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# taz.de -- Pro & Contra Zivilcourage-Preis des CSD: War die Absage von Judith …
> Zu kommerziell, zu wenig antirassistisch: Judith Butler kritisierte auf
> der Berliner Waldbühne den Christopher Street Day der Hauptstadt - und
> lehnte den Zivilcouragepreis ab.
Bild: Der "große" Christopher Street Day zog in Berlin vom Kurfürstendamm zum…
PRO
Die international renommierte Gender- und Queer-Theoretikerin Judith Butler
hat den Zivilcourage-Preis des Berliner CSD e.V. abgelehnt. In einer
bewegenden Rede auf der Bühne am Brandenburger Tor unterstrich sie immer
wieder, dass der Kampf gegen Homophobie nicht isoliert zu betrachten ist
und dass die Rechte von Frauen, Lesben und Schwulen ohne eine klar
antirassistische Ausrichtung der Arbeit nicht durchsetzbar sind: «Einige
der Veranstalter_innen haben sich explizit rassistisch geäußert bzw. sich
nicht von diesen Äußerungen distanziert.
Die veranstaltenden Organisationen weigern sich, antirassistische Politiken
als wesentlichen Teil ihrer Arbeit zu verstehen. In diesem Sinne muss ich
mich von der Komplizenschaft mit Rassismus, einschließlich
anti-muslimischem Rassismus, distanzieren.» Wir gratulieren Judith Butler
zu dieser Entscheidung, die einen praktischen wie auch notwendigen Akt der
Zivilcourage darstellt.
Ob es um den Einwanderungs- und Integrationsdiskurs in Deutschland geht
oder um die Auslandseinsätze der Bundeswehr: An der Oberfläche werden immer
auch wir verhandelt: Als Frauen und queere Menschen sollen wir verteidigt
werden gegen die sexistischen und homophoben Muslime und MigrantInnen.
Butler: «Wir haben alle bemerkt, dass Homo-, Bi-, Lesbisch-, Trans-,
Queerleute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen, das
heißt: kulturelle Kriege gegen Migrant_innen durch forcierte Islamophobie
und militärische Kriege gegen Irak und Afghanistan. (…) Durch diese Mittel
werden wir rekrutiert für Nationalismus und Militarismus.»
Einige feministische und schwule AktivistInnen sind Teil dieser
Maschinerie, die die Welt in zwei Blöcke geteilt sieht: Hier die Guten,
dort die Bösen. Diese bewusst vereinfachende, Ausgrenzung befördernde Logik
lehnen wir ab.
Unsere Welt lässt sich nicht teilen – so wenig wie sich unsere Erfahrungen
teilen lassen in Sexismus/Homophobie oder Rassismus. Von Butlers Rede bei
der Abschlusskundgebung des CSD und ihrer Ablehnung des
Zivilcourage-Preises geht das wichtige Signal aus, endlich
Mehrfachzugehörigkeiten und Mehrfachdiskriminierung in den Fokus zu nehmen:
In einer globalisierten Welt und in unserer komplexer gewordenen
Gesellschaft funktionieren eindimensionale Identitäten nicht mehr. Niemand
ist mehr «nur» lesbisch oder «nur» Migrant.
Es ist an der Zeit, Geschlecht, Herkunft und sexuelle Orientierung
zusammenzudenken und nicht gegen einander. Der Applaus für Butler am
Brandenburger Tor zeugt: Homo gleich deutsch, migrantisch gleich homophob
lässt sich heute niemandem mehr verkaufen!
TÜLIN DUMAN
ist Geschäftsführerin von "Gays & Lesbians aus der Türkei" (GLADT), einer
Eigenorganisation queerer MigrantInnen. GLADT kämpft seit mehr als zehn
Jahren dafür, dass die Bekämpfung von Homo- und Transphobie als
gesamtgesellschaftliches Phänomen gesehen wird.
***
CONTRA
Judith Butler hätte den Zivilcouragepreis des Berliner CSD e.V. schon
ablehnen können, als man ihr diesen antrug. Das war vor drei Monaten.
Ausweislich der Mailkorrespondenz zeigte sie sich höchst erfreut – ebenso
wie der andere Preisträger, Martin Dannecker, der renommierteste deutsche
Homosexualitätsforscher der Jetztzeit; er hat wie kein anderer in den
vergangenen 40 Jahren zum Homosexualitätsthema gearbeitet, ohne das Schwule
dem gewöhnlichen Begriff der Normalität zu opfern.
Noch eine Stunde vor der Preisverleihung hatte Butler kein Bedenken gegen
diesen Preis, auch nicht gegen den Berliner CSD geäußert. Im Gegenteil hat
sie gemütlich nach Berlin kommen können, um die Auszeichnung aus der Hand
der grünen Fraktionsvorsitzenden Renate Künast entgegenzunehmen.
Ihre schließlich auf der Bühne formulierte Ablehnung war nicht nur eine
krasse Form der Taktlosigkeit den Veranstaltern gegenüber, eine Täuschung
in eigener Sache und die ihrer Gastgeber, sondern auch eine Brüskierung
Martin Danneckers. Inhaltlich hatte Butler nur zu sagen, dass ihr die ganze
Tendenz des CSD auf die Nerven gehe; ihre Stichworte lauteten
„Kommerzialität“ sowie „Mainstream“. Von den persönlichen Umständen
abgesehen, dass Butler sowohl auf einen Flug aus den USA nach Berlin in der
Business bestand – sonst hätte sie nicht kommen wollen – als auch eine
Unterkunft in einer Nobelherberge sah, als Philosophin in Sachen Gender ist
sie - wie unstrittig sein dürfte - inzwischen Mainstream und nicht
Underground. Butler und ihre Gedanklichkeit geben den interpretierenden Ton
vor.
Dass der Berliner CSD e.V. sie wie auch Dannecker ehren wollte, war auch
eine Verneigung vor diesen theoretischen Mühen. Butler wie Dannecker
sollten den Preis erhalten - gerad weil sie als "Schreibtischtäter"
erheblich Erhellendes geleistet haben. Die US-amerikanische
Wissenschaftlerin außerdem auch trotz des Wissens der CSD-Verantwortlichen,
dass sie, die Startheoretikerin, CSDs in ihrer politisch bürgerrechtlich
orientierten, nicht ausgrenzenden Anordnung nicht besonders goutiert. Aber
Butler hat dem Preis zugestimmt. Das Motto des CSD hieß: "Normal ist
anders". Hätte der Anspruch der queeren Community auf die Umdefinition
dessen, was normal sein kann, radikaler, politischer formuliert werden
können? Wie überhaupt der hauptstädtische CSD seit vielen Jahren Politik
nicht nur für sich selbst, sondern – das sollte man im besten Sinne
Mainstream nennen – für das Publikum jenseits der eingeweihten Kerne
formuliert. Für die politische Elite, für gesellschaftliche
MultiplikatorInnen und – vor allem – für die Hunderttausenden, die Jahr f�…
Jahr den CSD bilden.
Butler hingegen bediente mit ihrer schroffen Abweisung des Preises ein
Milieu, das den sogenannten „Transgenialen CSD“ zu seiner Sache macht – u…
in erster Linie an Selbstidentifikation, an Selbstfindung und wenig an
Öffentlichkeit interessiert ist. Der Hinweis von Butlers Applaudeuren nach
deren Aktion auf der CSD-Bühne, sie habe damit ein Statement gegen, wie
erwähnt, Kommerzialismus und Rassismus setzen wollen und können, geht ins
Leere: Der CSD rund um die Siegessäule (und dieses Jahr am Brandenburger
Tor) hat in den vergangenen Jahren keinen anderen Inhalt als den, gegen
Homophobie, Sexismus, Rassismus sich zu artikulieren.
Der Kreuzberger CSD ist ein dörflicher CSD und das mag er auch bleiben. Er
unterscheidet sich vom großen CSD durch ein Bekenntnis, mit den sogenannten
gewöhnlichen Homosexuellen nichts zu tun haben zu wollen. Politisch ist für
ihn und seine OrganisatorInnen, wenn alle irgendwie in einem
grundsätzlichen Sinne gegen Kapitalismus sind. Er ist ein CSD der
GesinnungshüterInnen, der reinen Lehre – und wie man bei einem von diesen
auch ersehen konnte, hat man dort stark etwas gegen proisraelische
Bekundungen wie auch gegen die Kneipen, die sie nicht kennen.
Judith Butler hat einen Preis ausgeschlagen, der diesen – als ein
dialektisch errungenes Resultat ihrer Aktion – noch wichtiger macht. Sie
mag man bedauern, ihre Art von Politik, alles in allem, ist für akademische
Zwecke perfekt geeignet. Für das Politische im wahren Leben bringt sie das
Gegenteil: Abstinenz aus Gründen der Abschottung gegen alles, was man nicht
mag.
Die Toleranz, die der Berliner CSD einer wie Butler entgegenbrachte, war in
einem bürgerlichen Sinne selbstverständlich, insofern angemessen. Sie haben
eine ehren wollen, die theoretisch viel, womöglich sehr viel geleistet hat.
Diese hat sich kapriziös gezeigt, obendrein frei von Souveränität. Als eine
Diva ohne Glamour – ein Stilschaden, der nur auf sie selbst zurückfällt.
In welcher Hinsicht der Berliner CSD im Gegensatz zum „Transgenialen CSD“
rassistisch sein soll, bleibt bis heute im Dunkeln. Wie auch das
Politische. Sicher ist nur: Sie sind sich ihrer Identitäten offenbar
sicher. Das muss Angst machen.
JAN FEDDERSEN
war Mitinitiator des ersten bundesdeutschen CSD 1980 in Bremen, ist
taz-Redakteur für besondere Aufgaben. Von 2005 bis 2009 war er politischer
Koordinator des Berliner CSD e.V.
20 Jun 2010
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