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# taz.de -- Rassismus Die Ereignisse von Charlottesville haben die amerikanisch…
Bild: Das Robert E. Lee Monument in Charlottesville. Heather Heyer starb bei de…
von Bethany Allen
Noch vor einem Monat dachte ich, wir hätten übertrieben.
Ich hatte das 8.-Juli-Wochenende in Charlottesville, Virginia, verbracht.
Und am gleichen Wochenende gab es in dieser kleinen Stadt in Virginia eine
Demonstration des Ku-Klux-Klan.
In Charlottesville gibt es eine angesehene Universität, Weingüter, gute
Restaurants – und eine Statue von Robert E. Lee, einem
Konföderierten-General, der während des Bürgerkriegs auf der Seite des
Südens und für die Werte, für die er stand, gekämpft hatte, also auch für
die Aufrechterhaltung einer rassistisch begründeten Sklaverei. Nachdem
allerdings der Rat der Stadt mehrheitlich dafür gestimmt hatte, die Statue
zu entfernen, geriet Charlottesville in den Fokus rechtsgerichteter
Demonstranten, die nun behaupteten, dass ihr kulturelles Erbe ausgelöscht
werde.
Eine wahrhaftige Demonstration des Ku-Klux-Klan zu erleben, war mehr als
erschütternd. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass diese ultimative
Manifestation von antischwarzem Rassismus schon vor Jahrzehnten
ausgestorben ist.
## Die Erbsünde
Rassismus, das ist Amerikas Erbsünde. Es ist sozusagen unsere Variante der
Kriegsschuld, für die wir immer büßen werden. In der Schule lernen
amerikanische Kinder, dass der „KKK“ und seine Terrorherrschaft über
Minderheiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den dunklen –
aber geschlossenen – Kapiteln der amerikanischen Geschichte zählt.
Und nun veranstalteten sie hier ganz offiziell eine Versammlung, am
helllichten Tage.
Ich war nicht allein mit meinem Schock. An diesem Wochenende schien die
ganze Stadt gegen den Klan mobilgemacht zu haben. Protestorganisationen wie
SURJ (Showing Up for Racial Justice) hatten Fahrgemeinschaften gebildet
oder waren per Anhalter gekommen – und hatten ein Sammelsurium aus
Musikinstrumenten, Schlagzeugen und Lautsprechern mitgebracht, um den KKK
zu vergraulen.
Am Ende tauchten dann nur ein paar Dutzend Klan-Mitglieder auf, die etwa
1.000 Gegendemonstranten hatten eine beeindruckende Übermacht gebildet. Ich
fühlte mich erleichtert, aber zugleich auch ein bisschen albern: Hatten wir
es nicht etwas übertrieben? Womöglich hatten wir die Schrecken der
Vergangenheit einfach zu ernst genommen. Dachte ich.
Und ich lag falsch. Am letzten Wochenende krochen plötzlich hunderte
solcher „bedauernswerter Gestalten“ – als solche hatte sie einst Hillary
Clinton bezeichnet – aus ihren dunklen Löchern. Weiße Nationalisten,
Klan-Mitglieder und Neonazis tauchten in Charlottesville auf, um an einer
„Unite the Right“-Demonstration teilzunehmen. Sie trugen Fackeln. Sie
riefen antijüdische Slogans. Nach einem Zusammenstoß mit Gegendemonstranten
fuhr einer von ihnen mit seinem Auto in die Menge und tötete eine junge
Frau, mindestens 19 andere wurden verletzt. Der Gouverneur von Virginia
rief den Notstand aus. Der U.S. Attorney General Jeff Sessions bezeichnete
den Vorgang als einen Fall von Inlandsterrorismus.
So schrecklich das alles ist, es ist noch nicht das Schrecklichste. Was mir
wirklich Angst macht, ist die Reaktion der Nation. Es sollte die einfachste
Angelegenheit der Welt für die Amerikaner sein, eine
Pro-Nazi-Demonstration, bei der ein Teilnehmer eine Menschenmenge angreift
und eine junge Frau tötet, als das unzweifelhaft Böse zu bezeichnen. Ende
der Geschichte.
Das aber ist nicht geschehen. Stattdessen hat es der Präsident der
Vereinigten Staaten abgelehnt, Neonazis und Anhänger des Prinzips der
weißen Vorherrschaft zu verdammen. Stattdessen machte der die
Anti-Rassismus-Aktivisten für die Gewalt verantwortlich. Er sagte, dass es
„gute Menschen“ auf beiden Seiten gebe – als ob es gerade jetzt anstünde,
das Gute auch bei Neonazis zu entdecken.
## Weißer Nationalismus
Und weite Teile des Landes waren sogar bereit, ihm zu folgen – wenn auch
einige nur ein Stück weit: Sogar Mainstream-Republikaner haben die Debatte
in Richtung „Freiheit der Rede“ gewendet, um sich nicht mit dem
tatsächlichen Kern des Aufruhrs beschäftigen zu müssen, der derzeit die
Nation erfasst hat: dem Wiederaufleben des weißen Nationalismus und dem
unbewältigten Erbe des Rassismus.
Im Ergebnis gestaltet sich die Debatte nun so, dass zwei Lager aneinander
vorbeireden. Für die amerikanische Linke gefährdet der Rassismus die
Grundlagen der amerikanischen Demokratie – die Gleichheit. Wenn der
Rassismus unsere Erbsünde ist, so das Denken auf Seiten den Linken, dann
ist es unsere wichtigste patriotische Pflicht, ihn zu bekämpfen.
Für die Rechte allerdings geht es um die Freiheit der Rede und das
historische Vermächtnis. Die wahre Bedrohung der Demokratie besteht in
dieser Lesart nicht in der Unterdrückung gesellschaftlicher Gruppen, sonder
eher in dem Versuch, „Hate Speech“ einzudämmen und, so der Vorwurf, die
Geschichte „auszulöschen“.
Lassen Sie sich nicht täuschen. Über Freiheit der Rede zu debattieren,
nachdem keinerlei Rede eingeschränkt wurde, stattdessen aber eine Frau
ermordet wurde, verweist im besten Fall auf Abwehr. Und im schlimmsten Fall
auf den aktiven Versuch, das Prinzip der weißen Überlegenheit zu
verteidigen.
Wenn wir aber befürchten, dass die anderen White Supremacy befördern
wollen, und die anderen wiederum befürchten, dass wir klammheimlich die
Redefreiheit einschränken wollen – wie können wir dann überhaupt ins
Gespräch kommen?
Grabenkämpfe dominieren auch das Feld des kollektiven Erinnerns. Meine
Familie zum Beispiel besaß im 19. Jahrhundert Sklaven und lebte während des
Bürgerkriegs im Süden. Die Konföderierten aber habe ich immer mit Abscheu
betrachtet. Ihre Generäle verkörpern für mich keinen Glanz, ich sehe keine
Schönheit in ihren Idealen. Die Sklaverei, das ist unser eigener Holocaust,
den wir über Jahrhunderte unzähligen schwarzen Familien angetan haben. In
einem Krieg, der dieses Verbrechen verteidigt hat, gibt es keine Ehre.
## Nostalgischer Blick
Viele Leute aus dem Süden, und seien wir ehrlich: viele weiße Leute aus dem
Süden – blicken nostalgisch auf die Konföderation zurück, sogar mit Stolz.
Sie, so die Erzählung, haben ihre „Lebensart“ gegen die Aggressoren aus dem
Norden verteidigt. Sie, so die Legende, haben tapfer gegen den besser
ausgerüsteten, wirtschaftlich überlegenen Gegner gekämpft. In dieser Lesart
sind die Sklaverei und das Schicksal schwarzer Menschen höchstens
zweitrangig.
Es ist genau diese Haltung, die nun einmal mehr ihr hässliches Haupt
erhoben hat. Aber wollen wir als Nation fürderhin jenen weißen Männern
Gehör schenken, die andere weiße Männer glorifizieren, um noch mehr Macht
zu gewinnen und ihre Egos aufzuwerten? Oder wollen wir uns stattdessen von
der Pflicht entbinden, die Verteidiger eines bösen Regimes zu ehren und
stattdessen den Opfern ihrer Grausamkeit Ehre zukommen lassen?
Am 8. Juli hatte ich geglaubt, dass wir Amerikaner uns der Schuld des
Rassismus bewusst seien, dass wir sie uns zu Herzen genommen hätten. So wie
Deutschland sich mit seiner Schuld aus dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert
hat und seine Lehren daraus gezogen hat.
Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.
Die Autorin ist Burns-Stipendiatin und Redakteurin der Zeitschrift Foreign
Policy in Washington, D.C.
Übersetzung: Martin Reichert
19 Aug 2017
## AUTOREN
Bethany Allen
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