# taz.de -- Panter 6 Raus aus der Unterkunft und rauf aufs Rad: Bike Bridge Fre… | |
Bild: Von Frauen für Frauen: die Initiatorinnen der Bike Bridge Freiburg, Shah… | |
von Gina Bucher | |
In einem Freiburger Industriegebiet südlich der Innenstadt liegen in einem | |
Hinterhof alte Fahrräder und Radteile auf dem Boden. Daneben stehen akkurat | |
zehn fit gemachte, kleinere und größere Frauenfahrräder – Fahrgeräte ohne | |
Mittelstange. Am Fenster zu einer Werkstatt kleben zwei illustrierte | |
A4-Blätter mit Verkehrsregeln der Polizei. | |
Die Zentrale Fahrrad- und Mobilitätswerkstatt in Freiburg ist ein | |
Gemeinschaftsprojekt verschiedener Initiativen rund ums Fahrradfahren. | |
Flüchtlingshilfe im praktischen Sinne ist mit im Spiel. Das Projekt Bike | |
Bridge arbeitet auch hier: Die Räder sind Teil eines Fahrradkurses für | |
geflüchtete Frauen, die nicht Rad fahren können. Während jeweils zwei bis | |
drei Monaten üben zehn Trainer*innen mit zehn Teilnehmer*innen | |
Verkehrsregeln, Gleichgewicht, Schulterblick, bremsen, die Helme korrekt | |
aufsetzen, wie man ein Fahrrad repariert – zwei Übungseinheiten pro Woche. | |
Sobald alle Rad fahren können, machen sie gemeinsam einen Velo-Ausflug. | |
An einem Dienstagabend begrüßen Lena Pawelke, 33, Clara Speidel, 25, und | |
Shahrzad Mohammadi, 29, die Bike Bridge 2015 initiiert haben, Frauen aus | |
unterschiedlichen Kursen zu einem Reparaturworkshop. Die drei | |
Sportwissenschaftlerinnen haben mit vielen anderen Helfern Holztische in | |
den Hof und Fahrräder daneben gestellt, einen Tisch mit Snacks und | |
Getränken aufgebaut. Daran bedienen sich alle gerne, besonders die | |
muslimischen Teilnehmenden, denn der Ramadan ist gerade erst vorbei. | |
An vier Stationen zeigen Mitglieder der Fahrradwerkstatt und des Vereins | |
Mountainbike Freiburg, wie man einen kaputten Reifen flickt: Ventil öffnen, | |
mit dem Reifenheber den Reifen von der Felge entfernen, den Schlauch aus | |
dem Reifen ziehen. Dass auch eine Gundelfinger Werkstatt dabei ist, in der | |
ebenfalls Geflüchtete mit Freiburger*innen kooperieren, vereinfacht für | |
alle Beteiligten die sprachlichen Schwierigkeiten: So erklärt etwa an der | |
ersten Station Rony aus dem Irak in Arabisch und Englisch, wenn nötig auch | |
mit Händen und Füßen, wie man ein Fahrrad dreht und auf dem Sattel und | |
Lenker positioniert, um das Rad aus der Verankerung zu lösen. Ismaila aus | |
Gambia hilft ihm dabei, Edelbert aus Gundelfingen zieht sich schwarze | |
Handschuhe über und zieht demonstrativ an der öligen Kette. | |
## Selbst ausprobieren | |
An allen vier Stationen bestehen die Helfenden darauf, dass jede | |
Teilnehmerin die Handgriffe einmal selbst ausprobiert, um ein Gefühl für | |
die Schrauben und das Werkzeug zu bekommen. Mit viel Gelächter und trotz | |
einiger Missverständnisse funktioniert das am Ende auch. | |
Lena beobachtet das Treiben im Hof und freut sich, wenn Trainer*innen und | |
ihre Schützlinge zusammen kichern, weil die eine auch mit viel Kraft eine | |
verhockte Schraube nicht lösen kann oder eine andere zu schüchtern den | |
Klebstoff auf dem Reifen verteilt: „Es ist toll, dass bereits einige | |
Freundschaften entstanden sind, obwohl sich unsere Trainer*innen und | |
Teilnehmerinnen erst seit wenigen Wochen kennen!“ Den drei | |
Sportwissenschaftlerinnen geht es bei Bike Bridge um viel mehr als | |
Fahrradfahren: Sie nutzen das Rad als Mittel zum Zweck – ermöglichen den | |
Frauen mit dem Fahrrad neue Freiheiten und gleichzeitig neue Kontakte. Denn | |
die Frauen, sind die drei Initiantinnen überzeugt, sind für soziale | |
Integration in ihren Familien Schlüsselfiguren. | |
Am Anfang von Bike Bridge stand Shahrzads Beobachtung, dass geflüchtete | |
Frauen aus islamischen Ländern oft nicht Fahrrad fahren können oder dürfen: | |
„Fahrradfahren ist eine Aktivität, die Frauen gerne tun würden, aber nicht | |
immer die Chance dazu hatten.“ | |
Die 29-jährige Iranerin kam fürs Studium nach Konstanz, unterdessen | |
doktoriert sie in Freiburg. Als sie hier über eine Bachelorarbeit Clara | |
kennenlernte, die aus Ulm nach Freiburg kam, erzählte ihr diese von den | |
fehlenden Bewegungsangeboten in den Unterkünften: „Es gab Fußball oder | |
Kickboxen für Kinder und Männer. Die Frauen aber saßen in den Zimmern. Ich | |
fragte sie, ob sie keine Lust hätten, sich zu bewegen. Sie sagten: Doch, | |
klar, aber es gäbe keine Angebote.“ Und so stellte Lena, die, in Freiburg | |
geboren, in die Welt hinausreiste und wieder zurückkam, bei einem Kaffee | |
die wichtigste Frage: „Warum nutzen wir nicht unseren beruflichen | |
Hintergrund, um uns ehrenamtlich zu engagieren?“ | |
Zusammen schrieben sie ein 20-seitiges Papier für das konzeptionelle | |
Futter, wie es sich für Akademikerinnen gehört, darauf folgten eine | |
Pilotphase, ein 50-seitiger Evaluationsbericht und Anpassungen am Konzept. | |
Jetzt im Juni startet bereits der vierte Kurs. | |
## Die Ehemänner feuern an | |
Dass seither das E-Mail-Postfach der Bike Bridge vor Anfragen explodiert, | |
freut die Frauen zwar, doch damit gerechnet haben sie nicht: „Wir hatten | |
nie die Absicht, ehrenamtliches Engagement zu unserem Beruf zu machen, | |
sondern wollten ursprünglich unser Berufswissen für Engagement einsetzen“, | |
erklärt Lena, die auch schon Sportprojekte im Rahmen von Entwicklungsarbeit | |
im Ausland gemacht hatte. Die Aufregung vor dem ersten Kurs war dennoch | |
fürchterlich groß, erinnert sich Clara: „Wir fragten uns: Kommt überhaupt | |
jemand?!“ Sie kamen. | |
Halfen im ersten Kurs noch hauptsächlich Student*innen als Trainer*innen, | |
kommen unterdessen viele berufstätige Freiburger*innen, um den | |
geflüchteten Frauen zu zeigen, wie Fahrradfahren geht. Noch kein einziger | |
Ehemann hätte bisher interveniert, erzählt Lena, im Gegenteil: „Es kommen | |
manchmal Männer mit, die ihre Frauen anfeuern, und Kinder, die sich freuen, | |
wenn ihre Mama Rad fahren kann, weil sie dann mit ihr Ausflüge machen | |
können.“ Über Zeitungsannoncen und Internetaufrufe suchen die drei Frauen | |
jeweils im Winter nach Fahrrädern, damit sie über den Sommer genügend Räder | |
für die Kurse haben. Am Ende der Kurse bekommen die Frauen gegen eine | |
niedrige Gebühr eines der gespendeten und wieder verkehrstauglich gemachten | |
Fahrräder, einen Helm und ein Schloss. | |
In den Kursen lernen Geflüchteten von den Freiburger*innen – und umgekehrt: | |
Darf man verschleierte Frauen anfassen? Wie ist das mit den Kopftüchern? | |
„Da sind erst mal ganz viele Fragezeichen“, sagt Lena. Deswegen bekommen | |
auch die Trainer*innen vor jedem Kurs ein paar Hintergründe zu den | |
einzelnen Gesellschaften, aus denen die Frauen stammen. Überraschende | |
Momente gebe es immer wieder, erzählt die junge Frau, etwa als eine der | |
übenden Teilnehmerinnen, deren Helm nicht passte, kurzerhand ihren Hijab | |
abnahm, weil sie unbedingt Radfahren wollte. | |
Aus sieben verschiedenen Ländern waren in dieser Kurssaison 2017 Frauen | |
dabei: Afghanistan, Iran, Pakistan, Somalia, Nigeria und Syrien. Vor einem | |
Jahr nahm auch Afrah, 22, im Irak geboren, teil. Unterdessen hat sie die | |
Rollen getauscht: Dieses Jahr kommt sie als Trainerin zu den Kursen – und | |
wird dafür bezahlt. „Das ist ein erster Job, ein erstes Einkommen – und f�… | |
die anderen Frauen übernehmen geflüchtete Trainer*innen so eine | |
Vorbildfunktion“, erklärt Clara die Idee dahinter. | |
Radfahren zu lernen sei anfangs schwer gewesen, klar, lacht Afrah, „aber | |
kann man es einmal, ist es leicht“. Fahrradfahren, das ist Freiheit. | |
29 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Gina Bucher | |
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