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# taz.de -- Mein Leben mit der Ökobilanz: Kinder sind auch nur Menschen
Wir retten die WeltVonMarcus Franken
Öbi sonnt sich in dem Gedanken, dass mit den Kindern alles besser werden
könnte. „Dich habe ich ja praktisch aufgegeben“, sagt sie mit der ihr
eigenen Sentimentalität. „Du bist jetzt 49. Du hast statistisch gesehen
noch 29 Jahre zu leben. Das geht auch vorbei.“
Öbi, meine Freundin, die Ökobilanz, mag viele Fehler haben. Aber mit
Statistiken kann sie umgehen. Sie meint es nicht böse. Trotzdem verletzt es
mich.
Zumal: Ich gebe mir wirklich Mühe. Ich fahre mit dem Rad ins Büro;
Mülltrennung habe ich als Umweltingenieur praktisch studiert; unser Haus
ist besser gedämmt als die meisten Kühlschränke. Und nicht nur dass unser
Strom vom Ökoanbieter kommt. „Ich habe so viele LED-Lichter verbaut, dass
wir nur halb so viel Strom brauchen wie eine normale Familie mit drei
Kindern und Mitbewohner“, sage ich ihr. Aber ich weiß, das bringt nichts.
„Unter sechs Tonnen CO2 im Jahr schaffst du es trotzdem nicht. Das ist so
viel wie 100 Afrikaner“, giftet sie. Ich sage ihr, dass das vielleicht
statistisch stimmt, man das aber auf keinen Fall so sagen darf. „Soll ich
sagen ‚150 Menschen aus dem Tschad‘?“, hält sie dagegen. „Dann kommst …
noch schlechter weg.“
Öbis Hoffnung in die Kinder halte ich trotzdem für naiv. Auch wenn es
praktisch keine Bewegung gibt, die nicht auf die Jugend gesetzt hätte. Und
irgendwie hat Öbi unsere Kinder ja auch angesteckt.
Zum Beispiel unseren Sohn Milan, acht Jahre: „Guck mal, die Frau ist aber
umweltfreundlich.“ Die Frau war mittelalt, mittelgroß und trug gedeckte
Farben, mit Harry Potters Unsichtbarkeitsumhang könnte sie nicht
unauffälliger sein. Trotzdem hatte Milan gemerkt, dass sie in den Büschen
am Straßenrand rumgekramt und etwas eingesteckt hat. Eine Flasche. Nein:
eine Pfandflasche. Wie soll man einem Achtjährigen mit ökoaktivistischer
Begeisterung spontan die reale Armut erklären, wenn man in fünf Minuten
beim Musikunterricht sein soll? Soll ich mit ein paar Sätzen seinen
Optimismus zerstören? Woran soll er sich dann abarbeiten, wenn er in mein
Alter kommt? Ich habe es gelassen.
Oder unser ältester Sohn Anatol. Mit seinen zehn Jahren beschäftigen ihn
die allerletzten Fragen. Er sagt Sachen wie: „Papa, das einzige Tier, das
wirklich nützlich ist, ist doch der Regenwurm, oder?“ „Warum?“, frage ich
zurück, weil ich Zeit gewinnen will. Mir machen so Kinderfragen Angst.
„Weil der Regenwurm keinem anderen Tier etwas tut und den Boden umgräbt“,
antwortet er. Und ich ergänze innerlich: Und weil er sich meinem Sohn dann
auch noch als Angelköder zur Verfügung stellt. Oder den Hühnern unserer
Datschen-Nachbarin als Futter. Egal, der Regenwurm ist für ihn das Gute: Er
reißt keine Lämmer wie der Wolf. Pupst nicht gegen das Klima wie die Kuh.
Und zupft auch nicht dem Kampffisch an den Flossen wie die Guppys in
unserem Aquarium.
Es gibt viel Böses auf der Welt. Und auch seine eigenen Artgenossen
schneiden bei Anatol nicht sonderlich gut ab: „Wenn der Mensch ausstirbt,
das wäre doch der Natur egal, oder?“, sagt er. Was kann ich ihm in der zur
Verfügung stehenden Aufmerksamkeitsspanne über den Wert des Menschen
beibringen? Wenn ich gläubig wäre wie meine Frau, könnte ich sagen, Gott
habe den Menschen geschaffen. Aber als Atheist stürzt das Öbi-beeinflusste
Kind mich in philosophische Abgründe: Soll ich dem Jungen sagen, dass das
Leben ein leerer Spiegel ist und er lernen muss, in der Sinnlosigkeit
selber Sinn zu schaffen? Und das nur, weil er nach einem Regenwurm gefragt
hat? Ich verweise in solchen Fällen lieber auf den Gott meiner Frau und
nehme mir vor, dass wir das Gespräch in zehn Jahren noch mal führen.
Trotz alledem sollte Öbi nicht zu viel Hoffnung in die Kinder setzen. Die
lernen zwar schon in der Grundschule alles über Klimawandel, und anderen
gegenüber können sie ganz schöne Ökodiktatoren sein. Aber wenn ich morgens
sage, dass wir mit dem Rad zu Schule fahren, machen sie ein Riesengeschrei.
Und nach Italien wollen sie natürlich nicht mit dem Auto fahren, sondern
fliegen. Wie die meisten Erwachsenen sind Kinder auch nur Menschen.
4 Aug 2017
## AUTOREN
Marcus Franken
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