# taz.de -- Manchmal wird hier auch gegrillt | |
> Obdachlose Gleich neben dem Berghain leben 30 bis 70 Wohnungslose. Einer | |
> der Bewohner findet das Leben dort okay. Er schreibt gerne Geschichten, | |
> will einen Currywurstatlas herausgeben. Man gewöhnt sich an alles, sagte | |
> er. Demnächst soll geräumt werden | |
Bild: Camp am Berghain. Anwohner beschweren sich über Müll und Ratten | |
von Max Nölke | |
Langsam steigt der süßliche Geruch von Schweiß in die Nasenlöcher, mischt | |
sich mit den Ausdünstungen von Bier und herumliegendem Müll. Ein junger | |
Mann mit schwarzem Kapuzenpullover, beiger Schlabberhose und Socken in | |
Pantoletten steht in dieser leicht beißenden Geruchsschwade und spielt | |
Fußball. Mit einem Pappkarton. Der Mitspieler: sein Hund. | |
Der junge Mann steht in seinem Wohnzimmer. Jedenfalls nennt er es so. Denn | |
hier befindet sich ein Obdachlosencamp im Schatten des Szeneclubs Berghain. | |
Mit ihm wohnen hier um die 30 weitere Obdachlose, meint er. Andere sprechen | |
von bis zu 70. „Kanns’ mich Schaden nennen. Die ganze Welt nennt mich so.“ | |
Schaden? „Ja, wie Dachschaden, nur ohne Dach halt.“ Der 25-Jährige lacht. | |
Ganz ohne Dach stimmt auch nicht. Ein provisorisches hat er. Aus Polyester. | |
Denn auf der Schotterfläche, 50 Meter entfernt vom Technoclub, stehen | |
sieben Zelte in einem Kreis. In dessen Mitte ein Campingtisch, einige | |
Stühle, Kochutensilien und eine Feuerstelle. Eben das Wohnzimmer. Flankiert | |
wird der Bereich von Müllbergen und grünem Dickicht. Richtung Warschauer, | |
an der Helsingforser Straße, stehen weitere Zelte. „Das sind hauptsächlich | |
Polen. Auch Jungs von uns.“ | |
## Manche überwintern sogar | |
Seit vier Jahren finden sich hier jeden Sommer Obdachlose zusammen, hat | |
Schaden so gehört. Fast immer dieselben. Manche bleiben sogar im Winter. Er | |
ist jetzt mit kurzen Unterbrechungen knapp drei Monate hier. Vorher war er | |
in Lübeck und Anfang des Jahres noch in Dortmund. Davor in seiner | |
Heimatstadt Goslar. Hier hat er auch 2010 seinen Realschulabschluss | |
gemacht, hat dann eine Ausbildung als Sozialassistent angefangen. Diese | |
aber wegen Depressionen abgebrochen. „Seitdem lebe ich auf der Straße. Das | |
geht schneller, als du glaubst.“ Er sei aber glücklich hier. Wieso? | |
„Morgens aufstehen gegen zehn, elf Uhr, dann erst mal’n Bierchen, dann ist | |
eigentlich immer irgendwo ’ne Feierei, ab und zu auch mal zum Schnorren | |
raus. Ist halt jeden Tag das Gleiche. Aber geht schon alles.“ | |
Sagt er ständig. Straße? Geht schon alles. Winter? Geht schon alles. Kann | |
sein, dass er wegen Schwarzfahrerei bald ein paar Monate in den Knast muss. | |
Aber geht schon alles. | |
Ab und zu holt er halb hustend, halb rülpsend einen grün-gelben Rotz aus | |
der siebten Sohle. In der Linken das Dosenbier, in der Rechten die Kippe, | |
fängt er auf einmal an, über Politik zu schwadronieren. Eher noch: über | |
sein Nichtinteresse. „Geht mir am Arsch vorbei.“ Wenn er wählen könnte, | |
würde er die Tierschutzpartei wählen. Aber keine Meldeadresse. Keine Wahl. | |
„Das stimmt doch gar nicht“, sagt einer von der Seite. „Kannst doch | |
Wahlrecht anfordern.“ Macht Schaden aber nicht, geht ihm ja am Arsch | |
vorbei. | |
Er schreibt gerne, erzählt er. Gedichte, Kurzgeschichten oder einfach seine | |
Gedanken auf. Meist hat er aber keinen Block oder Stift dabei, wenn ihm mal | |
wieder ein Geistesblitz durch den Kopf schießt. „Da ist schon so viel gutes | |
Material verloren gegangen.“ Irgendwann will er aber mal einen | |
Currywurstatlas herausbringen, so viel ist sicher. „Ich lebe für | |
Currywurst, und jeder soll wissen, wo es in seiner Umgebung die Beste | |
gibt.“ | |
An Plänen mangelt es dem 25-Jährigen nicht. Er erzählt viel von einer | |
Freundin, die in Graz lebt. Die wolle er nächstes Jahr mal besuchen, für | |
den Winter sucht er sich einen Platz beim betreuten Wohnen, sein Abi will | |
er noch nachholen und irgendwann dann auch mal sesshaft werden und Familie | |
gründen. „Träumen, ja was ist das?“, fragt er. | |
Viel Zeit dazu hat er, aber seine Gegenwart spielt sich hier in | |
Friedrichshain-Kreuzberg ab. Mit duschen in der Obdachloseneinrichtung, | |
Toilettengängen auf dem Dixi-Klo der benachbarten Baustelle und essen aus | |
Containern. Manchmal wird „im Wohnzimmer“ auch gegrillt. Aber auch immer | |
aufgeräumt, merkt er den Zeigefinger hebend an. Von Beschwerden der | |
Anwohner habe er daher noch nichts mitbekommen. | |
Die Sprecherin des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, Sara Lühmann, | |
dagegen schon. Es geht um Verschmutzung, Lärm und Rattenplage. Am | |
vergangenen Dienstag wurde dann beschlossen, den Platz zu räumen, „zum | |
Schutze der öffentlichen Gesundheit“. Zurzeit laufen die Planungen zwischen | |
Grünflächen- und Ordnungsamt, wann und wie das Ganze geschehen soll, ein | |
Termin sei noch nicht abzusehen. | |
Es sollen wohl zwei Sozialarbeiter miteinbezogen werden, die Kontakt mit | |
den Obdachlosen aufnehmen und Übernachtungsmöglichkeiten suchen sollen. | |
Dabei müsse man eigentlich jeden Obdachlosen individuell betreuen, findet | |
Berlins Diakonie-Chefin Barbara Eschen. Wird allerdings schwierig bei 6.000 | |
Obdachlosen in der Hauptstadt, zu denen laut Eschen noch 20.000 | |
Wohnungslose hinzukommen, die keinen Dauerwohnplatz haben. | |
Von all den Problemen um Räumungen und Beschwerden weiß Schaden nichts. Er | |
sei hier in den letzten drei Monaten nicht einmal weggeschickt worden. „Ist | |
ja’ne öffentliche Grünfläche.“ Außerdem wohne hier ja kaum einer | |
drumherum. Er schiebt das Problem ganz gerne weiter Richtung Helsingsdorfer | |
Straße. Da würden die Leute ja direkt an der Straße leben. | |
Frustriert sei er trotz allem nicht. Es ist halt, wie es ist, so sein | |
Mantra. „Der Mensch ist ein Gewöhnungstier. Auch hier dran gewöhnt man | |
sich.“ | |
Bei regnerischen 12 Grad zwischen graumelierten Plattenbaublocks bekommt er | |
hier die ganze versmogte und dreckige Hässlichkeit Berlins ab. Da fällt die | |
Vorstellung mit der Gewöhnung doch ziemlich schwer. Wenn das Camp dann | |
geräumt wird, muss ein neuer Ort zur Gewohnheit werden. Aber geht schon | |
alles. | |
18 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Max Noelke | |
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