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# taz.de -- Heilende Kräfte vom Wegesrand
> Kräuterkunde Heilpraktiker Olaf Tetzinski macht aus Brennnesseln Salat.
> Und aus Olivenöl, Lavendelblüten und Salz ein Fußpeeling. In seinem
> Workshop lässt sich am Dienstag in Kaulsdorf die wundersame Wirkung
> vermeintlichen Unkrauts entdecken
Bild: Löwenzahn sieht nicht nur hübsch aus, wenn er blüht, die Pflanze läss…
von Ivy Nortey
Ungewaschen, bitter, es kratzt etwas im Hals – leicht irritiert von den
ungewohnten Reizen auf meinen Geschmacksnerven stehe ich in Olaf Tetzinskis
Garten und kaue auf Kapuzinerkresse herum, auf großen, runden Blätter und
orangefarbenen Blüten. Tetzinski ist gleichfalls irritiert – von meiner
Irritation. Und davon, dass ich nicht einordnen kann, welche Pflanzen das
sind, die hier wachsen, und inwiefern sie gut für meinen Körper sein
könnten. „Kapuzinerkresse ist super fürs Immunsystem“, sagt Tetzinski üb…
das Grün in meinem Mund. „Die kann man sich auch auf den Balkon pflanzen
und zusehen, wie sie wächst. Vor dem Winter erntet man alles ab und macht
Pesto daraus“, sagt er.
Olaf Tetzinski ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Pflanzentherapie,
gelernter Landschaftsgärtner und von der Stiftung Naturschutz ausgebildeter
Stadtnaturführer. Seine Pflanzenkenntnis hat sich der 56-Jährige in
mehreren Jahrzehnten angeeignet. Was man von den in und um Berlin
wachsenden Pflanzen verwenden kann, welche heilenden Kräfte viele davon
haben sollen, das vermittelt er in Führungen und Seminaren. Am nächsten
Dienstag findet der Workshop: „Wilde Kräuter – Grüne Wunder“ im
Stadtteilzentrum Kaulsdorf im Bezirk Marzahn-Hellersdorf statt.
## Kleine Großstadtoase
Hinter einer kleinen Metalltür in der Kleingartenkolonie im Park am
Gleisdreieck in Schöneberg liegt Tetzinskis kleine Großstadtoase. Dort
blüht es in allen Farben, fantastische Gerüche wehen durch die Luft. Gleich
am Eingang, auf Schienbeinhöhe, steht ein zartes gelbes Blümchen. „Das ist
Rucola“, sagt er, „die blüht gerade.“ Er pflückt welche und hält sie m…
hin. Ich soll sie kosten!?
Die Rucolablüten kenne ich nicht. Sie schmecken genau wie die Blätter, die
ich als Salat im Supermarkt kaufe. Aber viel intensiver, viel grüner, viel
bitterer – auch viel lebendiger. Aus den Supermarktsorten sind „die
bitteren Inhaltsstoffe rausgezüchtet worden. Dabei sind die wichtig für
uns. Rucola schmeckt eigentlich viel intensiver. Da steckt Kraft drin“,
erklärt der Experte.
Dann sticht mich eine Mücke. Die scheinen in diesem feuchten Sommer
besonders hartnäckig zu sein und wirken wie eine echte Plage. Ich frage, ob
Tetzinski unter seinen Heilpflanzen ein Heilmittel gegen den Juckreiz und
die Schwellung habe.
Der Pflanzenfreak – wie er sich selbst nennt – antwortet nicht, geht aber
einmal um die rot-gelb gestrichene Gartenlaube herum, greift in ein Meer
von blühenden Kräutern und zieht etwas heraus, dass einem überdimensionalen
Grashalm gleicht. „Da kann man Spitzwegerich nehmen“, sagt er und beginnt
auf dem Halm zu kauen. „Der wirkt antibakteriell. Besonders in Verbindung
mit Speichel. Das Zerkauen oder Zermalmen setzt die Gerbstoffe in der
Pflanze frei.“ Wenn man sie dann auf die betroffene Stelle lege, soll sich
dadurch die Haut zusammenziehen und geglättet werden. „Das heilt dann
schneller“, sagt er. „Erdbeerblätter und Frauenmantel wirken da auch.“
## Fußpeeling zum Essen
Die Gartenlaube ist komplett mit Wein bewachsen und von Sträuchern mit
leuchtend roten Johannisbeeren, dunkelroten Stachelbeeren und dunkelblauen
Jostabeeren – einer Kreuzung von Johannis- und Stachelbeere – umringt. Aus
der Laube kommt Tetzinski mit einem Einmachglas wieder heraus, dessen
Inhalt wie Pesto aussieht. Er schraubt das Glas auf und gibt mir etwas auf
die Hand. Das scheint dann doch eher eine Art Kräutersalz zu sein.
Ich habe in den letzten Minuten Malven- und Roseneibischblüten gegessen,
mit denen Salat gemischt werden kann, „weil die duftenden Blüten mit
ihren kraftvollen Farbstoffen und entzündungshemmend oder vorbeugend
wirkenden Schleimstoffen gut für den Geschmack, das optische
Erscheinungsbild der Speise und, am wichtigsten, für die Gesundheit sind“,
wie Olaf Tetzinski sagt. Ich habe Fenchelblüten probiert, mit denen Zucker
verfeinert werden kann, und Lavendel, voll mit beruhigenden ätherischen
Ölen. Also schiebe ich mir auch das vermeintliche Kräutersalz in den Mund.
„Halt“, ruft er aber, „das ist als Fußpeeling gedacht!“ Zusammengesetzt
ist das Peeling aus Bioolivenöl, den Lavendelblüten und grobem Salz. Also
absolut essbar. „Das sind gute Fette und viele Vitamine. Die wirken auch
von außen“, sagt Tetzinski. „Besonders wenn man kleine Wunden hat.“ Auch
wenn das Salz darin erst mal brennt, wie ich feststellen muss.
Trotzdem bin ich beeindruckt von der Welt die sich mir hier öffnet. Fernab
der manipulierten Alternativen aus dem Supermarkt. Also probieren wir uns
auch noch durch die umliegenden Gewächse des Parks.
Wir essen eine leuchtend pinkfarbene Blüte, Phlox, die unerwartet süß
schmeckt und neben einer hoch wachsenden Brennnessel steht. „Zu
Kriegszeiten war Brennnessel der Spinat der armen Leute“, sagt Tetzinki.
Und dass die unterschätzte Pflanze sehr viel Vitamin C, gutes Eiweiß und
viel Eisen enthalte.
Neben der zugesprochenen positiven Wirkungen kann es aber sein, dass der
Körper sich erst mal an die verschiedenen Substanzen gewöhnen muss.
„Deshalb fängt man beim Verzehr am besten mit kleineren Mengen an und
tastet sich dann vor“, sagt Tetzinski. Und warnt: Es sei ganz wichtig,
dass man die Pflanzen genau kenne und darauf achte, dass sie nicht von
Tieren verunreinigt worden seien, ehe man – zum Beispiel am Insulaner oder
auf dem Kreuzberg – damit beginne, wild zu pflücken und Kräutersalate und
Tinkturen herzustellen.
22 Jul 2017
## AUTOREN
Ivy Nortey
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