Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Es ist weiterhin Zirkus“
> Manege5.000 Gäste erwarten die Veranstalter ab der kommenden Woche beim
> dritten Berliner Circus Festival. Josa Kölbel erklärt die Besonderheiten
> und warum es der zeitgenössische Zirkus noch so schwer hat in Deutschland
Bild: Weg vom Erwartbaren: Der zeitgenössische Zirkus bricht mit den Klischees…
Interview Rebecca Barth
taz: Herr Kölbel, was genau ist denn „zeitgenössischer Zirkus“?
Josa Kölbel: Es ist nicht ganz einfach, das Konzept in wenigen Worten zu
erklären, aber ich versuche es mal: Zeitgenössischer Zirkus ist eine sehr
junge Form des Zirkus, die in den Siebziger Jahren in Frankreich entstanden
ist. Es ist weiterhin Zirkus, der aber versucht, sich mit anderen
Kunstformen zu verbinden und alte Konzepte zu überdenken. Er trennt sich
von dem typischen Nummernprogramm, in dem eine Nummer auf die andere folgt
und versucht durch eine Geschichte oder Dramaturgie einen roten Faden zu
spinnen.
Ganz anders also als der traditionelle Zirkus?
Traditionelle Zirkusvorstellungen sind ja praktisch alle gleich. Hier und
da variiert die Qualität der Produktionen, aber grundsätzlich kommt man
rein und weiß, was einen erwartet. Und das ist beim zeitgenössischen Zirkus
nicht der Fall. Die Companies arbeiten sehr unterschiedlich, und wir
versuchen auf unserem Festival diese große Bandbreite darzustellen, um
einen tiefen Einblick in diese Kunstform zu geben.
Das Programm wirkt tatsächlich sehr bunt. Von verrückten finnischen
Produktionen über das Hand-zu-Hand-Duo Justine et Frederi aus Frankreich
scheint alles dabei.
Ja, die Finnen haben zum Beispiel einen sehr eigenen Stil, der sich durch
die drei Stücke im Programm zieht. Ein bisschen komödiantisch, man kann
auch sagen sehr roh, superdirekt, im doppelten Sinne unverschämt. Sie haben
keine Scham, sind provokant und fordern damit die Zuschauer heraus. Die
beiden Franzosen hingegen arbeiten sehr technisch, bringen aber in ihrer
Arbeit auch sehr viel Emotion rüber. In ihrem Stück geht es um das
Verhältnis von Mann und Frau – quasi ein Kräftemessen.
Aus welchem Grund haben Sie sich vor drei Jahren entschieden, das Festival
zu organisieren?
Ich bin seit zehn Jahren selbst Zirkusartist und viel im Ausland unterwegs
gewesen. Mein Partner, Johannes Hilliger, kommt aus der
Eventmanagement-Branche. Wir sind beide große Fans von zeitgenössischem
Zirkus und haben uns immer gefragt, warum es das hier in Berlin nicht gibt,
obwohl das Publikum eigentlich perfekt wäre. Im Ausland haben wir diese
Form des Zirkus schon oft erlebt und gesehen. In Frankreich spielen solche
Produktionen in festen Theatern oder an Opernhäusern. Dort ist der Zirkus
schon deutlich etablierter, und wir dachten uns: Das können wir hier auch
machen! Die Idee ist supergut angekommen, wie ich finde. Dieses Jahr
erwarten wir etwa 5.000 Gäste.
Zeitgenössischer Zirkus sticht häufig dadurch hervor, dass es keine Tiere
in der Show gibt. Das wäre aber theoretisch schon möglich?
Theoretisch ja, aber es geht davon weg, Tiere im Programm zu benutzen.
Letztes Jahr gab es auf unserem Festival nur eine Performance, in der ein
Huhn dabei war, aber das gehörte quasi zur Dramaturgie dazu. Es gibt keine
dressierten Tiere, die irgendwelche Tricks vorführen.
Wie muss man sich das Gelände vorstellen? Wird es ein Zirkuszelt geben?
Allgemein haben wir, wie ich finde, ein für den Zirkus eher untypisches
Gelände. Da steht eben kein rot-gelbes Zirkuszelt und irgendwelche Gehege
oder so. Sondern da steht halt ein Zelt, in dem eine viereckige
Theaterbühne mit Tanzboden zwischen den Masten aufgebaut ist. Drumherum
wird es viele Stände geben. Visuell ist es eher an ein Musikfestival
angelehnt. Das Gelände versuchen wir spannend zu gestalten. Ich finde den
Gedanken schön, dass es auch kuratierte Kunst gibt, die in aller Ruhe
angeschaut werden kann. Daher wird es an verschiedenen Orten auf dem
Festivalgelände verschiedene Ausstellungen zu entdecken geben.
Ausstellungen beim Zirkusfestival?
Wir wollten Zirkus nicht nur auf der Bühne zeigen, sondern auch in anderen
Formen, und haben Künstler gesucht, die Zirkus im weitesten Sinne in ihrer
Arbeit aufgreifen. Dieses Jahr wird die Ausstellung von zwei Künstlern
kuratiert, die als Grundthemen Zirkus, Stadt und Bewegung gewählt haben.
Sie versuchen, darum einen weiten Faden zu spinnen, der verschiedenste
Künstler einbinden soll.
Daneben sind auch noch andere Formate wie Workshops geplant. Was ist die
Idee dahinter?
Die Vorstellung von dem, was zeitgenössischer Zirkus ist, ist sehr krass
geprägt von den Bildern aus dem traditionellen Zirkus. Deswegen haben wir
versucht, Formate zu schaffen, bei denen Künstler und Zuschauer
aufeinandertreffen und sich kennenlernen können. Die Besucher können so
Einblicke in die Prozesse bekommen, was ihnen wirklich viel geben kann.
Und was hat es mit dem Format „Work in Progress“ auf sich?
Es werden vier Stücke, die sich noch in der Kreationsphase befinden,
vorgestellt, und die Zuschauer geben Feedback. Letztes Jahr haben Sisus
Sirkus aus Finnland einen Teil ihres Stücks „Mosh Split“ auf dem Festival
im „Work in Progress“ vorgestellt. In diesem Jahr führen sie es auf. Wir
versuchen eine Kontinuität herzustellen, sodass Stücke aus dem „Work in
Progress“ im nächsten Jahr im offiziellen Programm laufen.
Was wäre denn auf dem Festival als Einstieg geeignet, um sich mit der
Kunstform zeitgenössischer Zirkus auseinanderzusetzen?
Gerade dafür haben wir die Kurzstücke am Dienstag und Mittwoch. Das sind
drei sehr unterschiedliche 20- bis 30-Minuten-Stücke mit Pausen dazwischen.
Dort sollen die Künstler ihre Art und ihr Verständnis der Kunstform
präsentieren können. Die Besucher bekommen dort einen Überblick über die
verschiedene Herangehensweisen. Für den Anfang kann man das sehr empfehlen.
Wie finanzieren Sie das Festival?
Der Hauptstadtkulturfonds unterstützt uns zum ersten Mal und übernimmt
dieses Jahr einen Großteil. Für uns ist das ein sehr großer Schritt, Zirkus
als Kunstform zu etablieren. Es zeigt jedenfalls, dass die Künste uns auf
dem Radar haben. Zudem haben wir ein Schwerpunkt-Land auf dem Festival.
Letztes Jahr war das Frankreich, dieses Jahr ist es Finnland, und
finanziell unterstützt uns auch das finnische Institut. Oft ist es so, dass
nationale Institute oder deren Botschaften uns mitfinanzieren, um deren
Künstler auch hier Sichtbarkeit zu geben.
Wie ist denn die Situation für zeitgenössischen Zirkus in Deutschland und
speziell in Berlin?
Zeitgenössischer Zirkus versucht sich als Kunstform zu etablieren: Es gibt
kleine Kollektive und engagierte Künstler. In letzter Zeit sind viele
Proberäume entstanden, allerdings gibt es kaum Bühnen, die zeitgenössische
Zirkuskunst zeigen. Seit Anfang des Jahres sind wir aber im Haus der
Berliner Festspiele auch als Kuratoren für Zirkus tätig. Das ist eine
riesige Möglichkeit, diese Kunstform auf großen Bühnen zu zeigen.
Also ist der zeitgenössische Zirkus auch in Deutschland im Kommen?
Ja, aber generell haben wir die Erfahrung gemacht, dass man bei dem Thema
Zirkus, so wie wir ihn kennen, in Deutschland noch einen sehr weiten Weg
gehen muss.
19 Aug 2017
## AUTOREN
Rebecca Barth
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.