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# taz.de -- Doppelstandard der türkischen Polizei: Exekutive misst mit zweierl…
> Anders als mutmaßliche IS-Terroristen erfahren Oppositionelle eine
> gewaltsame und rücksichtslose Behandlung durch die Polizei.
Bild: Keine Nachsicht mit Kritiker*innen
Am Montag, den 14. August, wurde in Istanbul ein mutmaßlicher IS-Anhänger
festgenommen. Laut Behörden bestand ein Verdacht auf ein
Selbstmordattentat. Der Verdächtige wurde zunächst auf das Polizeirevier im
Istanbuler Stadtteil Aksaray gebracht, wo er einen 24-jährigen
Sicherheitsbeamten mit einem Messer angriff und schwer verletzt hat. Der
Angreifer wurde noch am Tatort von der Polizei getötet.
Der verletzte Polizeibeamte Sinan Acar starb im Krankenhaus an den Folgen
seiner Verletzungen. Polizeipräsident Mustafa Çalışkan sagte bei einer
Stellungnahme am Folgetat: „Der verhaftete Täter war ein international
gesuchter Terrorist. Wir denken, dass wir ein Attentat verhindern konnten.“
Genauere Angaben zu dem möglichen Attentat oder dem Täter hat die Polizei
zu diesem Zeitpunkt nicht kommuniziert.
Die Stellungnahme des Polizeipräsidenten zog Fragen nach sich und sorgte
für Diskussionen in der Öffentlichkeit. Es gibt ein zweistufiges Verfahren
für den Sicherheitscheck von verdächtigen Personen. Eine erste körperliche
Durchsuchung erfolgt direkt nach der Festnahme, eine zweite noch
gründlichere Durchsuchung auf dem Sicherheitsrevier. Den polizeilichen
Informationen zufolge hat der Täter den Polizisten angegriffen, als dieser
ihn zur Zelle für Untersuchungshäftlinge abgeführt hat – also nach den
üblichen Sicherheitschecks.
## Entlassung, Hungerstreik, U-Haft
Zu diesem Zeitpunkt hätte die Polizei die Waffe längst entdeckt haben
müssen. Wenn der Täter die Waffe nicht von jemand anderem zugesteckt
bekommen hat, dann bleibt nur die Erklärung, dass die Sicherheitsbeamten
nicht gründlich genug gewesen sein müssen. Für eine Kontroverse sorgte auch
die Tatsache, dass der Täter nicht in Handschellen abgeführt wurde, was
oppositionelle Politiker als Vernachlässigung der Sicherheitsstandards
kritisierten.
Nicht so nachsichtig sind Sicherheitskräfte hingegen mit Bürger*innen, die
sich mit den Anliegen von Regierungskritikern solidarisieren, wie zum
Beispiel mit den beiden Akademiker*innen Nuriye Gülmen und Semih Özakça.
Die beiden wurden aus dem Dienst entlassen, nachdem der Ausnahmezustand
ausgerufen wurde und befinden sich seit 160 Tagen im Hungerstreik.
Gülmen und Özakça fordern ihre Wiedereinstellung und ein Ende der
Repressionen gegen Oppositionelle. Doch dieses Anliegen wird von der
Regierung nicht nur ignoriert, die beiden befinden sich seit dem 21. Mai
2017 in Untersuchungshaft. In Ankara und Istanbul finden regelmäßig
Solidaritätsdemonstrationen statt, die gewaltsam von der Polizei aufgelöst
werden. Dabei werden auch Demonstrierende verhaftet.
## Handschellen trotz gebrochenem Arm
Das jüngste Beispiel ereignete sich am 6. August bei einem Fußballspiel
zwischen den Mannschaften Beşiktaş und Konyaspor in der Stadt Samsun.
Beşiktaş-Fans eröffneten während des Spiels ein Soli-Transparent für die
Akademiker*innen Gülmen und Özakça mit der Aufschrift „Sie sollen leben!�…
Als Folge dieser Aktion wurden Haftbefehle gegen 17 Personen erlassen,
darunter gegen Volkan Çalışkan, der am 12. August verhaftet wurde.
Ein weiteres Beispiel für den gewaltsamen Vorgang der Polizei fand am 11.
August statt. Gülsüm Elvan (Mutter von Berkin Elvan, der während der
Gezi-Proteste von einer Gaskartusche am Kopf verletzt wurde und nach neun
Monaten im Koma, im Alter von 15 Jahren, an den Folgen seiner Verletzungen
starb, Anm.d.Red), beteiligte sich an einer Solidaritätsveranstaltung für
den Hungerstreik von Gülmen und Özakça.
Wie viele andere Demonstrierende wurde Elvan festgenommen und erlitt bei
der gewaltsamen Verhaftung einen Armbruch. Obwohl die Verletzung bereits
auf dem Sicherheitsrevier festgestellt wurde und keine Fluchtgefahr
bestand, hat man ihr stundenlang nicht die Handschellen abgenommen.
Polizeieinsatz am 11. August 2017 in Ankara: Bei der Solidaritätskundgebung
für Gülmen und Özakça erlitt Gülsüm Elvan nach der gewaltsamen Verhaftung
einen Armbruch.
Demonstration aus dem Jahr 2015 im Istanbuler Stadtteil Bağcılar: Ein
IS-Sympathisant demonstriert bewaffnet mit einem Messer, die Polizei sieht
zu.
Sabahat Tuncel, HDP-Abgeordnete bei ihrer Festnahme am 5. November 2016.
Die Politikerin befindet sich nach wie vor in Haft.
Halis Bayancuk, Deckname Ebu Hanzala, bei seiner Überführung ins
Polizeirevier am 24. Juli 2015. Der später Angeklagte sagt vor Gericht:
„Ich wünsche mir die Sharia.“
5. April 2017 im Istanbuler Justizpalast: Anwält*innen halten im Gebäude
eine „Mahnwache der Gerechtigkeit“ für die inhaftierten Autoren der
Cumhuriyet und werden dabei vom Sicherheitspersonal gewaltsam attackiert.
Im eben selben Justizpalast fand am 23. Februar 2016 der Prozess gegen
IS-Anhänger statt. Die Angeklagten konnten sich in Anwesenheit des
Sicherheitspersonal frei bewegen.
Diese Bilder sind nur einige Beispiele, die demonstrieren, dass die
Sicherheitsbehörden einen „milderen“ Umgang mit verhafteten IS-Anhängern
und mutmaßlichen Terroristen an den Tag legen. Gegen Oppositionelle
hingegen verhalten sich Polizei und Sicherheitspersonal unverhältnismäßig
gewaltsam.
Die Ermittlungen im Fall des Terroranschlags von Ankara, bei dem 102
Menschen getötet und mehr als 400 Menschen verletzt wurden, untermauert
diese Beobachtung. Für den Anschlag wird der sogenannte „Islamische Staat“
(IS) verantwortlich gemacht, der sich bis dato nicht zur Tat bekennt.
Insgesamt 36 mutmaßliche Täter stehen vor Gericht.
## Prozess „Terroranschlag Ankara“
Beim Prozessauftakt am 7. November 2016 sagte der Angeklagte Mehmeddin
Baraç alias Ebu Hattab, er sei ohne weiteres an drei verschiedenen
Grenzübergängen nach Syrien ein- und ausgereist: „Ich bin Mitglied der
AKP-Jugend, kann mit Waffen in Polizeistationen ein und ausgehen, mein
Bruder ist Polizist.“
Ein weiterer Angeklagte der beschuldigt wird, die Selbstmordattentäter aus
Syrien nach Ankara eskortiert zu haben, erzählt während der Verhandlungen,
dass man ihnen nach ihrer Festnahme zur Tat gratuliert habe: „Nach unserer
Festnahme haben auf dem Polizeirevier einige Leute Selfies mit uns
gemacht.“
Am 10. Oktober 2015 detonierten kurz hintereinander zwei Sprengsätzte in
der Nähe des Hauptbahnhofs, wo sich linke Gruppen zu einer Kundgebung
versammelt hatten. Am 25. September 2017 wird zum fünften Mal der Prozess
gegen die mutmaßlichen Täter aufgenommen, der bisher ergebnislos blieb.
17 Aug 2017
## AUTOREN
Erk Acarer
## TAGS
taz.gazete
Terrorismus
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