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# taz.de -- Zwiespalt Hebron im Westjordanland. Gewalt, Terror und Religion bes…
Bild: Von hier aus blickt Mo auf Hebron und genießt die Stille
von Maria Caroline Wölfle
Es ist das Erste, was er, dieser Mohammed, der sich Mo nennt, tut, wenn er
nach Hause kommt: Er setzt sich an seinen Computer und schaut seine
Social-Media-Kanäle, die E-Mails und Couchsurfing-Nachrichten durch. Mo
will wissen, ob jemand in seiner Nähe ist. Ist jemand in der Nähe, schreibt
er und verschickt Einladungen. „Antwortet dann wer und sagt, dass er, dass
sie kommt, macht mich das total glücklich“, sagt er.
Mo lebt in Hebron im Westjordanland, in einer der konservativsten
palästinensischen Städte. Eine, durch die Checkpoints gezogen sind. Eine,
wo Israelis und Palästinenser getrennt leben. Religion und Tradition
bestimmen hier den Alltag.
Mo, 34, trägt einen langen, dichten Vollbart, das schwarze Haar ist an den
Schläfen ganz kurz, lockt sich aber auf dem Kopf wie ein Afro nach oben.
Barfuß, in Shorts und einem weißen Unterhemd sitzt er in seiner Küche und
zieht an der Wasserpfeife. Das Wasser gurgelt, und das Geräusch vermischt
sich mit Hebrons nie unterbrochenem Straßenlärm, der durch das halb
geöffnete Fenster in die Küche dringt. Mo bläst den Rauch durch Nase und
Mund. Er ist so dicht, dass sein Gesicht für einen Augenblick darin
verschwimmt. Im Hintergrund läuft Musik. Eigentlich läuft da, wo Mo ist,
immer Musik.
## Von außen
Mo steht auf elektronische Musik, trinkt Alkohol, glaubt nicht an Gott und
hat auch immer mal wieder Sex vor der Ehe. In Hebron ist all das haram,
verboten. Wie mit seinem vollen Namen kann Mo sich deshalb auch mit seiner
Heimatstadt nicht richtig identifizieren. „Ich führe ein Doppelleben“, sagt
er und nimmt wieder einen Zug aus der Wasserpfeife. „Ich möchte immer Mo
sein, aber das geht hier nicht. Weil ich nicht zu den Einheimischen passe.
Die können meinen Lebensstil nicht akzeptieren, wegen der Gewohnheiten und
der Traditionen hier.“ Also hält Mo seinen Lebensstil geheim und steht in
Hebron keinem wirklich nahe. Seine einheimischen Freunde sind alle
verheiratet, leben ein traditionelles Leben und sind mehr Bekannte als
echte Freunde.
Am wohlsten fühlt sich Mo, wenn er wie jetzt entspannt in seiner Wohnung
sitzen kann; sie ist sein liebster Ort in Hebron. Er lebt allein. Im
Wohnzimmer stehen ein Sofa und Sessel mit pompösen, roten Samtüberzügen.
Auch im Gästezimmer steht so ein Sofa, daneben liegt ein Stapel dünner
Matratzen. In der offenen Küche gibt es nur wenige Möbel, der Raum wirkt
karg und strahlt doch etwas Gemütliches aus. Vermutlich liegt das an den
Wänden.
Die sind übersät mit Zeichnungen, Worten und Sätzen in unterschiedlichen
Sprachen – Chinesisch, Russisch, Spanisch oder auch Hebräisch. „Free Mo“
steht da, „Mut zur Utopie“ oder „Mo, du bist eine inspirierende Person“…
einer Stelle im Wohnzimmer ist ein Porträt von Mo gezeichnet, an einer
anderen eine Friedenstaube.
Couchsurfer haben all das hinterlassen. Mo ist extrem aktiv auf
Couchsurfing. Rund 500 Leute hat er in den letzten fünf Jahren bei sich
aufgenommen. Die Reisenden bringen ihm einen Teil der Welt nach Hause, in
der er selbst gern leben würde.
Mo fühlt sich Fremden näher als seiner Familie. „Hier in meiner Wohnung
kann ich frei sein, meine Gedanken und Gefühle mit Reisenden teilen“, sagt
er. „Es gibt keine Grenzen, keiner kritisiert dich, keiner verflucht dich
oder sagt dir, dass alles, was du tust, falsch ist.“
Es ist Nachmittag. Er wartet auf Isabelle. Sie ist aus Großbritannien und
reist gerade durch Israel und das Westjordanland. Als sie ankommt, stellt
sie erst ihr Gepäck im Gästezimmer ab und setzt sich dann mit Mo auf das
Sofa im Wohnzimmer. Beide tauschen sich sofort über ihr Leben aus, als wäre
es das Normalste der Welt, einem Fremden alles zu erzählen.
Irgendwann verlagern sie das Gespräch in die Küche und reden bis tief in
den Abend hinein – über Pita, Polygamie im Islam und Vegetarier. Die
Wasserpfeife im Mund, sucht Mo dabei immer wieder im Laptop nach dem
nächsten Song. Neben ihm steht mittlerweile ein Glas Whiskey mit Cola.
Je später es wird, desto mehr wippen Mos Füße im Takt der Musik.
Schließlich fängt er an zu tanzen, und Isabelle macht mit. So hüpfen und
drehen sich die beiden in der Küche. Stundenlang.
## Von innen
Solche Partys gibt es in Mos Küche oft. Er hat dauernd Leute da, ist selten
länger als zwei oder drei Wochen allein. Trotzdem: Am meisten kämpft Mo mit
der Einsamkeit. „Das ist ein Preis, den ich für meinen Lebensstil zahlen
muss“, sagt er. Die Reisenden kommen und bleiben eine Nacht, manchmal auch
zwei. Aber dann gehen sie wieder und Mo muss warten, bis die nächsten
kommen.
„Das ist irgendwie nicht gesund, und es macht mich traurig. Kaum verstehe
ich mich mit jemandem und bin glücklich, gehen sie wieder.“ Mo findet das
anstrengend, es kostet ihn viel Energie. „Aber wenn man keine andere Wahl
hat, dann muss man es eben so nehmen. Oder sich noch schlechter fühlen.“
Am nächsten Tag sitzt Mo allein am Küchenfenster und blickt auf Hebrons
Ödnis. Wieder: die Wasserpfeife. Hebron ist an vielen Stellen staubig,
schmutzig, laut. Es gibt kein Kino hier, keine Bar, keine Live-Konzerte und
kaum andere kulturelle Veranstaltungen. In die Altstadt geht Mo schon lange
nicht mehr, weil er Angst hat. Israelisches Militär und Siedler kann man
dort nicht übersehen, und er weiß nie, ob es nicht wieder zu Gewalt kommt.
„Ich lebe unter doppelter Besatzung“, sagt Mo, ohne den Blick vom Fenster
abzuwenden, „der israelischen und der meiner eigenen Gesellschaft, den
traditionellen und religiösen Zwängen.“ Welche ihn mehr beeinflusst? „Die
meiner eigenen Gesellschaft“, sagt er, ohne zu zögern. „Manchmal vergeht
ein Monat, ohne dass ich einen Soldaten treffe oder durch einen Checkpoint
muss. Aber durch diese palästinensische Besatzung im Kopf gehe ich jeden
Tag.“
Mo hat in Bagdad studiert, ist durch Syrien gereist. An die Zeit denkt er
gern zurück, da hat er sich frei gefühlt. In Hebron fühlt er sich oft
eingesperrt – und will doch nicht weg. „Meine Familie, das sind die
Menschen, die ich in diesem Land am meisten liebe“, sagt Mo. „Ich kann mir
nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Und irgendwie liebe ich auch
Palästina.“ Also bleibt er.
Mos Launen sind so gegensätzlich wie seine zwei Leben. Er lacht viel und
ist oft fröhlich. Dann wieder, so wie jetzt, liegt eine Last auf ihm. Er
zieht die Stirn in Falten, seine Augen werden wässrig. Mo wirkt traurig und
melancholisch, besonders dann, wenn er von seiner Familie spricht. Die kann
nicht verstehen, dass er mit 34 Jahren noch nicht verheiratet ist und keine
Kinder hat. Vor allem, weil er der älteste Sohn ist und damit auch den
Familiennamen weitergeben soll, üben sie immer wieder Druck auf ihn aus. Mo
wünscht sich eine Beziehung und Kinder, aber er will keine arrangierte Ehe.
„Manchmal, wenn mein Vater mir sagt, ich möchte deine Kinder sehen, bevor
ich sterbe, was soll ich da sagen?“ Mos Stimme kippt, wirkt heiser und
schrill. „Das bricht mir echt das Herz, aber am Ende …“, er beendet den
Satz nicht. „Ich bin im Konflikt mit mir selbst.“
Die Frage, die sich Mo immer wieder stellt: Soll er sein Leben opfern,
heiraten und Kinder bekommen, um seine Familie glücklich zu machen? Das
Risiko eingehen, sich selbst damit unglücklich zu machen? Er findet keine
Antwort, sosehr er es auch versucht. Mo lebt in zwei Welten, und manchmal
zerreißt es ihn innerlich.
So komplex sein Leben, so konsequent seine Sicht darauf: „Ich denke nicht
viel über die Zukunft nach. Wenn ich das tue, sehe ich keine guten Zeichen.
Ich denke dann, dass ich für immer allein sein werde. Als stecke ich in
einem dunklen Loch fest. Also versuche ich, in den Tag hineinzuleben und
glücklich zu sein.“ Ohnehin: Die Zukunft fängt immer jetzt an.
Isabelle kommt von ihrem Tagesausflug zurück. Bald beginnt es zu dämmern,
und Mo will ihr zum Sonnenuntergang seine Lieblingsstelle in der Stadt
zeigen. Die beiden gehen Hebrons Straßen entlang, und die Passanten blicken
Mo immer wieder skeptisch an. „Daesh“, rufen ihm manche zu. So wird der
„Islamische Staat“ in der arabischen Welt genannt. „Das liegt an meinem
langen Bart“, sagt Mo, ohne sich nach den Rufern umzudrehen. „Der ist in
Hebron eher ungewöhnlich.“ Auch mit fremden Frauen durch die Gegend zu
laufen ist in Hebron ungewöhnlich. „Alle denken immer gleich, dass ich mit
denen dann auch Sex habe.“
## Von oben
Der Weg zu Mos Lieblingsstelle führt an einer staubigen Schnellstraße
entlang. Autos rauschen vorbei. Links steil den Berg hinauf sind Soldaten
stationiert. Mo biegt nach rechts ab, kämpft sich durch Gebüsch und an
Dornen vorbei und bleibt schließlich auf einem Felsvorsprung stehen,
Isabelle setzt sich auf einen anderen. „Ich fühle mich frei hier“, sagt Mo.
Er stemmt die Hände in die Hüften, atmet tief ein und aus und blickt in die
Ferne. Am Horizont blinken immer mehr Lichter auf. Israel. „Ich sehe keine
Grenzen, ich sehe nichts. Das macht, dass ich mich gut fühle.“
Während Mo so dasteht und spricht, beginnen die Muezzin zum Abendgebet zu
rufen. Erst einer, dann immer mehr. Der Wind fährt sacht durch die Gräser,
und plötzlich, nach dem Lärm der Stadt und der Autos, fühlt es sich
friedlich an. „Ich glaube, das liegt daran, dass hier keine Leute sind“,
sagt Mo. „Es ist immer angespannt, wenn Leute da sind, all dieses Gerede.
Hier spricht keiner mit dir, nur die Luft, die Bäume.“
15 Jul 2017
## AUTOREN
Maria Caroline Wölfle
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