# taz.de -- ARMUT Die „Zeitschrift der Straße“ veröffentlicht ihre 50. Au… | |
Bild: Das Magazin sucht Begegnungen auf Augenhöhe | |
Interview Florian Schlittgen | |
taz: Herr Vogel, wann haben Sie sich das letzten Mal eine Straßenzeitung | |
gekauft? | |
Michael Vogel: Ich kaufe die eigentlich an jedem Ort, den ich besuche – sei | |
es in London, Paris oder in Kiel. Mir hat schon immer diese | |
Gegenperspektive und der journalistische Stil solcher Zeitschriften | |
gefallen. | |
Haben Sie deshalb vor gut sieben Jahren das erste Bremer Straßenmagazin | |
„Zeitschrift der Straße“ gegründet? | |
Im Grunde wollte ich kein Straßenmagazin gründen. Ich arbeite an der | |
Hochschule Bremerhaven als Wirtschaftsprofessor. Dort wollten wir ein | |
Projektumfeld für Studierende schaffen, in dem sie sich sozial und | |
gestaltend einbringen können. Weil die Zusammenarbeit mit anderen | |
Einrichtungen zu kompliziert wurde, kam mir die Idee zu einer eigenen | |
Straßenzeitung. Seitdem können Studierende das Magazin mit Inhalt füllen, | |
während Menschen von der Straße es verkaufen. | |
Das klingt nach billigen Arbeitskräften. | |
Das sieht nur so aus. Für eine Ausgabe wird ein Team von rund fünf | |
Studierenden zusammengestellt. Diese werden von mehreren FotografInnen | |
unterstützt und von den beiden Chefredakteuren gecoacht, was ein riesiger | |
Aufwand ist. Ein ehemaliger Redakteur hat mir erzählt, dass alles viel | |
schneller gehen würde, wenn er einfach die Ausgabe selbst schreibt. Der | |
Bearbeitungsaufwand ist also immens. Doch darum geht es ja beim Projekt, | |
dass die Studierenden was lernen und sich Menschen von der Straße was | |
dazuverdienen. | |
Wie unterscheidet sich das Magazin von Straßenzeitungen in anderen Städten? | |
Es gibt eigentlich keine Gemeinsamkeit, außer dass sie auf der Straße | |
verkauft wird. Bereits das Design ist ganz anders. Das wurde von | |
StudentInnen der Bremer Hochschule für Künste entworfen. Es ist ungewohnt | |
hochformatig und hatte anfangs weder ein Logo noch ein Foto auf dem Cover. | |
Den Namen der Zeitschrift musste man zudem suchen. Das ist seit 2015 | |
anders. | |
Dabei hat das Design doch Preise gewonnen? | |
Sogar in New York für eine herausragende Typografie! Die Ideen unserer | |
HfK-StudentInnen haben aber die wenigsten verstanden. Viele dachten, dass | |
sie ein Kultur- oder Theaterprogramm angeboten bekämen. Bis auf das Format | |
mussten wir das komplette Design ändern. Nun ist es viel konventioneller, | |
doch das Magazin wird als solches erkannt. Preise werden damit wohl aber | |
nicht mehr gewonnen. | |
Redaktionell fällt auf, dass nicht über Obdachlosenthemen geschrieben wird, | |
dabei ist es doch eine Zeitschrift der Straße? | |
Wir machen kein Magazin, das anklagt oder jammert und einen | |
Sozial-Voyeurismus bedient. Dafür haben wir uns zu Beginn entschieden. In | |
jeder Ausgabe nehmen wir eine Straße oder einen Ort in den Fokus, und | |
versuchen neue Perspektiven auf Bremen, auf die Straße oder auf Mitmenschen | |
zu entwickeln. Wenn es Orte sind, wo sozial Schwächere leben, dann machen | |
wir sie nicht zu Opfern, sondern begegnen ihnen auf Augenhöhe. Das erzeugt | |
eine Offenheit, die wir wollen. | |
An der Jubiläumsausgabe haben also keine Obdachlosen mitgewirkt? | |
Nur, weil wir selten Obdachlosenthemen haben, heißt es nicht, dass die | |
nicht eingebunden sind. Zur 50. Ausgabe beispielsweise haben wir vier | |
Porträts von Menschen, die auf der Straße leben oder gelebt haben. Mit | |
Kameras haben sie sich und ihr Leben aufgenommen und dann über die Bilder | |
gesprochen. Wie sensibel und gebildet diese Menschen sind, das kann man | |
schnell übersehen. Diesen Leuten eine Stimme geben, dass tut diese Ausgabe. | |
Der Straßenverkauf der 50. Ausgabe startet am Montag, den 17. Juli. Am | |
Samstag feiert die Zeitschrift der Straße ein Hoffest: 11–16 Uhr, Auf der | |
Brake, Bremen | |
15 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Florian Schlittgen | |
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