis | |
aberkennen solle. | |
Auch nach ihrer Rede gestern, in der sie „alle Menschenrechtsverletzungen | |
und unrechtmäßige Gewalt“ verurteilte, dürfte die Kritik nicht abebben. | |
Denn Aung San Suu Kyi mied es, das Militär zur Ordnung zu rufen. Amnesty | |
International reagierte entsprechend empört: Sie stecke den „Kopf in den | |
Sand“. | |
In einem haben die Kritiker recht: Aung San Suu Kyi ist keine Dissidentin | |
mehr, sondern pragmatische Politikerin. Aber sie springen zu kurz, sie | |
übersehen in ihrer Enttäuschung die prekäre politische Gemengelage in | |
Birma: „Die Lady“, wie die Birmesen sie nennen, steckt in einer furchtbaren | |
Klemme. Vor allem aber kann sie sich nicht offen auf die Seite der | |
Rohingyas stellen und das Militär verurteilen, wenn sie nicht ihr | |
Lebensziel aufs Spiel setzen will: ein demokratischeres Birma ohne eine | |
Vormachtstellung der Armee. Täte sie, was ihre Ankläger verlangen, wäre | |
ihre politische Karriere am Ende – und im schlimmsten Falle auch ihr Leben. | |
Birma ist buddhistisch geprägt, viele sind zutiefst gläubig. Schon im | |
vorigen Jahrhundert hatte sich besonders in unsicheren Zeiten der Zorn der | |
Bürger auf die kleine muslimische Minderheit gerichtet. Derzeit kochen | |
nationalistische und rassistische Mönche besonders eifrig ihr Süppchen: | |
Schuld an der Misere im Land, behaupten sie, seien die Muslime, die nichts | |
anderes im Sinn hätten, als die Buddhisten aus dem Land zu drängen – indem | |
sie buddhistische Frauen heirateten und viel mehr Kinder als die Buddhisten | |
in die Welt setzten. | |
Der Hass sitzt so tief, dass Aung San Suu Kyi 2015 bei den ersten | |
demokratischen Wahlen seit langer Zeit keine Muslime als Kandidaten | |
aufstellen ließ, weil sie um ihren Erfolg fürchtete. Dass sie als streng | |
gläubige Buddhistin Muslime verachte, wie manche behaupten, ist indes | |
Unsinn: Ihr Leibarzt und Vertrauter war lange Chefchirurg eines | |
muslimischen Krankenhauses, ihr juristischer Berater ein Muslim. Er wurde | |
jüngst am Flughafen von Yangon erschossen. | |
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Militärs die Lage im | |
Rakhine-Bundesstaat nach den Attacken einer muslimischen „Heilsarmee“ auf | |
Militärposten absichtlich anheizen, nicht nur um die Rohingyas zu | |
vertreiben, sondern auch um Aung San Suu Kyi und ihre Regierung zu | |
destabilisieren. | |
Die politische Geschichte des Landes, schreibt Foreign Affairs, ist | |
„gepflastert mit feindlichen Übernahmen“. Aung San SuuKyi wisse um die | |
Bedeutung, „einen noch so unvollständigen zivilen Anteil an der Macht zu | |
erhalten“. Dabei hat sie etwas getan, was den Uniformierten nicht in den | |
Kram passt und was ihre Kritiker jenseits der Grenzen von Myanmar | |
ignorieren: Sie holte eine UN-Untersuchungskommission unter dem früheren | |
UN-Generalsekretär Kofi Annan ins Krisengebiet. Die Annan-Leute rieten | |
unter anderem dringend dazu, die Lage der Rohingyas wirtschaftlich zu | |
verbessern und ihnen endlich Bürgerrechte zu gewähren. Was tat Aung San Suu | |
Kyi? Sie kündigte an, die Ratschläge umzusetzen. | |
## Mit dem Teufel verbündet | |
Ein anderes Vorhaben wurmt die Militärs noch mehr: Aung San Suu Kyi hat ihr | |
Ziel nicht aufgegeben, dem Land eine neue Verfassung zu geben, die die | |
Macht der Armee beschneidet. Die heutige Verfassung sichert ihr die | |
Kontrolle über Außen- und Innenministerium sowie die Grenztruppen zu. 25 | |
Prozent aller Sitze im Parlament sind für Soldaten reserviert. | |
Aung San Suu Kyi aber will die Offiziere zurück in die Kasernen schicken. | |
Den Mord an ihrem muslimischen Berater konnte sie deshalb nur als Warnung | |
verstehen: „Finger weg von den Militärs! Finger weg von der Verfassung!“ | |
Nun verliert sie Sympathien in der Welt. Womöglich ist ihr das egal, | |
Weggefährten halten sie zunehmend für autoritär und beratungsresistent. Sie | |
verehrt ihren Vater Aung San, den Nationalhelden, der dem Land die | |
Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren führte – indem er sich | |
unbeliebt machte: Im Zweiten Weltkrieg hatte er sich sogar mit den | |
militaristischen Japanern zusammengetan und ihre Uniform angezogen. | |
Die Tochter hat sich ebenfalls mit dem Teufel verbündet und einen hohen | |
Posten trotz der Vormachtstellung der Militärs akzeptiert – in der | |
Hoffnung, sie irgendwann auszumanövrieren. Gefährdet sie nun ihre | |
Strategie, in dem sie sich dem Willen ihrer Kritiker beugt, wäre womöglich | |
alles umsonst gewesen – das große Opfer jener oppositionellen Birmesen, die | |
während der Diktatur gefoltert oder ins Exil getrieben wurden, und die | |
Opfer, die sie in ihrem eigenen Leben gebracht hat. | |
Ihr Vater Aung San hatte am Ende Erfolg: Die Briten zogen 1948 ab. Er | |
erlebte dies allerdings nicht – er wurde kurz zuvor ermordet. | |
20 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Lorenz | |
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