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# taz.de -- zwischen den rillen: Um Vergebung flehen und surfen gehen
The Drums: „Abysmal Thoughts“ (Anti/Indigo)
Abysmal, abysmal, abysmal.“ Klingt wie ein Mantra, was Jonny Pierce im
Titelsong des neuen The-Drums-Albums „Abysmal Thoughts“ singt. Abgrundtiefe
Gedanken, lautet er übersetzt – ein Titel, der Düsteres ins Gedächtnis
ruft, Zustände wie Depression und (Selbst-)Hass etwa. Genau das habe Pierce
zum neuen Album seines Bandprojekts motiviert, wie er im Interview erklärt.
The Drums, das waren ursprünglich die New Yorker Kindergartenfreunde Jonny
Pierce und Jacob Graham, zwei androgyne Twentysomethings, der eine spielte
Gitarre, der andere tanzte dazu betont ungelenk. Mit dem Sunshine-Pophit
„Let’s Go Surfing“ wurde das Duo berühmt. Beschwingter „Indie-Pop“, …
von Simon Reynolds so treffend beschriebene Nostalgie-Ära „Retromania“ mit
einläutete. Charakterisiert wurde sie unter anderem durch Bands wie the
Drums, die, fasziniert von Sixties-Pop, in ihren Songs eine
Dauerreferenzschleife konstruierten. So haben The Drums aus dem Repertoire
an Jingle-Jangle-Gitarren und treibenden Rhythmen ihre Arrangements
geschöpft, um nicht zu sagen abgekupfert. Eingängige Melodien und sorglose
Texte harmonierten 2009 perfekt zum Zeitpunkt der Wahl Barack Obamas zum
US-Präsidenten und der damit aufkommenden Euphorie. Nicht „Oh Mama, I wanna
go surfing“ lautete es seinerzeit im Songtext „Let’s Go Surfing“, sonde…
tatsächlich „Obama, I wanna go surfing“. So unpolitisch The Drums damals
waren (weswegen „Obama“ schließlich der „Mama“ weichen musste), so sehr
war in ihrer Musik Aufbruchstimmung, manifestiert nicht zuletzt im
andauernden Mitpfeifen.
Nun, acht Jahre später, ist Ernüchterung zu spüren. Post-Trump-Depression
lautet die Diagnose. Eine Krankheit, an der viele Popstars leiden, nun hat
es auch Jonny Pierce erwischt. The Drums ist mittlerweile zu seinem
Soloprojekt geworden, mit dem er auch politischen Aktivismus verbindet.
„Ich werfe einen realistischen Blick auf das Leben“, so Pierce. „Einfach …
tun, als sei alles okay, ist nicht mein Ding. Mit Donald Trump an der Macht
tut sich ein Abgrund auf.“
Pierce geht nun auch auf die Straße, um zu protestieren. Für eine offene
Gesellschaft, in der LGBT gleichberechtigt leben können. Für eine
nachhaltige Wirtschaft. Für Klimaschutz. Kurz: Für all das, dem Trump den
Kampf angesagt hat. Das Plakative macht das neue The-Drums-Album noch nicht
zu einem Politikum. „Ich würde gern behaupten, es handle sich um ein
Agitprop-Album,“ urteilt Pierce über „Abysmal Thoughts“. „Um ehrlich zu
sein, handelt es mehr von Herzensangelegenheiten und davon, über sich
selbst hinauszuwachsen.“
In seinen neuen Songs scheint die angespannte politische Situation in den
USA stets durch. Insgesamt ist es aber eher ein Break-up-Album geworden.
Die Musik entstand, als sich Pierce in einer düsteren Lebensphase befand.
Er hing seiner vergangenen Beziehung nach, zog ihr sogar hinterher nach Los
Angeles, mit dem Ziel, sie zu retten – ohne Erfolg. „What does it take for
you to believe that I have changed?“, fragt der 35-Jährige im Song „Blood
Under My Belt“, der ersten Single aus dem neuen Album. Von eingängigen
Gitarrenriffs angetrieben, fleht er um Vergebung. Die upliftende Melodie
als Antithese zum besungenen Kummer.
Verlust, Wut und Trauer kommen in allen Songs zum Vorschein. „Dadurch, dass
ich so offen bin, entsteht eine starke Bindung zu meinen Hörern. Viele
lassen ihre oberflächlichen Masken fallen; Freundlichkeit, wie sie in der
US-Gesellschaft so typisch ist, finde ich verlogen. Das allein ist es mir
wert.“
Miteinander achtsam umgehen, lautet demnach die Devise, denn Pierce sieht
sich, seit die religiösen Eltern wegen seines Coming-outs den Kontakt
abgebrochen haben, endlich selbst als jemand, der Verantwortung übernimmt.
„Abysmal Thoughts“ soll nicht im Selbstmitleid enden, sondern dazu
motivieren, etwas an der eigenen Situation zu ändern. Seine neuen Songs
machen Mut und kommen folglich lebhaft und beschwingt daher. „Abysmal
Thoughts“ ist ein bittersüßes Popalbum, das zwar in der Tradition des
euphorischen „Let’s Go Surfing“ steht, aber zusätzlich mit Reife und
Glaubwürdigkeit auftrumpft. Vanessa Wohlrath
30 Jun 2017
## AUTOREN
Vanessa Wohlrath
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