# taz.de -- nord.thema: Fit fürs Arbeitsleben | |
> BERUFSORIENTIERUNG Die Bremer Schule an der Marcusallee mit dem | |
> Schwerpunkt Hören und Kommunikation wurde erneut als „Schule mit | |
> vorbildlicher Berufsorientierung“ zertifiziert | |
Bild: Gemeinsame Sprache in der Schule an der Marcusallee: die deutsche Gebärd… | |
von Jördis Früchtenicht | |
Im Juni wurde wieder das Berufswahlsiegel „Schule mit vorbildlicher | |
Berufsorientierung“ an Schulen aus Bremen und Bremerhaven verliehen. Neben | |
fünf Regelschulen wurde zum vierten Mal die Schule an der Marcusallee mit | |
dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation ausgezeichnet. | |
„Berufsorientierung ist eine Kernaufgabe der allgemeinbildenden Schulen und | |
umfasst die Lebens- und Arbeitswelt, Berufs- und Studienorientierung. Die | |
Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei ihrem Übergang von der | |
Schule in das Arbeitsleben ist ein wichtiger Baustein für das Gelingen | |
ihres Berufsweges“, sagte Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) | |
bei der Preisverleihung. | |
Das seit 2006 existierende Siegel erhalten Schulen, die ihre SchülerInnen | |
mit unterschiedlichen Maßnahmen auf den Übergang von der Schule zu | |
Ausbildung oder Studium vorbereiten. Es wird von einer regionalen | |
Gemeinschaftsinitiative getragen, zu der unter anderem die | |
Bildungssenatorin, das Landesinstitut für Schule Bremen sowie die | |
Handelskammer (IHK) gehören. Zu den Jurymitgliedern gehören VertreterInnen | |
aus Industrie, Handel, Handwerk, von der Universität, aus dem | |
Bildungsressort und aus Schulen sowie Elternvertreter. | |
Die Schulen stellen sich einem umfangreichen Prüfverfahren. Nach der | |
Einreichung eines Konzepts folgen Besuche von Jurymitgliedern. Neben | |
Schulleitung und LehrerInnen werden auch Eltern und SchülerInnen befragt. | |
„Die Besuche in den Schulen sind sehr unterschiedlich. Manche sind hoch | |
professionell und haben alles durchgeplant“, so Björn Reichenbach von der | |
IHK Bremen. „Es kommt aber nicht auf die perfekte Show an, sondern auf das | |
Konzept und dessen Umsetzung – dass es gelebt wird und Lehrer und | |
Sozialarbeiter dahinterstehen.“ | |
Das Siegel ist drei Jahre gültig, danach müssen sich die Schulen erneut | |
bewerben. „Dabei ist auch die stete Weiterentwicklung des Konzepts | |
relevant“, sagt Thomas Hohenhinnebusch, Schulleiter der Schule an der | |
Marcusallee. „Für uns ist es wichtig wahrzunehmen, dass wir als kleine | |
Schule in einem großen System bestehen können.“ | |
In der Schule an der Marcusallee werden zwischen 80 und 100 schwerhörige | |
und gehörlose SchülerInnen von der ersten bis zur zehnten Klasse | |
unterrichtet. Die Berufsorientierung beginnt in den fünften und sechsten | |
Klassen, dort gibt es unter anderem die Möglichkeit, am „Kids Day“ Betriebe | |
zu erkunden. | |
„Wir wollen die SchülerInnen fit machen für ein Leben in hörendem Umfeld�… | |
so Hohenhinnebusch. Dafür ist neben dem Fach „Hörgeschädigtenkunde“, in … | |
die SchülerInnen lernen sollen, mit ihrer Beeinträchtigung zu leben, auch | |
die deutsche Gebärdensprache verpflichtend. „Bei uns gibt es keine | |
Differenzierung zwischen Gehörlosen und Schwerhörigen. Daher ist die | |
Bilingualität wichtig. Die deutsche Gebärdensprache ist hier gemeinsame | |
Sprache für alle.“ | |
Hinzu kommen Erlebnispädagogik und Orientierung, die bei der | |
Persönlichkeitsbildung und dem Erwerb von Schlüsselkompetenzen helfen. „In | |
der fünften Klasse gibt es den Schwerpunkt Klettern“, sagt Konrektorin | |
Sabine Kolbe. Dabei lernen die SchülerInnen, Ängste zu überwinden und sich | |
und anderen zu vertrauen. „In der sechsten Klasse gibt es dann | |
Kooperationsaufgaben in der Großstadt. Da lernen die SchülerInnen unter | |
anderem auch, was sie tun können, wenn sie am Bahnhof die Durchsagen am | |
Bahnsteig nicht hören.“ Das Einzugsgebiet ist groß, SchülerInnen kommen | |
auch aus Cuxhaven und Walsrode. „Deswegen sind wir eine Halbtagsschule“, | |
erklärt Kolbe. „Sonst wäre das insbesondere für die jüngeren SchülerInnen | |
zu heftig. Aufgrund der Beeinträchtigung kompensieren sie permanent, da ist | |
der Akku dann schnell leer.“ | |
Dass die Schule trotz Inklusion an den Regelschulen existiert, liegt laut | |
Hohenhinnebusch an der technischen Ausstattung des Gebäudes sowie an den | |
Kosten für DolmetscherInnen. „An einer Regelschule steigen die Kosten | |
signifikant, dort benötigt ein Kind pro Schultag drei Dolmetscher. Die | |
wechseln sich dann alle zehn Minuten ab, denn die Arbeit ist sehr | |
anstrengend.“ Zudem sind die Räumlichkeiten der Schule an der Marcusallee | |
für Hörgeschädigte ausgelegt. „Die Räume sind akustisch vermessen, es gibt | |
keinen Hall und überall liegt Teppichboden.“ Zusätzlich gibt es in der | |
Eingangshalle eine Induktionsschleife. Sie ermöglicht, dass Dinge, die über | |
die Lautsprecher gesagt werden, für HörgeräteträgerInnen drahtlos und | |
störungsfrei direkt auf das Hörgerät übertragen werden. | |
Berufsorientierung ist für alle SchülerInnen wichtig, bei hörgeschädigten | |
Jugendlichen kommt aber hinzu, dass ihnen ihre Möglichkeiten bewusst | |
gemacht werden. „Auch die hörenden Eltern, die selbst keine Erfahrungen in | |
dem Bereich gemacht haben, sind in Sorge, welche Ausbildung für ihr Kind | |
möglich ist“, sagt Kolbe. | |
Das Berufsorientierungskonzept sei deshalb auch auf Elternabenden Thema. | |
„Die hörgeschädigten LehrerInnen sind Vorbilder für die SchülerInnen. Sie | |
zeigen, dass es möglich ist, einen qualifizierten Beruf zu erlernen.“ | |
Maßnahmen zur Berufsorientierung und -vorbereitung finden teilweise im | |
Unterricht statt, teilweise außerhalb. „In Deutsch geht es etwa darum, wie | |
man seinen Lebenslauf schreibt“, sagt Kolbe. Auch der Umgang mit der | |
Bewerbungssituation wird thematisiert – etwa wie man im Bewerbungsschreiben | |
ausdrückt, dass man eine Hörschädigung hat. Auch Vorstellungsgespräche | |
werden besprochen – der allgemeine Ablauf genauso wie Aspekte, die Hörenden | |
nicht auffallen. „Es geht etwa darum, dass die SchülerInnen, wenn sie zum | |
Beispiel zum Gespräch kommen und das Radio läuft, darum bitten, dass es | |
ausgeschaltet wird“, erklärt Hohenhinnebusch. | |
Eine Schülerfirma ermöglicht einen ersten Einstieg in die Arbeitswelt. Das | |
Schülercafé bietet einmal pro Woche Frühstück an, die SchülerInnen der | |
achten und zehnten Klasse sind für die Vor- und Zubereitung verantwortlich. | |
„Die Aufgaben umfassen den Einkauf, das Abrechnen der Kasse und auch das | |
Bedienen. Zudem müssen die Hygienevorschriften eingehalten werden“, | |
berichtet Hohenhinnebusch. | |
Die SchülerInnen absolvieren drei mehrwöchige Betriebspraktika. „Zudem gibt | |
es die Möglichkeit, freiwillig weitere Praktika zu machen. Das kann helfen, | |
eine Lehrstelle bei einem Arbeitgeber zu bekommen, der zuvor noch keine | |
hörgeschädigten Azubis hatte“, so Kolbe. | |
Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen, die zuvor noch | |
keine Berührungspunkte mit der Beeinträchtigung hatten, seien zunächst in | |
Sorge, wie der Umgang miteinander funktioniert. „Die Sorge lässt sich über | |
die Praktika abbauen“, sagt Kolbe. Auch Betriebserkundungen gehören zum | |
Konzept, etwa in einer Druckerei. Zudem werden die Werkstatttage an den | |
Berufsschulen genutzt, um verschiedene Schwerpunkte, etwa Holztechnik, | |
kennenzulernen. | |
Ab der siebten Klasse gibt es den Berufswahlpass. Er ermöglicht den | |
SchülerInnen, ihren Berufsorientierungprozess zu dokumentieren, zu | |
organisieren und zu reflektieren. Das soll ihn strukturieren und | |
übersichtlicher gestalten. In der neunten und zehnten Klasse kommen dann | |
ein Berufseignungstest und mehrere Einzelberatungen hinzu. | |
„Gute Berufsberatung sollte keine Beeinflussung sein. Jugendliche sollten | |
angeleitet werden, eigene Interessen auszuleben“, so Jörg Nowag, Sprecher | |
der Bremer Agentur für Arbeit. In der Berufsberatung gehe es darum, Ideen | |
und Impulse zu setzen, aber auch, Termine, zum Beispiel für | |
Bewerbungsfristen, zu beachten. „Die Jugendlichen sollten nicht in etwas | |
hineinberaten werden, sondern durch den Prozess gelotst werden, bis die | |
Wahl getroffen ist.“ | |
1 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jördis Früchtenicht | |
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