# taz.de -- nord.thema: Der Gipfel der Repression | |
> STAATSGEWALTVor und während des G20-Gipfels ließen die Hamburger | |
> Innenbehörde, Polizei und Verfassungsschutz ihre Muskeln spielen. Dabei | |
> überschritten sie vielfach den rechtlichen Rahmen, kritisieren | |
> JuristInnen. Eine Sammlung juristisch heikler Situationen und | |
> Fragestellungen | |
Bild: Die Polizei setzte beim G20-Gipfel häufig Wasserwerfer gegen Demonstrant… | |
Aus Hamburg André Zuschlag und Jean-Philipp Baeck | |
Der G20-Gipfel in Hamburg ist vorbei – allerdings wird es noch dauern, bis | |
er auch rechtlich aufgearbeitet ist. 35 Menschen sitzen noch in | |
Untersuchungshaft und AktivistInnen erwarten weitere Verfahren. Während | |
aktuell Forderungen vor allem konservativer Politiker nach mehr Repression | |
gegen Linke debattiert werden, geraten Rechts-Eingriffe und -Brüche von | |
Staats wegen in den Hintergrund. Dabei sorgte nicht nur das Handeln der | |
Polizei, sondern auch der Politik und teilweise der Justiz während des | |
Gipfels unter kritischen JuristInnen für Kopfschütteln. Der Republikanische | |
Anwaltsverein etwa spricht von einem „autoritär-repressiven Vorgehen“ und | |
verlangt eine rückhaltlose Aufklärung des polizeilichen und politischen | |
Handelns. Die Behörden hätten „legitimen Protest von Beginn an erheblich | |
eingeschränkt und behindert“ – unter anderem durch Demonstrationsverbote. | |
Darüber hinaus gibt es allerdings noch zahlreiche weitere rechtliche Fragen | |
und Probleme, die sich rund um das Gipfelwochenende ergeben haben. | |
## Demoverbotszonen | |
Bereits einen Monat vor dem Gipfel sorgte eine Allgemeinverfügung in | |
Hamburg für Streit. Die Polizei erließ für die Zeit des Gipfels ein | |
Demonstrations- und Versammlungsverbot auf einer Fläche von insgesamt 38 | |
Quadratkilometern im Stadtgebiet. G20-GegnerInnen wurde das | |
verfassungsmäßige Recht auf Versammlungsfreiheit untersagt. | |
Protestbündnisse klagten gegen die Verfügung, allerdings hielten Gerichte | |
die Verbotszonen in den Eilverfahren für rechtmäßig. „Ich habe meine | |
Zweifel, ob das in einem Hauptsacheverfahren, in dem ein Gericht gründlich | |
und mit langer Vorbereitungszeit die Gefahrenprognose prüfen kann, auch so | |
bleiben würde“, sagte der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam. Er war während | |
des Gipfels für den anwaltlichen Notdienstes unterwegs, der unter anderem | |
Polizeieinsätze kritisch begleitete. | |
## Verfassungsschutz outet Aktivisten | |
Auch der Hamburger Verfassungsschutz wurde vor dem Gipfel aktiv. Er | |
veröffentlichte im Internet die Namen mehrerer linker AktivistInnen. Nicht | |
nur GipfelgegnerInnen hielten das für Einschüchterungsversuche. Auch | |
Rechtsanwalt Adam spricht von einem Diffamierungsversuch seitens der | |
Behörden. „Hinsichtlich der Persönlichkeitsrechte halte ich die | |
Veröffentlichung des Verfassungsschutzes für bedenklich. Es hätte kaum der | |
namentlichen Benennung der Personen gebraucht, um die Aufgaben des | |
Verfassungsschutzes zu erfüllen“, so Adam. | |
## Polizei ignoriert Camp-Urteil | |
Von einem „Putsch der Polizei gegen die Justiz“ sprach eine Woche vor dem | |
Gipfel der Hamburger Rechtsanwalt Martin Klingner. Nach wochenlangem Hin | |
und Her hatte das Hamburger Verwaltungsgericht das geplante | |
„antikapitalistische“ Protestcamp genehmigt. Als am nächsten Mittag die | |
ersten AktivistInnen mit dem Aufbau beginnen wollten, stellte sich ihnen | |
die Polizei in den Weg – trotz des zu diesem Zeitpunkt gültigen | |
Gerichtsurteils. | |
## Spezialkommandos mit Sturmgewehren | |
Für Erstaunen sorgte der polizeiliche Einsatz von Spezialeinsatzkommandos | |
(SEK) samt Pumpguns und Sturmgewehren gegen G20-Gegner im Schanzenviertel. | |
Das SEK machte einerseits am Freitag im Zuge der Krawalle auf Häuserdächern | |
und Baugerüsten Festnahmen. Aber andererseits auch am nächsten Abend, als | |
es keine vergleichbare Bedrohung für die Polizei gab, stand das SEK mit | |
schwerer Bewaffnung am Neuen Pferdemarkt DemonstrantInnen gegenüber. | |
„Rechtlich ist das Einsetzen dieser Einheiten problemlos“, erklärte Rafael | |
Behr, Kriminologe und Professor an der Hamburger Polizeiakademie. Hamburgs | |
Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde hatte nach dem Gipfel erklärt, dass man | |
sich bei der Gefahrenlage künftig öfter auf SEK-Einsätze bei | |
Demonstrationen einstellen müsse. Behr hält das allerdings für | |
unwahrscheinlich. Für Demonstrationen, bei denen die Polizei | |
Ausschreitungen erwartet, seien regelhaft die Beweissicherungs- und | |
Festnahmeeinheiten (BFE) zuständig. | |
## Militärische Aufrüstung gegen DemonstrantInnen | |
Der Kriminologe Behr verweist im Zusammenhang mit dem SEK-Einsatz auf ein | |
allgemeines Aufrüsten der Polizeieinheiten und die Einrichtung des | |
sogenannten BFE+. Diese neue Einheit der Bundespolizei ist eigentlich zur | |
Terrorismusbekämpfung gegründet worden und neben Sturmgewehren mit | |
gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet. Während des G20-Gipfels war das BFE+ | |
laut Bundespolizei gegen die Ausschreitungen im Einsatz. Es ist von der | |
Bewaffnung her zwischen SEK- und BFE-Einheiten einzuordnen, das | |
Einsatztraining zum Häuserkampf soll dem der Bundeswehr ähneln. „Durch die | |
neue Einheit bekommt die Polizei insgesamt ein militärischeres Gesicht“, | |
hatte Behr bereits 2015 bei deren Gründung kritisiert. Auch die Hamburger | |
BFE-Einheit war schon im November 2016 mit Sturmgewehren und einem | |
Panzerwagen ausgestattet worden – ebenfalls unter dem Stichwort | |
„Anti-Terror-Kampf“. | |
## Tränengasgranaten | |
Am ersten Gipfeltag setzte die Polizei gegen DemonstrantInnen | |
Tränengasgeschosse ein. Der Hamburger Polizei sei der Einsatz dieser | |
Geschosse grundsätzlich erlaubt, erklärte Polizeiwissenschaftler Behr. | |
„Allerdings bevorzugt die Hamburger Polizei andere Mittel und macht das | |
schon lange nicht mehr.“ So seien es die hessischen Hundertschaften, die | |
die Gasgeschosse einsetzten. Wenige Tage nach dem Gipfel kam heraus, dass | |
ein großer Teil der verletzten hessischen Beamten Augenverletzungen durch | |
Tränengas erlitten hatten. Insgesamt wurden laut Hamburger Senat 182 Beamte | |
durch Reizgas verletzt. | |
## Österreichische Polizisten | |
Für Irritationen sorgten schon Tage vor dem Gipfel die Kolonnen | |
österreichischer Polizeiautos. Insgesamt waren laut österreichischem | |
Innenministeriums 200 österreichische Polizisten in Hamburg, darunter 20 | |
Beamte des Einsatzkommandos „Cobra“ und 70 Beamte der Wiener Sondereinheit | |
„Wega“. Während der größte Teil der österreichischen Polizeikräfte für | |
Einreisekontrollen am Flughafen und Verkehrslotsungen vorgesehen war, waren | |
die Sondereinheiten auch beim Einsatz am Schulterblatt beteiligt und | |
unterstützten die SEK-Kräfte. Dass ausländische Polizeieinheiten überhaupt | |
eingesetzt werden dürfen, liegt an zwei Verträgen zwischen Deutschland und | |
Österreich: Den „Prümer Vertrag“ unterzeichneten 2005 neben Deutschland u… | |
Österreich auch Belgien, Spanien, Frankreich, die Niederlande und | |
Luxemburg. Der Vertrag soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit | |
insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, aber auch etwa der „illegalen | |
Migration“ verbessern. Neben dem umfassenden Austausch unter anderem von | |
DNA-Daten regelt Artikel 24 auch „gemeinsame Einsatzformen“, etwa „zur | |
Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit“. Der | |
„Deutsch-österreichischen Polizei- und Justizvertrag“ hingegen regelt | |
bereits seit 2003, dass zur Gefahrenabwehr „Beamte der Polizeibehörden des | |
einen Vertragsstaates den zuständigen Stellen des anderen Vertragsstaates | |
ausnahmsweise zur Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben einschließlich | |
hoheitlicher Befugnisse unterstellt werden“. Grundsätzlich haben sich | |
ausländische Kräfte dabei an deutsches Recht zu halten. Die Verantwortung | |
für deren Einsätze trug dabei die Hamburger Polizei. | |
## Datensammlung von Hotelgästen | |
Warum sich die Polizei während des Gipfels insbesondere für italienische | |
Hotelgäste interessierte, ist bislang unklar. Bekannt wurde allerdings, | |
dass sie mehrere Hostels zur Herausgabe von Personendaten drängte. Mehrere | |
Hostel-BetreiberInnen, die aufgesucht wurden, gaben an, dass die | |
PolizistInnen keine Begründungen für ihre Forderungen mitteilten. Das | |
jedoch ist rechtswidrig, erklärte der Hamburger Strafverteidiger Alexander | |
Kienzle. Die Datenerhebung der LKA-BeamtInnen ohne konkrete | |
Verdachtsmomente im Kontext einer Ermittlung sei schlicht nicht in Ordnung. | |
## Razzia nach vagem Hinweis | |
Einen Tag nach den Krawallen am Schulterblatt stürmte die Polizei am 8. | |
Juli das Internationale Zentrum B5. Anlass war ein „ernstzunehmender | |
Hinweis des Verfassungsschutzes“, erklärte die Hamburger Polizei. Es habe | |
Gefahr im Verzug bestanden wegen des Verdachts, dass sich „gefährliche | |
Gegenstände“ zur Herstellung von Brandsätzen in den Räumlichkeiten | |
befänden. Gefunden wurde illegale Pyrotechnik, keine Brandsätze. Jedoch | |
blieb es nicht bei der Durchsuchung des Zentrums. Das benachbarte Kino | |
B-Movie sowie mindestens eine Privatwohnung wurden gleich mit durchsucht. | |
Weder die Wohnung noch das Kino gehören zum B5. Es wurde für beide kein | |
schriftlicher Durchsuchungsbeschluss vorgelegt. Der Bewohner der | |
Privatwohnung wirft der Polizei vor, die Wohnung komplett verwüstet zu | |
haben. Sowohl die betroffenen Nachbarn des B5 als auch dortige | |
AktivistInnen berichten von Polizeigewalt während der Durchsuchung. Mehrere | |
Stunden seien sie gefesselt, medizinische Betreuung und anwaltliche Hilfe | |
unterbunden worden. Die Durchsuchungen ohne schriftlichen Beschluss müssen | |
dabei nicht zwingend illegal gewesen sein, erklärte der Hamburger | |
Strafrechtler Joachim Lauenburg. Es komme auf den zeitlichen Rahmen an. In | |
einer offiziellen polizeilichen Mitteilung zu dem Einsatz heißt es, dass | |
der Hinweis vom Verfassungsschutz am gleichen Tag einging. Damit könnte die | |
Dringlichkeit gegeben sein, sagte Lauenburg. Ob es allerdings tatsächlich | |
rechtens war, müsse im Nachhinein festgestellt werden. | |
## Hausdurchsuchung wegen taz-Interviews | |
Schon vor dem Gipfel hatte es Hausdurchsuchungen gegeben. Die Wohnungstüren | |
zweier Aktivisten der linksradikalen Gruppe Roter Aufbau wurden von | |
PolizistInnen mit Maschinenpistolen im Anschlag eingetreten – weil die | |
Aktivisten der taz ein Interview gegeben haben sollen. Den beiden Männern | |
wurde vorgeworfen, sie seien die beiden Gipfelgegner „Ernst Henning“ und | |
„Timo Schmidt“, die die Brandattacke auf die Messehallen im vorigen | |
November in der taz als „legitime Form des Widerstands“ bezeichnet hatten. | |
Wie die Behörden darauf kamen, dass es sich bei den Männern um die | |
Interviewpartner handeln könnte, ist unklar. Naheliegend ist, dass die | |
Behörden entweder die taz oder die linken Aktivisten überwacht haben. Die | |
Behörden schweigen bisher dazu, auf welcher rechtlichen Grundlage das | |
möglicherweise geschehen ist. | |
## Gefangenensammelstelle | |
Dass die Einrichtung der Gefangenensammelstelle (Gesa) in Harburg für | |
Rechtsbrüche sorgen werde, hatte der Anwaltliche Notdienst schon vor | |
Gipfelbeginn befürchtet – und sieht sich im Nachhinein bestätigt. Dort | |
seien die Rechte sowohl von Gefangenen wie Rechtsanwälten systematisch | |
verletzt worden. „Wir sind bei dem Versuch, von der Polizei in Gewahrsam | |
genommene Personen rechtlichen Beistand zu leisten, blockiert, beschimpft | |
und physisch attackiert worden“, kritisierte Rechtsanwalt Lino Peters. Auch | |
einigen Festgenommenen soll es nicht besser ergangen sein: Wie der | |
Anwaltliche Notdienst berichtet, erhielt beispielsweise eine verletzte | |
junge Frau, die in die Gesa eingeliefert wurde, über 15 Stunden lang keine | |
Nahrung. Erst nach 40 Stunden sei sie einem Richter vorgeführt worden, der | |
sie aus Mangel an Beweisen freiließ. „Es gab eine ganze Reihe ähnlicher | |
Fälle“, sagte Rechtsanwalt Adam, der ebenfalls in der Gesa vor Ort war. | |
## Fußfesseln für linke Krawallmacher | |
Als Reaktion auf die gewalttätigen Proteste brachte Bundesinnenminister | |
Thomas de Maizière (CDU) die Idee ins Spiel, künftig Fußfesseln bei | |
potenziellen linken Gewalttätern anzulegen. Für die Umsetzung müssten | |
allerdings die Bundesländer entsprechende Gesetze beschließen. Ein von der | |
Bundesregierung im April beschlossenes Gesetz, wonach bei extremistischen | |
„Gefährdern“ präventiv elektronische Fußfesseln angelegt werden dürfen, | |
bezieht sich hingegen auf internationalen islamistischen Terrorismus. | |
29 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
Jean-Philipp Baeck | |
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