# taz.de -- Ein Bruch tut not | |
> Widerstandsstrategie Der in Hamburg praktizierte Militanzfetischismus | |
> führt linken Protest in eine Sackgasse | |
Bild: Werfen oder nicht werfen: Autonomer während des G20-Gipfels in Hamburg | |
von Olaf Bernau | |
Das, was während des G20-Gipfels in Altona und auf der Schanze passiert | |
ist, liegt nicht im Interesse einer gesellschaftlichen Linken, der es um | |
grundlegende Gesellschaftsveränderung geht. Ihre inhaltlichen Anliegen | |
wurden durch das militanzfetischistische Spektakel – im Pingpong mit einer | |
ebenfalls auf maximale Eskalation getrimmten Polizei – in keinster Weise | |
nach vorn gebracht. Vielmehr wurde das Risiko eines massiven Sympathie- und | |
Vertrauensverlustes in benachbarten politischen Milieus leichtfertig in | |
Kauf genommen. Mehr noch: Hamburg ist weit hinter die zukunftsweisenden | |
Erfahrungen rund um den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm zurückgefallen. | |
Damals war es immerhin gelungen, sich auf eine spektren- und | |
bewegungsübergreifende Protestchoreografie zu verständigen – ohne | |
Alleingänge à la Campact & Co. | |
Aber auch inhaltlich waren die vergangenen Tage eine echte Nullnummer – | |
jenseits der bei Großereignissen fast schon obligatorischen Debatten um | |
Grundrechte: Ob die Hungerkatastrophe in Ostafrika, der Klimawandel, die | |
Toten an den Grenzen oder die fatale G20-Afrika-Politik, bei keinem dieser | |
und vieler weiterer Themen ist es den Protesten gelungen, die | |
G20-Regierungen unter ernsthaften Legitimationsdruck zu setzen. Und das | |
nicht zuletzt deshalb, weil die in den militanten Auseinandersetzungen | |
entstandenen Bilder viel zu stark, ja blendend waren, als dass es möglich | |
gewesen wäre, Inhalte erfolgreich zu platzieren – ein Manko, das am Ende | |
weder der Alternativgipfel noch die Abschlussdemo wettmachen konnten. | |
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt keinen Grund, sich von Dingen zu | |
distanzieren, die man nicht verantwortet hat. Nicht minder abwegig ist es, | |
in zynischer Verdrehung der Wirklichkeit die Situation im Irak oder im | |
Jemen mit kurzfristigen Riots in Hamburg zu vergleichen. Und auch verbietet | |
es sich, angesichts der realen Vielfachkrisen des Planeten – mit allein | |
25.000 Hungertoten täglich – das Abfackeln mehrerer Dutzend Autos zu einem | |
halben Zivilisationsbruch hochzujazzen. | |
Gleichwohl greift es zu kurz, in erster Linie das maßlose Verhalten der | |
Polizei zu skandalisieren, zumal doch völlig offenkundig ist, dass die | |
Einsatzleitung die Auseinandersetzung wollte, um ihr repressives Vorgehen | |
im Vorfeld des Gipfels zu rechtfertigen. Stattdessen ist ohne großes | |
Rumgetue festzuhalten, dass das Vorgehen der militanzfetischistischen | |
Randale- bzw. Aufstandsfraktion politisch falsch, ethisch fragwürdig und | |
demokratisch unterirdisch war. Denn Fakt ist, dass auf diese Weise einige | |
Hunderte die Proteste vieler Tausender buchstäblich gekapert haben. Es ist | |
daher auch kontraproduktiv, bewegungsintern auf eine Auseinandersetzung | |
über unterschiedliche Aktionsformen zu verzichten. | |
Aktionsformen sind Instrumente, um bestimmte Ziele zu erreichen, sie sind | |
kein Selbstzweck. Vor allem taugen sie nicht als Identitätskorsett. | |
Plastischer: Wenn es ums Ganze geht, kann es sogar richtig sein, ein | |
Fassadenparlament niederzubrennen – so geschehen im Oktober 2014 in Burkina | |
Faso, als es in einer von allen Teilen der Bevölkerung getragenen | |
Revolution geglückt ist, den Langzeitdiktator Blaise Compaoré aus dem Amt | |
zu jagen. | |
Doch Hamburg ist nicht Ouagadougou. Wer etwas verändern möchte, muss sich | |
auf einen politischen Langstreckenlauf einstellen – in Burkina Faso gärte | |
es spätestens seit 2010. Einfach etwas anzuzünden, mag kurzfristig | |
Aufmerksamkeit bringen, verändert in den Köpfen aber nichts, politische | |
Kräfteverhältnisse lassen sich so kaum verschieben. Eher im Gegenteil: Das | |
Durchschnittspublikum bleibt verärgert, verstört oder verängstigt zurück. | |
Insofern sollte auch auf Selbstbetrug verzichtet werden: Die | |
Freitagsrandale war keine 1:1-Reaktion auf die rechtswidrige und brutale | |
Auflösung der „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstag, allenfalls hat diese | |
eine gewisse Anything-goes-Stimmung befeuert. Der Schlagabtausch war | |
gewollt, das wurde seit über einem Jahr offen kommuniziert, unter anderem | |
in zahlreichen Mobilisierungsvideos: „Nutzen wir das Spektakel, wütend in | |
Hamburg, ausrasten tut gut“. Oder noch ungeschminkter: „Hamburg meine | |
Perle, Pflasterstein und Scherben“. | |
Die Randalefraktion hat sich an ihrem Sturm im Wasserglas ergötzt und dabei | |
den demonstrativen Bruch mit weiten Teilen der Gesellschaft gesucht – | |
nirgendwo wurde das deutlicher als an den anti-emanzipatorischen Bildern | |
brennender Autos aus Altona, wo offenkundig ausschließlich Leute unterwegs | |
waren, die sich als linke Aktivist_innen begreifen. Gleichzeitig wurde auf | |
der Schanze leichtfertig das Bündnis mit betrunkenen Partydeppen und | |
jugendlichen Desperados gesucht oder zumindest nicht aktiv verhindert, nur | |
um sich im Anschluss konsterniert darüber zu zeigen, dass dieses Experiment | |
ordentlich in die Hose gegangen ist. | |
Die wortlos daherkommende Randale – die immer wieder zitierte Insurrektion | |
– ist als Gesamtstrategie viel zu starr und eindimensional, ein | |
diesbezüglicher Bruch tut not. Die gesellschaftliche Linke sollte sich | |
vielmehr an jenen Erfahrungen orientieren, wo es durch wohldosierte, | |
situationsangemessene Regelübertretungen gelungen ist, in der | |
Öffentlichkeit positiv zu punkten. Hierfür stehen nicht nur die | |
phantastischen Bilder der jüngsten Besetzungen von Kohlegruben im Rheinland | |
und in der Lausitz, sondern auch der langjährige Widerstand gegen die | |
Castortransporte oder die Blockaden von Heiligendamm. | |
15 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Olaf Bernau | |
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