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# taz.de -- Prekarität Über die Arbeit eines Bremer Quartiersmanagers: Immer …
Bild: Wo sozialer Aufstieg ein Kraftakt ist: Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit i…
Interview Annika Maretzki
taz.meinland: Herr Hermening, was macht ein Quartiersmanager?
Jörn Hermening: Quartiersmanager sind für alles zuständig. Benachteiligung
wirkt sich auf alle Lebenssituationen aus, deshalb gibt es keine Abgrenzung
der Zuständigkeit. Sie sind Mitarbeiter der städtischen Verwaltung und
trotzdem hierarchisch nicht richtig eingebunden, sondern immer aufseiten
der Bürger. Diese können ihre Interessen in den Stadtteilgruppen
einbringen, und an die Beschlüsse ist der Quartiersmanager gebunden – auch
wenn der Bürgermeister anderer Meinung ist. Die Politik hat so die
Möglichkeit, Fehlentwicklungen zu erkennen.
Also stehen Sie im ständigen Bürgerdialog?
Ja, klar. Das ist jedenfalls mein Verständnis von der Aufgabe. Verortet
sind wir im Quartier und nicht im Büro mit zweimal Sprechstunde pro Woche.
Da würde eh keiner kommen. Sie müssen an der Wohnungstür klingeln und
fragen, was man vor Ort voranbringen kann. Die erste Antwort ist immer: Wir
können ja eh nichts ändern. Aber die benachteiligten Stadtteile haben alle
ein Budget von einer Viertelmillion pro Jahr, worüber die Bürger selbst
entscheiden können.
Was konnte in Bremen durch Quartiersmanager konkret bewirkt werden?
Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir ein Stadtteilbesuch des
Bürgermeisters, bei dem deutlich gemacht wurde, dass viele Kinder in den
Kindergärten Hunger haben. Problematisch war, dass die Eltern, die
Transferleistungen empfangen, die üblichen Sätze für das Essen nicht
bezahlen konnten. Daraufhin mussten sie für das Kindergartenessen nichts
mehr zahlen.
Wie wirkt sich die hohe Arbeitslosigkeit auf das städtische Leben in Bremen
aus?
Hier fährt der Maserati durch das Hochhausquartier. Die Unterschiede
zwischen Arm und Reich wachsen weiter. Wir erkennen das an einem
öffentlichen Sozialmonitorring auf Wohnblockebene. Vor zehn Jahren gab es
auch in gut situierten Stadtteilen vereinzelt sozialen Wohnungsbau. Aber
die Förderung ist überall ausgelaufen. Und die privaten
Wohnungsbaugesellschaften haben die Mieten hochgesetzt.
Mit welchen Problemen waren Sie als Quartiersmanager konfrontiert?
Als Erstes geht es Menschen um die pure Existenz, darum, Lebensorte für
sich und ihre Familie zu finden. In Tenever hatte ich viel mit Leuten zu
tun, die in Häusern von privaten Investoren gewohnt haben, dort herrschten
teilweise katastrophale Wohnbedingungen. Es waren keine richtigen
Rettungswege vorhanden, oder man konnte durch die verfaulten Fensterrahmen
gucken. Da musste ich mich mit großen Konzernen auseinandersetzen, die
meinten, es wäre alles in Ordnung. Armut ist das zweite Problem. Vor allem
die Frage, wie kriegen wir es hin, dass es unseren Kindern besser geht.
Was sollte die Politik gegen diese Probleme unternehmen?
Bei Wohnungsnot ist es klar: Forcierung des sozialen Wohnungsbaus. Ganz
Tenever war sozialer Wohnungsbau, und dann wurde das von einem zum nächsten
Investor verschachert. Es war wirklich heruntergekommen. Die öffentliche
Hand hat dann auf Druck der Bürger mit Unterstützung des
Quartiersmanagements ein großes Sanierungsprogramm aufgelegt, 100 Millionen
investiert, um das Ganze wieder in Gang zu bringen. Jetzt erkennt man den
sozialen Brennpunkt nicht mehr, da es gepflegt ist. Armut ist also nicht
mit Wohnen unter beschissenen Bedingungen gleichzusetzen.
Und bei Arbeitslosigkeit?
Das ist schwieriger. Der Schlüssel ist Bildung und Qualifizierung. Wir
brauchen die besten Schulen in den benachteiligten Quartieren. Außerdem
werden wir keine Vollbeschäftigung in Bremen kriegen, weil es keine
Arbeitsbereiche für Geringqualifizierte mehr gibt. In Hemelingen hat
Mercedes das größte Werk der Welt, da sind solche Arbeitsplätze Mangelware.
Hier muss der Staat einspringen. Er muss für Geringqualifizierte etwas
anbieten: einen dritten Arbeitsmarkt, also einen öffentlich finanzierten
Beschäftigungssektor. Denn Arbeit ist wichtig für das Selbstwertgefühl der
Menschen.
Wie wird sich die soziale Situation in Bremen entwickeln?
Manchmal denke ich, dass ich darüber gar nicht nachdenken möchte. Bremen
hat kaum Spielraum, auch aufgrund der Schuldenbremse. Für die genannten
Ideen gibt es hier kein Geld. Aber man kann sich dieses Auseinanderdriften
dauerhaft nicht leisten. Wissen Sie, was mir Hoffnung gegeben hat? So
weltoffen wie bei der „Flüchtlingskrise“ hätte ich dieses Land nicht
eingeschätzt. Die Gesellschaft ist nicht ignorant, ihr ist es nicht egal,
wenn es anderen schlecht geht. Deswegen kriegen wir das schon hin.
12 Aug 2017
## AUTOREN
Annika Maretzki
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