# taz.de -- Tief gehende Fragen | |
> Videokunst Der Umgang der Menschen mit der Erde und den Ozeanen | |
> beschäftigt den Filmemacher Armin Linke seit Jahren. Im Oldenburger | |
> Edith-Russ-Haus sind jetzt aktuelle Arbeiten zu sehen, die auf Material | |
> von Tiefsee-Forscher*innen beruhen | |
Bild: Blick in eine unbekannte Welt: Still aus Armin Linkes Multimediainstallat… | |
von Jördis Früchtenicht | |
Tief taucht man im abgedunkelten Raum ein in die Tiefsee. Unberührt wirkt | |
sie zunächst auf den Bildern, die jetzt im Oldenburger Edith-Russ-Haus zu | |
sehen sind. Teilnahmslos schwimmt ein Fisch vorbei, dann aber stören | |
plötzlich die Greifarme eines Tauchroboters die Ruhe. Sie nehmen Proben des | |
Meeresgrunds, saugen ein kleines Tier ein oder reißen eine geisterhaft | |
weiße Pflanze ab, die entfernt an eine Rose erinnert – zurück bleiben nur | |
der Stengel und ein leerer sandiger Boden. | |
Dass diese Aufnahmen tatsächlich unter Wasser entstanden sind, wird nur | |
durch die umherschwebenden Partikel deutlich. Dann wechselt das Bild und | |
über einem schwarzen Felsen wimmeln nun kleine weiße Krebstierchen. Viel | |
passiert in den einzelnen Ausschnitten nicht – gerade deshalb aber schaut | |
man umso genauer hin: um bloß nichts zu verpassen. | |
Es sind Einblicke in eine Welt, die die meisten Menschen nie zu Gesicht | |
bekommen, die die Ausstellung „Ozeane – Dialoge zwischen Meeresgrund und | |
Wassersäule“ noch bis Ende September gewähren. Denn das Material stammt von | |
Forschungsexpeditionen, aus bis zu 5.000 Metern Tiefe. 500 Stunden | |
Aufnahmen aus den Archiven der norddeutschen Forschungsinstitute Geomar in | |
Kiel und Marum in Bremen hat der Fotograf und Filmemacher Armin Linke | |
gesichtet. Entstanden ist daraus eine vierzigminütige | |
Multikanal-Videoinstallation, die auf drei Wänden gezeigt wird. Auf einer | |
vierten stehen Informationen zu den Aufnahmen, wie sie von den | |
Forscher*innen dokumentiert wurden. | |
„Von den Forscherinnen und Forschern werden Aufnahmen eigentlich nur live | |
ausgewertet“, sagt Marcel Schwierin, der Leiter des Edith-Russ-Hauses. | |
Linke wolle diese Art von Forschung bekannter machen. Seit über 20 Jahren | |
befasst sich der Berliner Künstler damit, wie Menschen Technologie und | |
Wissen einsetzen, um die Erde ihren Bedürfnissen anzupassen: mit Themen wie | |
Smart Technology, Big Data, Klimawandel oder Industrie 4.0. | |
Die Videos, die nun in Oldenburg zu sehen sind, sind eigentlich ohne Ton – | |
die Forschung braucht nur die Bilder. Linke hat sie mit Musik von John Cage | |
untermalt. „Sie hat einen eigenen Loop, ist nicht parallel zu den Videos“, | |
sagt Schwierin. Lange habe Linke überlegt, wie er die Bilder vertont, habe | |
zunächst überlegt, selbst Unterwassergeräusche zu produzieren, sagt | |
Schwierin. Dann habe er aber Bedenken gehabt, die Geräusche könnten für den | |
Originalton gehalten werden. | |
Im Untergeschoss wird der wissenschaftlichen und künstlerischen Dimension | |
eine politische hinzugefügt. An den Wänden hängen Ausschnitte aus dem | |
UN-Seerechtsübereinkommen, das sämtliche Nutzungsarten der Meere regeln | |
soll. In dem Abkommen ist etwa die 200-Meilen-Zone festgehalten, in der | |
Küstenstaaten im begrenzten Umfang souveräne Rechte wahrnehmen können. | |
In der Mitte des Raums sind in Vitrinen die Bücher ausgelegt, die Linke | |
selbst zur Recherche genutzt hat, es gibt aber auch Exemplare, durch die | |
die Besucher*innen blättern können. Neben rechtlichen Regelungen zu der | |
Frage, wem das Meer gehört, findet sich darunter etwa ein Buch aus den | |
1970er-Jahren, herausgegeben vom Ölunternehmen Esso. Klebebildchen | |
ermöglichen einen Einblick in die Ozeane, in einem Kapitel geht es um | |
„Aquanauten“, deren Leben am Meeresgrund an das von Astronauten im Weltall | |
erinnert. | |
Hinter dicken Filzvorhängen wird in einem Nebenraum die zweite | |
Videoinstallation der Ausstellung gezeigt, verteilt auf drei Screens. Linke | |
hat zehn Menschen interviewt, die sich mit den Ozeanen befassen – vor allem | |
Meeresforscher*innen, die an ihren Arbeitsplätzen selbst vor Monitoren | |
sitzen und ihre Forschungsschwerpunkte und unterschiedlichste Aspekte ihrer | |
Arbeit erläutern. | |
Eine Wissenschaftlerin steht etwa vor Bohrkernen, in denen Proben des | |
Meeresbodens enthalten sind. Meterhoch türmen sie sich im Archiv, erinnern | |
an Schiffscontainer. In einer der Proben ist ein großer Kieselstein | |
eingeschlossen. Der Stein sei von einem Gletscher mitgeschleift worden, | |
erklärt die Geologin im Interview. Als der Gletscher auf den Ozean | |
getroffen sei, habe er den Stein dort verloren – für die Forscherin ist der | |
Kiesel ein Hinweis, dass an dieser Stelle vor Tausenden von Jahren einmal | |
Eis war. „Der Meeresboden ist wie ein Geschichtsbuch“, sagt sie. | |
Ein Rechtswissenschaftler spricht über Mikroorganismen, die ihre | |
Lebensenergie aus für Menschen giftigen Stoffen ziehen und so ohne Licht | |
und unter dem hohen Druck der Tiefsee existieren. Er erzählt, dass die | |
genetischen Informationen etwa im Kampf gegen Krebs hilfreich sein könnten | |
und ein Patent auf die Informationen möglich wäre. Ein Problem dabei sei, | |
dass ärmere Länder gar nicht erst die Möglichkeit hätten, diese Organismen | |
der Ozeane zu erforschen. Fragen von Ethik und Fairness stehen Profite | |
gegenüber. „Für Linke geht es auch um Gerechtigkeit bei der Nutzung der | |
Meere. Er will jedoch keine pauschale Nicht-Nutzung erreichen“, sagt | |
Schwierin. | |
Im letzten Raum der Ausstellung werden schließlich auf Monitoren noch | |
ältere Aufnahmen von Tauchrobotern gezeigt – für Laien ist auf den | |
schwarz-weißen Bildern dabei nicht viel zu erkennen. Aufschlussreich sind | |
aber auch sie: Ein Film aus den 1990er-Jahren, in dem es um die | |
Tiefseeforschung und das Leben an Bord eines Forschungsschiffs geht, wagte | |
damals einen Ausblick in die Zukunft. Die Sprecherin erzählt aus dem Off | |
vom Rohstoffreichtum der Meere und sagt, in 20 bis 30 Jahren werde der | |
Abbau voraussichtlich beginnen. Also jetzt. | |
Armin Linke: „Ozeane – Dialoge zwischen Meeresgrund und Wassersäule“: bis | |
24. September, Edith-Russ-Haus, Oldenburg | |
15 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jördis Früchtenicht | |
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