# taz.de -- Viehzucht Die Zeidlerei ist eine uralte Art, Honigbienen in Baumhö… | |
von Daniel Kastner | |
Morgennebel hängt zwischen den Bäumen. Auf einem sandigen Waldweg kommt ein | |
weißer Kleintransporter knirschend zum Stehen. So abgelegen ist diese | |
Stelle in der Sächsischen Schweiz, dass Ortsunkundige sie nur per GPS | |
finden. | |
Tobias Wolf kennt sich hier aus. Er räumt einen Holztisch aus dem Wagen, | |
Mücken umtanzen seinen Kopf. Auf den Tisch stellt er zwei kleine | |
Einweckgläser mit leuchtend goldorangefarbigem Inhalt, dazu Löffel und | |
Servietten. | |
Dann lehnt er eine Aluleiter an eine Kiefer. Sie führt zu einem | |
rechteckigen Loch, das Wolf und ein paar MitstreiterInnen mit Motorsägen | |
und Kerbwerkzeugen in fünf Metern Höhe in den Stamm getrieben haben. Da | |
oben haben bis letzten Herbst Bienen gewohnt. Was in den Gläsern golden | |
leuchtet, ist ihr Honig. „Der erste Zeidlerhonig aus der Gegend seit | |
mindestens zweihundert Jahren“, sagt Tobias Wolf, und jetzt leuchten auch | |
seine braunen Augen. | |
Heute ist ein großer Tag, um 8.30 Uhr kommen die Imker. Geplant ist eine | |
Art Versöhnungstreffen. Beim ersten Treffen zwischen Zeidlern und den | |
Imkern aus dem Umland habe er noch „richtig Pfeffer bekommen“, erzählt | |
Tobias Wolf. Denn während manche Zeidler hoffen, sie könnten mit dieser | |
uralten Haltungsform die sieche Honigbiene retten, halten konventionelle | |
Imker das – gelinde gesagt – für eine Schnapsidee. | |
## Bienen, dahingerafft von Krankheiten und Parasiten | |
Dass es den Bienen schlecht geht, darin sind sich alle einig. Bundesweit | |
haben etwa zwanzig Prozent der Bienenvölker den vergangenen Winter nicht | |
überlebt, in Brandenburg sogar bis zu vierzig Prozent. Parasiten wie die | |
Varroamilbe und Krankheiten wie die Amerikanische Faulbrut raffen sie | |
dahin. Pestizide schwächen sie ebenso wie eine intensive Landwirtschaft, | |
die auf Monokulturen und maximalen Ertrag setzt und dafür auch noch den | |
letzten Quadratmeter Feldblumen unterpflügt. | |
Apokalyptische Szenarien machen die Runde: Ohne Bienen keine Bestäubung, | |
ohne Bestäubung keine Ernte, ohne Ernte nichts zu essen, das Ende der | |
Menschheit. Das (vermutlich erfundene) Einstein-Zitat taucht wieder auf, | |
wonach vier Jahre nach den Bienen auch die Menschen von der Erde | |
verschwinden würden. | |
Aus der Sicht der Zeidler tragen die konventionellen Imker daran eine | |
Mitschuld – weil sie die Bienen industriell halten, in sogenannten | |
Magazinbeuten, die nichts mehr mit ihrem natürlichen Lebensraum zu tun | |
haben. Weil sie ihnen den Honig wegnehmen und sie mit minderwertigem | |
Zuckerwasser abspeisen. Lasst uns wieder Honigbienen im Wald ansiedeln, wo | |
sie herkommen, sagen nun die Zeidler, dann können sie sich da erholen und | |
neue, kräftige Bienenvölker hervorbringen. | |
Für viele konventionelle Imker sind das Wunschvorstellungen von | |
Ökospinnern. Jahr für Jahr besprühen sie ihre Bienen mit Ameisen- und | |
Oxalsäure, um die Milben auszurotten. Jahr für Jahr müssen sie ganze Völker | |
töten, wenn sich die Faulbrut im Stock breitmacht. Da fehlt es ihnen gerade | |
noch, wenn ein paar naive Idealisten ihnen neue Parasiten und Krankheiten | |
bescheren. | |
Skeptisch sind sie immer noch gegenüber den Zeidlern, aber inzwischen hat | |
die Amtstierärztin eine Probe genommen und keine Krankheiten gefunden. Also | |
hat man noch mal telefoniert und einen Ortstermin vereinbart. | |
Etwa dreißig Leute sind per Fahrzeugkolonne zu Tobias Wolf in den Wald | |
gerauscht, Imker, Tierärztinnen und MitarbeiterInnen der sächsischen | |
Forstbehörde stehen nun um ihn herum, verkosten den Honig, finden ihn | |
„nussig“. Die jüngeren klettern die Leiter hoch und schauen in das | |
Bienenloch. Es riecht schwach nach Harz darin, weiße Wabenreste erinnern | |
noch an die ehemaligen Bewohnerinnen. | |
Tobias Wolf hat Forstwissenschaften studiert und sich gerade als | |
Baumgutachter selbstständig gemacht. Die Zeidlerei betreibt er nur als | |
Hobby. „Ich möchte, dass die Biene wieder Lebensraum findet, wo sie | |
selbstständig sein kann, ohne dass der Mensch groß eingreift, sodass sie | |
sich durch natürliche Selektion wieder an das Leben im Wald anpassen kann“, | |
sagt er. | |
## Imker, empört schütteln sie ihr graues Haupt | |
Da schütteln einige Imker ihre grauhaarigen Köpfe. „Ohne jegliche | |
Behandlung?“, wirft einer ein. „Das wäre doch toll“, sagt Wolf. Aber er | |
weiß auch, dass er das nicht darf: Rechtlich gesehen ist die Biene | |
Nutzvieh, deshalb gilt auch für sie die Seuchenverordnung. Wer nicht gegen | |
die Varroamilbe behandelt, begibt sich mindestens in eine rechtliche | |
Grauzone. Höchstens auf Antrag darf ein Imker im Einzelfall auf die | |
Behandlung verzichten, aber die Veterinärämter sagen meistens Nein. | |
Einer der entschiedensten Gegner der Zeidlerei lebt in Unterfranken. | |
„Absurd“ sei die Zeidlerei, sagt Peter Maske, der Präsident des Deutschen | |
Imkerbundes (DIB), am Telefon. „Allenfalls ein Thema für die Historie“, | |
sagt er, aber „keinesfalls eine empfehlenswerte Betriebsweise“, schon aus | |
versicherungstechnischen Gründen. Auch wegen der Unfallgefahr, wenn man in | |
fünf Metern Höhe am Baumstamm herumturne. Und Bäume auszuhöhlen bedeute, | |
sie zu schädigen. „Es verbietet sich, das zu empfehlen.“ | |
Maske selbst hält seine fünfzig bis sechzig Bienenvölker in Magazinbeuten, | |
füttert sie mit Zuckersirup, Honigwasser und Teeauszügen und erntet pro | |
Volk bis zu 50 Liter Honig im Jahr. Der Zeidler Tobias Wolf hat im | |
vergangenen Herbst knapp sechs Liter Honig aus dem Baum geholt – und so | |
viel auch nur, weil die Bienen tot waren. | |
Dass auch je fünfzig Liter Honig von fünfzig Bienenvölkern den Imker nicht | |
reich machen, kann man sich ausrechnen, wenn man die Honigpreise im | |
Supermarkt kennt und weiß, dass ein gutes Bienenvolk um die 120 Euro | |
kostet. | |
Peter Maskes Magazinbeuten stehen nur ein paar Kilometer westlich von der | |
Stelle, wo im Jahr 2014 wieder die ersten Zeidelbäume entstanden. Ein | |
Schwarm, der ein neues Zuhause sucht, könnte diese Strecke durchaus | |
zurücklegen. Man kann also annehmen, dass auch Peter Maske um seine Bienen | |
fürchtet. Dass sich mittlerweile ein staatlicher Forstbeamter um die | |
Zeidelbienen in seiner Nachbarschaft kümmert und sie auch mit Ameisensäure | |
behandelt, überzeugt Maske nicht. Ob die Säure auf das Raumklima im Baum | |
überhaupt zugeschnitten sei – „großes Fragezeichen“. Der DIB unterstüt… | |
jedenfalls ein Rechtsgutachten, mit dem überprüft werden soll, ob in den | |
Höhlen neue Infektionsherde entstehen. | |
Er selbst habe im vergangenen Winter nur zwei Bienenvölker verloren. Und im | |
Übrigen hätten die Bienen „auch damals schon Schädlinge und Infektionen“ | |
gehabt. Damals, im Mittelalter, war Honig fast das einzig bekannte | |
Süßungsmittel in Europa. Nur Adel und Klerus konnten es sich leisten. Ihnen | |
lieferten die Zeidler auch Bienenwachs für Kirchen und Burgen, während | |
Bauern ihre Stuben mit stinkenden, rußenden Kerzen aus Rinder- oder | |
Schafstalg beleuchten mussten. Im Gegenzug erhielten die Zeidler Lehens- | |
und Zollfreiheit und eine niedere Gerichtsbarkeit, Kaiser Karl IV. befreite | |
sie um 1350 zudem vom Militärdienst. Dafür mussten sie ihm Geleitschutz | |
geben, wenn er mit seinem Tross durch den Wald ritt. | |
Die Zeidler durften und mussten sich bewaffnen. In den Wald gingen sie | |
immer mindestens zu zweit, und jeder hatte eine Armbrust dabei – für den | |
Fall, dass sie einem Bären begegneten. Historische Wappen stellen Zeidler | |
denn auch meistens mit Armbrust dar, und auch das „Zeidlermännchen“ an der | |
Fassade des DIB-Sitzes in Wachtberg-Villip trägt eine. | |
Am Ende hat das Treffen im Wald tatsächlich der Versöhnung gedient. Die | |
Imker können sich nun sogar vorstellen, den NeozeidlerInnen ein Volk zur | |
Verfügung zu stellen. „Aber nur ein gesundes Volk“, mahnt die Tierärztin. | |
„Wir müssen versuchen, wieder vor die Krise zu kommen.“ | |
## Zeidler, die Bäume wollen sie mit Bienen besiedeln | |
Das Zeidlerteam um Tobias Wolf möchte im nächsten Jahr einen anderen Baum | |
mit Bienen besiedeln, knapp einen Kilometer von hier. Das Loch hier wollen | |
sie offenlassen. Es riecht jetzt nach Bienen, und vielleicht siedelt sich | |
ja ein Schwarm wild darin an, hoffen sie. Sie könnten es schnell wieder in | |
Betrieb nehmen: Das Brett, mit dem sie die Höhle verschlossen hatten, | |
baumelt noch an einem Seil, und auf dem Boden verstreut liegt noch Reisig, | |
der die Spechte abschrecken sollte. | |
Und wenn das nicht klappt? Wenn die Zeidelbienen Parasiten und Keime in | |
konventionelle Völker tragen? „So eine Kiefer ist ja in zwei Minuten | |
gefällt“, sagt einer der Imker. Nur halb im Scherz. | |
5 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kastner | |
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