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# taz.de -- Zeitgeschichte Der Historiker Mark Jones schildert in „Am Anfang …
Am Anfang war Gewalt“ heißt Mark Jones’ Geschichte der deutschen Revolution
– und schon der Titel legt den Finger in die Wunde. Denn Jones bedient
nicht das Narrativ einer Demokratisierungsgeschichte, sondern zeichnet eine
Geschichte der Gewalt nach, die mithin die folgenden Jahrzehnte deutscher
Geschichte in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Entlang einzelner Gewaltakte, welche die Jahre 1918 und 1919 prägten,
beschreibt er eine Gewalteskalation, die mit ersten Scharmützeln während
des verhältnismäßig unblutigen Matrosenaufstands in Kiel beginnt. Von hier
aus reicht sie über die mit zunehmender Brutalität geführten Straßenkämpfe
in Berlin bis zur Zerschlagung der Münchner Räterepublik. Jones schreitet
die historischen Wegmarken ab und verknüpft seine Analyse der Gewalt mit
dem öffentlichen Gewaltdiskurs – vor allem in der Tagespresse und in den
damaligen politischen Gremien.
Auch eine Einordnung der Gewaltgeschichte in die innerdeutschen
Gesamtentwicklungen bleibt Jones nicht schuldig; welche Rückwirkungen die
fragile außenpolitische Lage auf die Brutalisierung der inneren
Auseinandersetzungen hatte, bleibt hingegen nur in Ansätzen skizziert.
So bemerkenswert wie das Volumen des von Jones ausgewerteten
Quellenbestands ist auch das Resultat seiner Untersuchung: Die Gewalt der
Jahre 1918 und 1919 war in erster Linie nicht eine bedauerliche
Begleiterscheinung des demokratischen Umsturzes, sondern ein konstitutives
Element der Weimarer Staatsgründung: Auf gewaltsame Aufstände reagierte die
Reichsregierung mit unverhältnismäßiger Gegengewalt. Hierzu wurden sie
nicht von einer Minderheit konservativer Militaristen gedrängt. Vielmehr
war es die breite Bevölkerungsmehrheit, von nationalen Kreisen bis weit
hinein in die Sozialdemokratie, die eine gewaltsame Niederschlagung der
Aufstände forderte und die Legitimität der neuen Regierung hiervon abhängig
machte.
Vor diesem Hintergrund eröffneten sich – erst recht nach Noskes
Schießbefehl – rechtsfreie Räume, in denen einzelne Angehörige der
Regierungstruppen bei der Bekämpfung der Aufstände nicht nur an
Spartakisten, sondern auch an unbeteiligten Zivilisten straffrei
Gewalttaten verüben konnten.
Jones plausibilisiert diese Entwicklungslinien, die zu der Gewalteskalation
beitrugen. Besondere Bedeutung kommt der „Autosuggestion“ zu, die Jones bei
allen Konfliktparteien beobachtet: So fielen die ersten blutigen Schüsse,
da sich unter den revolutionären Matrosen die Wahnvorstellung ausgebildet
hatte, jederzeit mit Angriffen konterrevolutionärer Offiziere rechnen zu
müssen; ebenso resultierten die Forderungen nach staatlichen
Gewaltmaßnahmen gegen die Spartakisten aus dem Mythos einer russisch
finanzierten Geheimarmee Liebknechts.
Die von Jones entworfene „Gewaltsoziologie“ ist überzeugend und hilft zu
verstehen, wie die Konfliktparteien interagierten, indem Gewaltakte Anlass
zu Gegengewalt gaben. Schließlich macht sie auch verständlich, dass sich
eine „Normalisierung der Gewalt“ im öffentlichen Diskurs bereits 1918/1919
– und nicht erst ab 1933 – vollzog. Tilman Asmus Fischer
Mark Jones: „Am Anfang war Gewalt“. A. d. Eng. v. K. H. Siber. Ullstein
Verlag, Berlin 2017, 432 S., 26 Euro
12 Aug 2017
## AUTOREN
Tilman Asmus Fischer
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