# taz.de -- Bilanz 27.000 Kilometer tourte taz.meinland durch die Republik – … | |
Bild: Eine von 54 Tourstationen: In Oberndorf an der Oste kaperte taz.meinland … | |
von Jan Feddersen | |
Die grellste Szene auf unserer Tour wurde uns in Hannover, an einer | |
Berufsschule mit angehenden Metzgern und WurstverkäuferInnen, geliefert. | |
Wir hatten nicht gemerkt, dass unsere Bemerkung den Lehrer*innen gegenüber, | |
sie mögen zwei Stunden gern zuhören, dürften sich aber nicht einmischen, | |
für eine gewisse Verstimmung bei ihnen sorgte. Aber taz.meinland war ja | |
erfunden worden, um jenen eine Stimme und ein Forum zu geben, die sonst | |
nicht so zu Wort kommen. | |
Also fragten wir, wie bei jeder der 54 Veranstaltungen unserer Tournee | |
durch die Republik, fast im Geiste John F. Kennedys, dem dieser Satz | |
zugesprochen wird: Frag dich nicht, was dein Land für dich tun kann – frage | |
dich lieber selbst, was du für dein Land tun könntest. | |
Und so sagte ein migrantischer Schüler, 19 Jahre jung: „Ich? Ich war mal | |
Intensivtäter und bin jetzt keiner mehr.“ Toller Spruch – und wie wahr. | |
Außerdem sagte der gleiche Mann auch noch etwas anderes: „Was wollt ihr? | |
Eure Großväter haben das Land in die Scheiße geritten – und unsere Väter | |
und Großväter haben es wieder aufgebaut.“ | |
Und wir, als taz.meinland-Team in dieser Berufsschule, dachten: Endlich | |
kommt mal ein Satz, der nicht aus abgehangener Ratlosigkeit geboren wurde, | |
vielmehr eine Sentenz, die von Herzen kam und markiert, dass es an | |
Verfassungspatriotismus nicht gebricht, wenigstens nicht in jenen Kreisen, | |
die man als migrantisch beschreibt: Man möchte dort als Bürger*innen | |
gesehen und anerkannt werden – und zugleich die Leistung gewürdigt sehen, | |
die sie und ihre Angehörigen dem Land, ihrem Land auch, erbracht haben. Das | |
wich so hübsch und fein von allen pädagogischen Zumutungen ab. Das war | |
frech und gut. | |
## Auf Fühlung gehen | |
Von solchen Statements hätten wir gern mehr gehabt. Aber so | |
größenwahnsinnig, anzunehmen, mit fast fünf Dutzend Tourneestationen auch | |
nur irgendeine repräsentative Gesamtstimmung im Land erfassen zu können, | |
waren wir nie. Die Idee: Die taz verlässt ihre Berliner Schreibtische und | |
fährt, auf Einladung von Interessierten, in kleine Orte, um jenseits der | |
hauptstädtischen Wahrnehmungsblase Fühlung aufzunehmen. Es war die Zeit | |
nach den Bildern vom Münchner Hauptbahnhof und der Willkommenskultur, aber | |
auch nach der Kölner Silvesternacht 2015/16: (Nicht nur) aus der | |
Rudi-Dutschke-Straße konnten grassierende völkische, rassistische | |
Atmosphären wahrgenommen werden. Aber standen sie für die Unruhe im ganzen | |
Land? Gab es nicht auch die Guten, die sich nicht durch Horrorstimmen aus | |
dem rechten Spektrum aus der Bahn werfen lassen wollten? | |
Nach all diesen Veranstaltungen, über die wir in der taz als Zeitung wie | |
auf taz.de/meinland berichtet haben, in allen Bundesländern, sogar zweimal | |
im wirklich weit entfernten Saarland, nach 27.000 Autokilometern und nicht | |
minder so vielen mit der Bahn, kommen wir zu dem Schluss: Diese Erfahrung | |
möchte das taz.meinland-Team schon deshalb nicht missen, weil wir geflutet | |
wurden durch wahnsinnig wache und kluge Menschen, engagierte Menschen, von | |
denen wir vor allem dies lernten: Einschüchtern lassen durch rechte | |
Stimmungen? Niemals. | |
Viele Medien haben auch eine solche Tour wie taz.meinland ins Werk gesetzt, | |
die Süddeutsche, die Zeit, sogar die Bild-Zeitung mochte dem nicht | |
nachstehen: Nicht hastig und schlagzeilenorientiert sich zu erkundigen, | |
nicht gleich einem Impuls von Nachricht nachzugeben, sondern, wie in einem | |
literarischen Echolotverfahren, die Bedeutungen zwischen den Zeilen | |
herauszudestillieren. | |
## Die Wirklichkeit erfassen | |
taz.meinland ist ein journalistisches Projekt (gewesen), es war (und | |
bleibt) der Versuch, deutsche Wirklichkeit zu erfassen, ohne die Modi von | |
Beruhigung oder Hysterisierung zu wählen. Es war ein Glück, beispielsweise | |
in Monheim am Rhein zu Gast gewesen zu sein, wo ein Bürgermeister eine | |
Moschee nicht nur ertragen muss, sondern sie gegen den Mainstream der | |
klassischen Parteien unbedingt zu bauen fördert. Oder in Braunschweig, mit | |
voller Hütte beim taz.meinland-Abend, wo energisch über Mobilitätskonzepte | |
der Zukunft gestritten wurde. | |
Oder in Schleife, Lausitz, wo „Ende Gelände“-Klimakämpfer erstmals nach d… | |
Protesten mit den Ureinwohner*innen und Braunkohleprofiteuren dieser Gegend | |
ins Gespräch kamen. Der Pastorin in Schleife sei Dank konnte diese | |
Friedensperformance dort in einer schmucken, vattenfallgepflegten Kirche | |
stattfinden. Oder neulich in Hagen: Eine Stadt mit nicht mal mittlerem Ruf, | |
irgendwie abgeschabt und erschöpft – und wir erlebten ein hochenergisches | |
Bürgerplenum, das sich von keinem schlechten Leumund beeindrucken ließ. | |
Was wir gelernt haben? Dass nicht Rechtspopulismus das Problem in diesem | |
Land ist, sondern die teilweise steinernen kommunalen | |
Beharrungsverhältnisse, die frische Initiativen abwehren, wenigstens | |
versanden lassen. | |
Unsere taz.meinland-Tour war am intensivsten dann, wenn es hieß: Die taz | |
hört uns zu – das hätten wir nicht gedacht. | |
Insofern: Danke an alle! | |
16 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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