# taz.de -- Studieren auf Speed | |
> Drogen Was tun, wenn der Druck vor der nächster Uni-Prüfung zu groß | |
> wird?Ein Student berichtet von seinen Erfahrungen mit | |
> leistungssteigernden Mitteln | |
Bild: 5 Euro die Tablette: Für Ritalin und andere leistungssteigernde Mittel g… | |
von Klara Weidemann | |
„Je später die Prüfungszeit, desto mehr nehme ich“, sagt Flo Wagner. Der | |
21-Jährige wirkt hibbelig. Nicht high, beteuert er, nur die Aufregung. Es | |
komme selten vor, so Wagner, dass er so offen und lang über seinen | |
Drogenkonsum spreche. Der Student nimmt leistungssteigernde Mittel. | |
Modafinil, Ritalin oder sogar Speed. Seinen echten Namen möchte er deshalb | |
nicht in der Zeitung lesen. | |
Zwei Studiengänge hat Wagner schon abgebrochen, den letzten, weil er dem | |
Druck bei Prüfungen nicht standgehalten hat. Nach einem Semester | |
Grundschullehramt und vier Semestern Internetcomputing startet Wagner im | |
Winter Versuch Nummer drei: Medienwissenschaften. Auch wenn er sich nicht | |
sicher ist, ob es das Richtige für ihn ist. „Es ist eher ein Experiment“, | |
räumt er ein. | |
Wagner studiert in Passau, einer idyllischen kleinen Universitätsstadt in | |
der tiefsten Provinz Bayerns. Touristengruppen drängeln sich hier am | |
Wochenende durch die schmalen Altstadtgassen, bei Sonnenschein schlendern | |
die Studierenden am Fluss entlang. Auf der anderen Seite des Inns liegt | |
Österreich. Eigentlich kommt Wagner aus Berlin. Dort ist er schon früh mit | |
harten Drogen in Kontakt gekommen, beim Feiern selbstverständlich. „Ich | |
habe schon als Kind Techno gehört“, sagt er. Später, in der Schulzeit, als | |
Wagner Leistungssport trieb, fing er an, jeden Morgen eine Koffeintablette | |
zu schlucken. Heute reicht ihm das lange nicht mehr. Gerät er jetzt unter | |
Prüfungsdruck, nimmt er härtere Mittel. | |
## Ritalin, Modafinil, Speed | |
Wagner spricht vom großen Druck, der auf ihm liegt. Jede Prüfung könnte das | |
Aus bedeuten. Und am Ende jedes Semesters geht das Spiel von vorne los. | |
Seine einzige Hoffnung: leistungssteigernde Mittel. „In meinem Umfeld | |
machen das viele“, behauptet er. Im letzten Studium begann er, Ritalin und | |
Modafinil zu schlucken, einmal schnupfte er auch Speed zum Lernen. | |
Die Palette der leistungssteigernden Mittel ist groß. Am einen Ende | |
befinden sich legale Aufputschmittel des Alltags wie Kaffee, Guarana oder | |
Taurin. Ihre Wirkung ist kurz und gering, aber auch Placebo-Effekte können | |
motivieren. Am anderen Ende sind die (Meth-)Amphetamine angesiedelt. Die | |
sind nicht nur illegal, sondern gehen häufig mit Suchterkrankungen und | |
psychischen Problemen einher. Substanzen wie Speed überlasten die | |
menschlichen Synapsen stark. Der Rausch ist intensiv, das Down-Gefühl | |
danach auch. Solche Drogen sind wenig alltagstauglich und hauptsächlich in | |
der Partyszene zu finden. | |
In der Mitte des Spektrums befinden sich die sogenannten Nootropika. Zu | |
diesen Arzneimitteln, denen eine vorteilhafte Wirkung auf das Nervensystem | |
zugesprochen wird, gehören die bekanntesten Mittel Ritalin, Adderall und | |
Modafinil. In Deutschland ist Ritalin am weitesten verbreitet, unter | |
US-amerikanischen Studierenden Adderall. Das Konsumverhalten unterscheidet | |
sich über den Atlantik aber gewaltig: Während nach Forschungsergebnissen | |
der Soziologin Greta Wagner in Deutschland unter einem Prozent der | |
Studierenden regelmäßig Ritalin konsumieren, sind es in den USA rund 7 | |
Prozent. In beiden Ländern unterliegen die Mittel Betäubungsmittelgesetzen | |
und sind verschreibungspflichtig. ÄrztInnen verordnen Ritalin | |
beispielsweise zur Behandlung von Schlaf-Wach- oder | |
Aufmerksamkeitsdefizitstörungen. | |
Mit Speed als Lernhilfe hat Wagner ungute Erfahrungen gemacht. „Ich war | |
hibbelig, meine Beine haben gewackelt und ich konnte mich kaum | |
konzentrieren“, berichtet er. Damals versuchte er wach zu bleiben, um eine | |
Nachtschicht einlegen zu können. Allerdings konnte er danach auch nicht | |
einschlafen. Erst ein Joint ließ ihn ruhig werden. „Es macht keinen Spaß, | |
wenn man dazu gezwungen ist.“ Modafinil und Ritalin hätten bei ihm hingegen | |
positive Wirkungen erzeugt: „Mein Pensum war viel höher“, berichtet er. | |
Schnell habe er sich in Texte einlesen können, sei aufnahmefähiger und | |
fokussierter gewesen. Während der Lernphasen hat er die Mittel fünf- oder | |
sechsmal genommen. Wenn es sich vermeiden ließ, nie an zwei Tagen | |
hintereinander. | |
Ritalin verändert den Stoffwechsel im Gehirn, der Körper wird biochemisch | |
in eine Flucht- oder Schrecksituation versetzt. Niedrige Dosen führen zu | |
erhöhtem Blutdruck und einem beschleunigten Puls. Die Aufmerksamkeit wird | |
gesteigert, manche Menschen fühlen Euphorie, Erregung und Wachheit. Oft | |
verschlechtert sich jedoch auch die Feinmotorik, der Appetit geht verloren. | |
Die Pupillen weiten sich, Sauerstoff- und Glucosekonzentration im Blut | |
steigen. Je höher die Dosis, desto größer die Unruhe. | |
„Meistens habe ich auf die Mittel zurückgegriffen, wenn ich davor schon 10 | |
bis 15 Stunden in der Uni war“, sagt Wagner. An sein erstes Mal mit Ritalin | |
kann er sich besonders gut erinnern: Mit einem Kumpel, der nichts genommen | |
hatte, versuchte er zu lernen. „Selbst wenn ich an die Wand geschaut habe, | |
musste ich ununterbrochen an meine Problemstellung denken.“ Er habe die | |
Aufgaben schneller als sein Freund gelöst, sagt Wagner. | |
Dass Psychostimulanzien wie Ritalin helfen können, komplexe Aufgaben | |
schneller zu lösen und sich über lange Zeiträume konzentrieren zu können, | |
bestätigt auch die Psychologin und Klinikchefin der Charité, Isabella | |
Heuser-Collier. Solche Effekte seien durch zahlreiche Studien belegt. „Die | |
Mittel machen jedoch weder intelligenter noch kreativer“, betont | |
Heuser-Collier. Was bei lernintensiven Studiengängen wie Jura oder Medizin | |
hilfreich sei, müsse es für Fächer wie Theaterwissenschaften nicht | |
unbedingt sein. Wer es übertreibe, könnte nach mehreren durchlernten | |
Nächten außerdem aufgrund des Schlafmangels kein Wissen mehr abrufen. | |
„Ein verantwortungsvoller Erwachsener kann selbst über seinen Körper | |
entscheiden“, sagt Heuser-Collier, die einen liberalen Umgang mit den | |
Mitteln propagiert. Das gelte ja auch für den Umgang mit Alkohol und | |
Nikotin. Trotzdem müsse jedem bewusst sein, dass die Langzeitwirkungen der | |
Psychostimulanzien unbekannt sind. „Es ist wesentlich besser, den | |
Lebensstil zu verbessern und sich einen genauen Plan zum Lernen zu machen“, | |
empfiehlt Heuser-Collier. | |
Student Wagner sind die Nebenwirkungen von Modafinil und Ritalin bewusst. | |
Einmal, sagt er, hatte er das Gefühl, das Reden verlernt zu haben: | |
„Eigentlich bin ich niemand, der sich abschottet. Aber auf einmal wusste | |
ich nicht mehr, was ich sagen soll, weil ich so auf meinen | |
Computerbildschirm konzentriert war.“ Ein anderes Mal habe ein Freund, der | |
Ritalin genommen hatte, dummerweise ein Kreuzworträtsel in die Hände | |
bekommen. „Der konnte sich einfach nicht losreißen und ist nach drei | |
Stunden frustriert nach Hause gegangen“, lacht Wagner. Manchmal hänge man | |
sich an komplett unwichtigen Kleinigkeiten auf – Konzentration wider | |
Willen. | |
Eine andere Begleiterscheinung: Das Hungergefühl lässt nach. Einmal habe er | |
zwei Tage lang nichts gegessen. „Und ich bin sowieso nicht der Dickste.“ | |
Körperlich sei das auf Dauer nicht machbar. Ein weiteres Problem: Die | |
Wirkung lässt mit regelmäßiger Einnahme spürbar nach. Nach den ersten drei | |
Malen habe er kaum mehr einen Effekt gespürt. Das Tief danach sei wie bei | |
allen anderen Drogen auch: „Ich bin dann ziemlich leicht reizbar.“ Einmal | |
habe er nach einer durchgearbeiteten Nacht in seinem Zimmer gelegen, an die | |
Decke geschaut und sich gefragt, was das alles noch für einen Sinn mache. | |
„Dann habe ich erst mal eine zweiwöchige Pause eingelegt.“ | |
## Chefarzt macht sich strafbar | |
Dennoch will Wagner nicht auf Ritalin & Co verzichten: „Leute, die nichts | |
nehmen, sind selber schuld, wenn sie sich schlecht konzentrieren können.“ | |
In Passau kauft Wagner seine Putschtabletten bei dem Typen, von dem er auch | |
Gras bekommt. Aber das Angebot ist klein und teuer – zwischen 20 und 70 | |
Euro gibt Wagner während der Lernphasen im Monat für leistungssteigernde | |
Substanzen aus. Für eine Tablette Ritalin bezahlt er 5 Euro. | |
Oft kauft er die Mittel schon in Berlin, weil sie dort günstiger sind. Dort | |
hat er auch eine gute Quelle für Modafinil: Der Vater eines Freundes ist | |
Chefarzt. „Hier in der Kleinstadt muss man viel mehr Angst haben, die | |
Hemmschwelle ist höher“, sagt Wagner. Dass sich der Arzt strafbar macht, | |
wenn er Rezepte an gesunde Personen ausschreibt, interessiert ihn kaum. | |
Sein Passauer Dealer, der ursprünglich aus Russland kommt und mit dem | |
Drogengeld seine Familie in der Heimat unterstützt, habe ständige Probleme | |
mit der Polizei. Die Nachfrage in der kleinen Stadt sei trotzdem hoch: Vor | |
allem an der Jura-Fakultät werde viel gekauft. | |
In der nächsten Prüfungszeit wird Wagner wohl wieder auf die Mittel | |
zurückgreifen. Er findet die Substanzen nicht schlimm – nur den Druck, der | |
ihn zwingt, sie zu nehmen. | |
9 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Klara Weidemann | |
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