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# taz.de -- Zwischengeschlechtlich
> BERLIN ART WEEK Die Wesen der Künstlerin Jonny Star sind fragil und
> eigenwillig, voller Schönheit – und essenzieller Verstörung
Bild: Jonny Stars Bronze „Me As a Hare“ von 2016
von Ralf Hanselle
Das Leben gleicht einer großen Erhebung. Kaum mehr als ein Klumpen Lehm und
Speichel, stemmt sich der Mensch gegen Widerstände. Hingeworfen zwischen
Äther und Erde lehnt er sich gegen sein Schicksal auf. Die Berliner
Künstlerin Jonny Star hat diesem existenziellen Ringen Formen gegeben: Da
drückt sich etwa eine anthropomorphe Bronze von einem kalten Marmor-Urgrund
ab, und ein gesichtsloser Zwitter aus Erdling und Engel stemmt sich
rücklings gegen einen schweigenden Himmel.
Es sind mystische Menschlein, Homunculi, die sich besonders im Ende der
1990er Jahre entstandenen Frühwerk der Künstlerin herumtummeln. Jonny Star
hat ihnen geheimnisvolle Namen mit an die Seite gestellt: Niehmus ist eine
kleine Bronzefigur aus dem Jahr 1999; andere heißen Pries, Lumris oder
Naah. Diese dunkel gebeizten Figürchen wirken wie Hausgötter in einer
Heilsgeschichte oder zumindest Schutzheilige in einem privaten Drama.
Unweigerlich fühlt sich der Betrachter vor ihrem gesichtslosen Antlitz an
den alten Titanen-Starrsinn von Goethes Prometheus erinnert; an jenes
widerborstige J’accuse“, das dort der lyrische Held seinem Gottvater
entgegentrotzt: „Hier sitze ich, forme Menschen nach meinem Bilde.“
## Überschreitung
Denn nichts anderes ist es, was die 1964 in Düsseldorf geborene Jonny Star
seit über zwanzig Jahren tut: Bilder machen; Menschen formen – anfangs aus
Ton und Keramik, später aus einer Legierung aus Kupfer und Zink. Es ist ein
Geschlecht, das ihr gleich ist: reich an Fragilität und Eigenwillen, voll
zerbrechlicher Schönheit und essenzieller Verstörung. „Bei meinen Bronzen�…
sagt die Künstlerin, „gehe ich sehr intuitiv vor. Während ich sie forme,
bin ich in gewisser Weise ‚unter der Erde‘ – an einem Ort, an dem sich
niemand auskennt.“
Für eine Einzelausstellung im Kreuzberger Atelierhof hat Jonny Star sie nun
ans Licht geholt. Sie hat die alten Formen nach Jahren noch einmal
abgegossen, die kleinen Skulpturenpüppchen auf hohe Sockel gestellt und sie
anschließend zwischen neue Malereien, Fotografien und aktuellere
Bronzearbeiten drapiert. „The Cycle Room“ nennt Star diese vielschichtige
kleine Soloschau. Eine Ausstellung, die die Künstlerin nicht als
Retrospektive verstanden wissen will, in der sie dennoch einen großen
Zyklus zur Disposition stellt.
In Stars „Cycle Room“ kann man sich schwerelos um sämtliche Phasen der
Existenz drehen: Geburt und Sterben, Werden, Vergehen und Wiedergeburt.
Manches bricht mitten in der Bewegung ab; anderes führt zu Überschreitung
und Transformation. Besonders die acht neuesten Bronzen, in deren Titeln
auffällig häufig das Wort „Ich“ vorkommt, scheinen direkt im Urgrund der
komplexen Künstlerinnenseele entstanden zu sein.
„Me born“ heißt da etwa eine kleine Skulptur, die formal stark an den
hutförmigen Fruchtbecher einer frisch gefallenen Eichel erinnert. „Me
starring at My Breasts“ ist der Titel einer anderen Skulptur. Hier hat sich
das Eichelhütchen aus Bronze Nummer eins bereits unmerklich in kleine
Brustwarzen verwandelt. Und schließlich „Me Dead“ und „Me as a Hare“.
Ersteres ein hingestreckter Körperklumpen, Letzteres ein Zwitter aus
Osterhase und Flügelpüppchen. Bilder von Tod und Auferstehung werden
wachgerufen; ebenso aber auch von jenem leblosen Rammler, dem Joseph Beuys
vor gut einem halben Jahrhundert die Bilder erklärt hat.
Jonny Stars Bronzen muss man nichts mehr erklären. Sie tragen den Fundus
der Kunst bereits im Körper. Von den wuchtigen Venusfigurinen der
Altsteinzeit bis zu modernem Kitsch und Camp-Zitaten reichen im „Circle
Room“ die Assoziationen. Und immer wieder Paul Klees „Engel“ – jene
aquarellierten Flattermänner, die, wie auch Stars Bronzen, auf den
Übergängen und Grenzen wohnen. Die halb und halb sind.
Zwischengeschlechtlich. Transhuman. Zuweilen verkümmert, zuweilen gar
tragisch-lächerlich.
## Passionspositionen
Festgekeilt zwischen Himmel und Erde, zwischen Mann und Frau, zwischen E
und U. Noch suchend, fast findend. Immer wieder tauchen diese schier
unhaltbare Position in der beeindruckenden kleinen Soloschau auf. Doch es
sind gerade diese versammelten Unmenschlichkeiten, die Stars Figuren so
liebevoll menscheln lassen. Das Ringen, das Leiden, das Aufbegehren.
Passionspositionen, die immer wieder neu überwunden werden wollen. Und so
heißt die sicherlich schönste Arbeit auf dieser kreativen Lebensumlaufbahn
denn auch „Me Between Earth and Heaven“: eine mit Tütü-Röckchen bereifte
Hängeskulptur, irgendwo zwischen Kruzifix, Peepshow und brennender Fackel.
Mit ihren Arbeiten sowie mit ihren vielen kuratierten Gruppen- und
Soloshows hat Jonny Star in den zurückliegenden Jahren immer wieder
energiegeladene Assoziationsräume eröffnen können – Reflexionszonen, in
denen man über weit mehr als über ästhetische Fragen ins Grübeln geraten
ist. „Ich sehe das Kuratieren als Teil meiner künstlerischen Arbeit. Ich
möchte in meinen Ausstellungen Felder erzeugen.“ Felder aus verschiedenen
Medien und mit unterschiedlichsten existenziellen Schweregraden.
So sind im „Cycle Room“ etwa erstmals auch Acrylarbeiten auf Leinwand zu
sehen – merkwürdige florale und maritime Malereien, die der sonstigen
Schwere den Boden wegziehen. Kunst zwischen Blumen und Blubbern, zwischen
Banalität und tiefer Bedeutsamkeit. Doch bei aller Verschiedenheit: Im
Kosmos von Jonny Star rotiert letztlich alles um die gleiche Achse. Ihr
Fixpunkt ist nicht weniger als die Frage nach der „Conditio humana“.
Bis 30. September, Atelierhof Kreuzberg, Schleiermacherstraße 31–37
14 Sep 2017
## AUTOREN
Ralf Hanselle
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