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# taz.de -- Anpassung Als Westlerin fünf Monate in den Iran? Unsere Autorin ha…
Bild: Mit starrem Blick nach vorne: Frau im Bus in Teheran
von Solmaz Khorsand
Am Anfang ist immer Blut im Rotz. Das ist normal. So reagiert der Körper.
Zumal er österreichische Sauerstoffverhältnisse gewohnt ist. Es ist ein
klassischer Fall von West-Ost-Konfrontation: Trifft westliche Nase auf
Teheraner Smogglocke, ist das Blutbad im Taschentuch gewiss. Das geht
vorbei, wird mir versichert. Das Blut im Rotz ist ein guter Indikator für
den Grad der Assimilation. Je weniger Blut im Taschentuch, desto mehr Iran
im Blut. Fünf Monate Iran also. Das klingt faszinierend. Nach
Berberitzenreis, Tausendundeiner Nacht, operierten Nasen, finsteren Mullahs
und einer Jeunesse dorée, die ihnen den Mittelfinger zeigt.
Für Fremde ist der Iran eine exotische Peepshow. Damit können sie vor
Freunden angeben. Sich als Draufgänger inszenieren, die sich in einen
Gottesstaat gewagt haben. Immer und immer wieder werden sie dieselben
Anekdoten von dem 80-Millionen-Land erzählen: von den schönen, überraschend
gebildeten und selbstbewussten Frauen, von dem guten Essen, der
Gastfreundschaft, der atemberaubenden Natur, den melancholischen
Intellektuellen, der einen Heavy-Metal-Band, die im Untergrund spielt, und
den legendären Partys, auf denen man sich bei selbst gebranntem
Rosinenschnaps von einer Domina ihren Arbeitsalltag erklären lässt. So
faszinierend. So spannend. So unerwartet.
Nicht für mich. Für mich ist es ein Testlauf. Als Journalistin. Als
Europäerin. Als Tochter von zwei Exiliranern, die vor 32 Jahren aus
politischen Gründen das Land verlassen mussten. Kann ich in dem Land, aus
dem meine Eltern geflohen sind, leben?
Nein, sagen die Eltern. Nein, die Freunde. Nein, die Iraner. „Du wirst dich
nie daran gewöhnen können.“ Mit „daran“ meinen sie den Staat, der seit …
Jahren Islamische Republik heißt. Sie meinen die Religion, die sich auf
meinem Körper, auf meinem Teller, in meinem Schlafzimmer abspielen wird.
Sie meinen die Paranoia, die mich als Journalistin und als Tochter zweier
Dissidenten immer begleiten wird. Sie meinen die Tradition, die von
Ausländern als Folklore gefeiert wird, während sie für mich nur primitiven
Chauvinismus ausdrückt. Sie meinen die präpotenten Onkel, die jedes Problem
mit Geld lösen wollen, die neugierigen Tanten, die sich in alles
einmischen, die frustrierten Cousins, die keinen Sex haben, und die ruhigen
Cousinen, die bei jedem vorbeifahrenden Motorrad zusammenzucken, weil sie
das Rattern an die Nacht erinnert, als vor ein paar Jahren die
Basidsch-Milizen, Schergen des Regimes, durch die Straßen zogen und jeden
Andersdenkenden krankenhausreif geprügelt haben.
„Du wirst dich nie daran gewöhnen.“ Dieser Satz dröhnt fünf Monate lang …
meinem Kopf.
Anpassung ist eine Frage der Einstellung. Entweder man will oder man will
nicht. Nicht im Iran. In einer Theokratie stellt sich diese Frage nicht.
Anpassung passiert hier. Ob man will oder nicht. „Wenn du nicht verderben
willst, nimm die Farbe der Gesellschaft an.“ So lautet ein iranisches
Sprichwort. Oft wird es zitiert. Mal als Tatsache, mal als eindringlicher
Appell. Nimm gefälligst die Farbe der Gesellschaft an! Nur wer nicht
auffällt, überlebt hier.
## Der Blick
Der Körper übernimmt dabei das Kommando. Der blutige Rotz ist nur der
Anfang. Danach folgt der Blick. Das eigene Sehfeld beginnt sich zu
verändern. Vor allem in der Öffentlichkeit. Plötzlich gibt es kein links
und kein rechts mehr, sondern nur noch ein starres nach vorne. Im
öffentlichen Raum ist der Tunnelblick unablässig. Er schützt. Was ich nicht
sehe, gibt es nicht. Sei das der masturbierende Mann an der Straßenecke vor
dem Basar, die strenge Sittenwächterin vor der Einkaufspassage, die das
verrutschte Kopftuch im Visier hat, oder das verdreckte Straßenkind, das
ein paar Verse des Nationaldichters Hafez verkaufen möchte. Stelle ich
Augenkontakt her, verfolgt mich der Mann, nimmt mich die Frau auf das
Revier mit und beschämt mich das Kind für meine Dekadenz. So ist alles gut.
Alles im toten Winkel. Das Leben ist schön.
## Der Gang
Der Gang ist schneller als sonst. Es könnte daran liegen, dass man in
Teheran lebt, wo man mit 14 Millionen anderen versucht, Schritt zu halten.
Klassisches Großstadtgetümmel halt. Es könnte aber auch daran liegen, dass
man als Frau geht, als Frau, die allein unterwegs ist. Eigentlich keine
große Sache. Millionen Iranerinnen rempeln sich allein durch die Straßen,
durch die Stadt, durch das Land, das sie zu Bürger zweiter Klasse erklärt.
Genau genommen sind sie halbe Bürger. Sagt eine Frau vor Gericht aus, zählt
ihre Aussage nur halb so viel wie die eines Mannes. Wird eine Frau bei
einem Unfall verletzt, bekommt sie nur halb so viel Schadenersatz wie ein
verletzter Mann. War die Frau bei besagtem Unfall mit einem Jungen
schwanger, steht ihr nur halb so viel Geld zu wie dem männlichen Fötus in
ihrer Gebärmutter.
„Alles für uns ist ein Kampf. Das ist der Iran, gewöhn dich daran“, sagen
die Iranerinnen und lachen. Es klingt bitter. Sie haben sich an das Level
der Misogynie gewöhnt. Es setzt so tief an, dass ihnen nichts anderes übrig
bleibt, jede Kleinigkeit als Kampf zu betrachten.
Souverän navigieren sie wie Schattenboxerinnen durch ihre Heimat, die
jungen wie alten Fashionistas in ihren engen Mänteln ebenso wie die
religiösen „Tschadoris“, die den Zipfel ihres schwarzen capeähnlichen
Umhangs mit dem Mund festhalten, sodass der weite Stoff sie auch weiterhin
züchtig umhüllt. Sie gehen schnell und bestimmt. Jeder Schritt ist ein
Statement. Diese Art Frau bin ich, respektiere mich, geh mir aus dem Weg,
und wage es ja nicht, mich anzusprechen. Besonders am Abend ist der
Scheuklappenlauf zu beobachten. Er ist schneller als bei Tag. Denn am Abend
soll Frau nicht mehr allein losziehen. Dann bricht die „Zeit der Wölfe“ an,
wie es die Teheraner nennen. Bei Einbruch der Dunkelheit sind die meisten
Frauen nur mehr in Begleitung zu sehen. Ob mit Familie, Ehemann oder
Freundinnen. Nur das Rudel schützt sie gegen die Wölfe.
## Die Stimme
Privatsphäre ist Luxus im Iran. Das Individuum schuldet dem Kollektiv
jederzeit und überall Rechenschaft. Ob im Bus, am Arbeitsplatz, im Café
oder in den eigenen vier Wänden. Wer dem entkommen will, übt sich in der
Kunst des lautlosen Sprechens. Es lässt sich überall beobachten. Zu Hause,
wenn die Cousine die Verabredung mit dem Kommilitonen rekonstruiert,
während die Mutter an der Tür lauscht, im Café, wo der Freund über die
Isolationshaft im Gefängnis erzählt und die Hipster an den Nachbartischen
so tun, als würden sie auf ihren Laptops arbeiten, im Busabteil, wo zwei
Frauen sich gegenseitig tonlos anjapsen, während die anderen Anwesenden
versuchen, den Inhalt der Konversation mitzuverfolgen. Erfolglos. Es ist
ein kleiner Sieg im kollektiven Rechenschaftszirkus. Nur wer sein
Stimmvolumen steuern kann, gewinnt ein Stück Privatsphäre, ein Stück
Freiheit, ein Stück Kontrolle.
Je mehr Zeit vergeht, umso besser beherrscht man auch diese Kunst. Zuerst
wird die Stimme leiser. Und irgendwann bewegen sich nur noch die Lippen.
Die Metamorphose ist damit beendet. Der Panzer hat
9 Sep 2017
## AUTOREN
Solmaz Khorsand
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