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# taz.de -- Kolonialmacht Dänemark
> Die Royal Danish Library untersucht in der Ausstellung „Blind spots.
> Images of the Danish West Indies colony“ die Funktion der visuellen
> Medien im Kontext des europäischen Imperialismus
Bild: Die Videoinstallation von Jeannette Ehlers soll an die afrokaribischen Fr…
Von Susanne Regener
Zisch, Klatsch, Knall – diese Ausstellung über die visuelle
Kolonialgeschichte Dänemarks fordert auch die Ohren heraus. Noch ist der
Peitschenknall im ersten Raum des Rundgangs nur leise zu vernehmen, doch
bildet er bereits einen bedrohlichen Soundtrack zu den Holzschnitten, die
Auskunft über Kolumbus’ Vorstellungen des fernen westindischen Paradieses
samt seiner edlen Wilden geben.
Erstmals wurden für diese Ausstellung Bilder aus der Königlichen Dänischen
Bibliothek ausgewählt, die die Zeit vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart
umfassen. Als Realien und in digitalisierter Form werden Kupferstiche,
Ölgemälde, Fotografien, Postkarten, Zeitungen exemplarisch in ihrer
Medieneigenschaft und ihrem gesellschaftlich-historischen Kontext
vorgestellt.
Die leitenden Fragen der Ausstellung lauten: Was zeigen die Bilder, was
können wir heute sehen, und was bleibt uns verborgen? Zur Beantwortung
dieser Fragen wird das Material konsequent kontextualisiert und durch
Interventionen zeitgenössischer Videokunst noch einmal zur Debatte
gestellt. Hörstationen mit Interviews zu einzelnen Objekten, die das
schwedische Projekt „Living Archives“ unternommen hat, beleben die stummen
Zeugnisse.
Was wenig bekannt ist: Dänemark war im 17. Jahrhundert Kolonialmacht, unter
anderem hatte es die westindischen Inseln Saint John, Saint Thomas und
Saint Croix annektiert. In der ersten Volksabstimmung der dänischen
Geschichte 1916 stimmte eine Mehrheit für den Verkauf der Kolonie an die
USA. Nicht nur der Verfall der Zuckerrohrpreise und Unruhen in den Kolonien
hatten die Attraktivität der kolonialen Inseln vermindert, sondern auch die
mangelnde kulturelle Verbindung zum Mutterland. Sprache und Ausbildung der
Bewohner waren an Nordamerika ausgerichtet. Die offizielle Bezeichnung
lautet heute US Virgin Islands.
Die Peitschenhiebe kommen näher. Mindestens 120.000 Afrikaner*innen wurden
von dänischen Gouverneuren auf die Inseln verschleppt und versklavt. Davon
gibt es auf den ersten Abbildungen allerdings nichts zu sehen: Weder die
Landkarten noch die idealisierenden Landschaftsmalereien oder die
Illustrationen auf den Fayencen geben Auskunft über die Sklaverei. Die
Bilder des 19. Jahrhunderts fungierten als geschönte Werbeanzeigen, denn
man hoffte auf weitere Siedler. Die visuelle Überlieferungsgeschichte hat
blinde Flecken: keine Spuren von landnehmenden Eindringlingen, von auf den
Plantagen arbeitenden Sklaven, von Unterdrückung.
Blind ist möglicherweise jene Mutter eines Zuckerrohrplantagenverwalters,
die in den 1840er Jahren mit einer kleinen goldumrandeten Sonnenbrille von
einem unbekannten Maler porträtiert wurde. Die Kurator*innen nutzen diese
seltene Darstellung als symbolische Referenz zur Geschichtsforschung: Es
gibt stets etwas, was wir nicht sehen (sollen oder wollen), wo unser Blick
getrübt ist.
Das ändert sich mit dem Medienwechsel zur Fotografie. Doch im
Ausstellungsrundgang kommt es zunächst zur Intervention: Die Peitschenhiebe
sind nun auf einer Leinwand großformatig zu sehen und nahezu schmerzvoll
hörbar in der Videoinstallation der dänischen Künstlerin Jeannette Ehlers.
Mit bemaltem Gesicht und Körper soll ihre Performance an jene
afrokaribischen Frauen erinnern, die die Unruhen gegen die Kolonialmacht
anführten. Der Sound des Imperiums wird in Ermahnung der vergessenen
Geschichte der Sklaverei zum Sound der Auflehnung.
1848 tritt die Fotografie gleichzeitig mit der Abschaffung der Sklaverei
auf den Westindischen Inseln auf: In den Archiven sind zahlreiche private
Fotoalben aufbewahrt. Spannend ist es beispielsweise, durch das
(digitalisierte) Album des wohlhabenden Apothekers Alfred Paludan-Müller zu
blättern. Der ehrgeizige Amateur hatte auf seinem Anwesen der Insel Saint
Croix nicht nur seine Familie, sondern auch die zum Alltag gehörenden
Bediensteten, die früheren Sklaven, fotografiert. Dazu nutzte er die
Veranda als eine Art Atelier. Als Eldorado sollte die Kolonie weiterhin
erscheinen, wo man auch in harmonischer Eintracht mit den people of color
zu leben vorgab.
Dennoch wird der soziale Unterschied deutlich ins Bild gesetzt:
Dienstkleidung, nackte männliche Oberkörper und zugeordnete Requisiten, wie
Haushaltsgegenstände oder Waren, signalisieren Status und Rolle. Trotzdem
scheint das Medium Fotografie vereinzelt magische Momente zu bergen,
zumindest aus heutigem Blickwinkel: Das afrikanische Kindermädchen auf der
Daguerreotypie von 1847, dessen Name, Charlotte Hodge, sogar überliefert
ist, hält auf ihrem Schoß die kleine Tochter eines Kapitäns und
Amtsinhabers. Obwohl die sozialen Unterschiede durch Kleidung und Hautfarbe
klar konnotiert sind, gewinnt man den Eindruck einer Ebenbürtigkeit und
eines zärtlichen Umgangs miteinander.
Die Hände der Frau umfassen locker das Kind, das sich wie
selbstverständlich an ihre Schulter lehnt. Beide sind offensichtlich
gebannt von der fotografischen Prozedur, die Antlitze sind ernst, die
Blicke gebannt. Nicht überliefert ist allerdings, ob Charlotte Hodge
bereits freie Bedienstete war und wie sie selbst den Alltag in dieser
Familie erlebte. Auch in diesem Fall bleiben Bild und Betrachter blind.
Das Motiv des schwarzen Dienstpersonals geht indes in die
Postkartenfotografie des 20. Jahrhunderts ein. Die Visualisierungen der
Tourismusindustrie wiederholen die Rhetorik der Schönfärberei, wenn bis in
die Gegenwart die Inseln als Traumziele und die Bewohner als willfährige
Dienstleister abgebildet werden, um damit rückwärtsgewandt
„Dänisch-Westindien“ zu verkaufen.
Dem Anliegen der Ausstellung entsprechend, Bildbedeutungen nicht
festzuschreiben, werden zum Schluss Protagonisten der Tourismus- und der
Game-Industrie sowie der Kolonialgeschichtsforschung von der dänischen
(schwarzen) Schriftstellerin und Komikerin Anna Neye nach Romantisierungen,
Stereotypisierungen und blinden Flecken befragt. Schließlich muss man
konstatieren, das Verhältnis zum Fremden ist auch hundert Jahre nach
Aufgabe der Kolonien von der überlieferten Bildwelt geprägt und stellt für
die people of color eine unvollendete Geschichte dar.
Bis zum 3. Februar, Royal Danish Library, The Black Diamond, Kopenhagen
20 Dec 2017
## AUTOREN
Susanne Regener
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